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Das Märchen von der Zauberflöte (D 2023): Ilyes Raoul spielt den Trickbetrüger Tamino / © WDR/Nicole Briese

Mozart generalüberholt: Das Märchen von der Zauberflöte (D 2023)

Die ARD hat die bekannte, aber auch umstrittene Oper als einstündigen Märchenfilm adaptiert. Dabei ist das Bemühen um eine politisch korrekte Inszenierung deutlich spürbar. Sendetermin: 26. Dezember 2023, 15.25 Uhr, Das Erste.

© Inselverlag (1999)

© Inselverlag (1999)

1789. Als August Jacob Liebeskind (1758–1793) in jenem Jahr sein Märchen „Lulu oder die Zauberflöte“ veröffentlicht, ahnt er nicht, dass er die Vorlage für eine der berühmtesten Mozart-Opern liefern wird. Liebeskind, der als Pastor und Hauslehrer arbeitet, hat sich zuvor schon einen Namen als Herausgeber der sogenannten „Palmblätter“ gemacht.

Die Sammlung orientalisch anmutender Erzählungen beeindruckt auch den Dichter und Übersetzer Christoph Martin Wieland (1733–1813). So nimmt er Liebeskinds „Zauberflöte“ in den dritten Band seiner Sammlung „Dschinnistan oder auserlesene Feen- und Geister-Märchen“ (1789) auf. (Vielleicht auch deshalb, weil ein Jahr zuvor Wielands vierte Tochter Amalie den Herrn Liebeskind heiratet.)

Obgleich der „Dschinnistan“ dennoch kein Bestseller wird – die ersten beiden Bände hätten „wenig Sukzeß gehabt“ (zitiert nach Seidel 1982, S. 260) –, ist das Genre Ende des 18. Jahrhunderts durchaus en vogue. Märchen, vor allem die immer etwas ausufernd erzählten, französischen Feengeschichten, liegen (noch) im Trend und finden viele Fans.

Mozart komponiert Oper „Die Zauberflöte“

1791. Zu diesen Anhängern gehört auch Johann Emanuel Schikaneder (1751–1812). Er, der als Multitalent gilt (Schauspieler, Sänger, Autor, Regisseur), bringt etliche „Dschinnistan“-Märchen auf seine eigene Wiener Theaterbühne.

Und er kennt den ‚großen’ Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791), ermuntert ihn eine ‚Märchenoper’ zu komponieren. Schikaneder schreibt den Text – frei nach Liebeskinds „Lulu oder die Zauberflöte“. Am 30. September 1791 feiert das Opernwerk als „Die Zauberflöte“ Premiere in Wien. Der Rest ist Geschichte.

2023. Über 230 Jahre später lässt sich die ARD ebenso von dem Märchen verzaubern und inszeniert die Oper als 60-Minuten-Familienfilm für ihre Reihe „Sechs auf einen Streich“. Ein wenig Erfahrung mit dem Geisterreich Dschinnistan haben die Fernsehmacherinnen und -macher. Denn im Jahr 2016 verfilmt die ARD bereits Wielands Märchen „Himmelblau und Lupine“.

Jene (Liebes-)Geschichte schafft es allerdings nie bis auf die Opernbühne, im Gegensatz zur „Zauberflöte“. Kein ausgewiesener, im Märchengenre erprobter Drehbuchschreiber und Regisseur, sonder ein kreativer Neuling im Fach wagt sich für die ARD an das komplexe und durchaus umstrittene Opernwerk.

Rassismus, Sexismus, Heteronormativität

Es ist der 37-jährige Marvin Litwak, der neben Kinofilmen vor allem Werbe- und Musikvideos dreht, zum Beispiel für Gil Ofarim („Ein Teil von mir“, 2020). Umstritten deshalb, weil Mozarts „Die Zauberflöte“ – wie einigen anderen Opernwerken – Rassismus, Sexismus oder Heteronormativität vorgeworfen wird. Um nur drei Kritikpunkte zu nennen.

Dabei stecken bereits im Liebeskind’schen Ur-Märchen „Lulu oder die Zauberflöte“ Figuren und Denkweisen, die im 18. Jahrhundert gesellschaftskonform, aber im 21. Jahrhundert für viele als unpassend und angreifbar gelten.

Was passiert in „Lulu oder die Zauberflöte“?

Hier trifft Prinz Lulu die gute Fee Perifirime. Er soll für sie einen vergoldeten Feuerstahl (eine Art Feuerzeug) beschaffen, den der böse Zauberer Dilsenghuin gestohlen hat. Lulu erhält dafür eine Zauberflöte, deren Töne jeden in ihren Bann ziehen, und einen Ring, mit dem er sich in jede Gestalt verwandeln kann.

Das Vorhaben gelingt; Lulu kann Dilsenghuin täuschen und den Feuerstahl an sich bringen. Zudem befreit er ein schönes Mädchen, das die Tochter der Perifirime ist. Den Zauberer und seinen Sohn, einen hässlichen Zwerg, verwandelt die Fee in Falke und Kautz.

Abgesehen von heteronormativen Klischees, die das Märchen bediene, so die Kritik – ‚aktiver’ Mann befreit ‚passive’ Frau, die wiederum nur über Schönheit definiert wird –, gehöre hier auch ein „Zwerg“ zum Figurenensemble. Nicht erst seit den Debatten um die Neuverfilmung von Disneys „Schneewittchen“ (voraussichtlicher Kinostart: 21. März 2025) ist klar, dass heute auch der Auftritt kleinwüchsiger Männer sensibel behandelt werden möchte (Vorwurf: Diskriminierung).

Schikaneder/Mozart legen noch eins drauf

Als Schikaneder/Mozart aus der Liebeskind-Vorlage eine Oper basteln, erweitern sie – nicht ahnend – die Liste der heute an das Werk herangetragenen Kritikpunkte. Ihr Prinz Tamino, der mit dem Vogelfänger Papageno unterwegs ist, will Prinzessin Pamina, die Tochter der Königin der Nacht, aus dem Reich des angeblich bösen Sarastro befreien. Tamino erhält von der offenbar guten Königin ebenso eine Zauberflöte und ein Glockenspiel.

Sarastros Diener, der böse Mohr Monostatos, bewacht und begehrt – allerdings vergebens – Pamina. Doch die Welt ist nicht wie sie scheint: Die Königin der Nacht will von Sarastro vor allem einen magischen Sonnenkreis (eine Art machtspendendes Amulett) zurück, der ihr als Frau durch Männer wie Sarastro vorenthalten wird. Doch ihre Pläne, für die sie Monostatos einspannt, scheitern. Am Ende führt Sarastro Tamino und Pamina zusammen.

Zur Liebeskind’schen Heteronormativität und Diskriminierung (Kleinwüchsigkeit) komme nun noch Rassismus (Monostatos) und Sexismus (Königin der Nacht, Pamina), so die Einschätzung.

Dabei gibt es Stimmen, die das Gegenteil behaupten: So sei die Monostatos-Figur von Schikaneder/Mozart vielmehr als Kritik an den Stereotypen über Schwarze angelegt (vgl. Penzlin 2021). Die Königin der Nacht wehre sich gegen ihre Benachteiligung. Und Pamina bestehe ja mit Tamino zusammen die letzte Prüfung.

‚Vermintes’ Gelände

Trotzdem findet sich ARD-Autor und -Regisseur Marvin Litwak in einem stark ‚verminten’ Gelände wieder, als er „Die Zauberflöte“ für das TV-Weihnachtsprogramm adaptiert. Auch weil jeder von ihm unbedachte Schritt einen Shitstorm in den sozialen Medienwelten auslösen könnte. Deshalb, so hat es den Anschein, entscheidet er sich für eine Generalüberholung. Den Kern der Geschichte, die Thematik des Schein und Sein, tastet er nicht an.

So ist sein männlicher Held Tamino – gespielt vom 19-jährigen Ilyes Raoul, dessen Bruder Emilio Sakraya bereits die Hauptrolle im ARD-Märchen „Der Schweinehirt“ (2017) übernahm – gar kein richtiger Prinz. Vielmehr schlägt sich der elternlose Bauernbub als gewiefter Trickbetrüger durchs (mittelalterliche) Leben. Kämpfen kann er nicht. Vielmehr ‚kämpft’ er mit seinen Ängsten. Kurzum: Ihm fehlen die klassischen Eigenschaften eines Heroen. Er ist ein Anti-Held.

Tamino (Ilyes Raoul, r.) und Papageno (Dimitri Abold) geben sich als Prinz und Diener aus / © WDR/Nicole Briese

Tamino (Ilyes Raoul, r.) und Papageno (Dimitri Abold) geben sich als Prinz und Diener aus / © WDR/Nicole Briese


Aber: Er besitzt eine magische Zauberflöte, die alle (nach Mozartklängen) tanzen lässt, wenn er darauf spielt (Musik: Sebastian Heinrich, WDR-Rundfunkorchester). Sein ‚Bro’, der schon in der Vorlage geschwätzige Vogelhändler Papageno, beklaut als sein Diener währenddessen die Außer-Gefecht-Gesetzten und sammelt die Geldbeutel ein. Dann suchen beide das Weite.

Da passt es ins moderne (Geschlechter-)Bild, dass Tamino und Papageno die TV-Prinzessin Pamina (Harriet Herbig-Matten) überhaupt nicht aus den Fängen Sarastros (Waldemar Kobus) befreien müssen. Die nicht nur verbal, sondern auch körperlich schlagkräftige Tochter der Königin der Nacht übernimmt das selbst und flieht auf eigene Faust. So gehen die klassischen Eigenschaften des Nicht-Heros Tamino auf die Heroine Pamina über.

Schwarze und weiße Schauspieler

Papageno wird – und hier kehrt die Adaption wie bei Tamino keine inneren (Mut, Tapferkeit), sondern äußere Klischees um – vom Schwarzen, auf Jamaika geborenen Dimitri Abold gespielt. Seine Rolle ist zudem als sogenannter Trickster angelegt, als Clown oder komischer Begleiter (vgl. Vogler 1997, S. 151ff.). Seine Funktion ist es, mit coolen Sprüchen die Handlung zu flankieren und Tamino zu helfen, zu sich selbst zu finden.

Vogelfänger Papageno (Dimitri Abold) will sich nicht von Tamino als Diener behandeln lassen / © WDR/Nicole Briese

Vogelfänger Papageno (Dimitri Abold) will sich nicht von Tamino als Diener behandeln lassen / © WDR/Nicole Briese


Wie es sich erahnen lässt, wird die Rolle des bösen Monostatos vom weißen Schauspieler Michael Kessler (u. a. „Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen“, 2014) übernommen. Um aber das gängige Umkehr-Bild des offenbar sehr um politisch korrekte Besetzung bemühten ARD-Märchenfilms zu widerlegen, wirkt das Figurenensemble nicht nur in Schlüsselrollen sondern insgesamt divers: mit schwarzen und weißen Schauspielerinnen und Schauspielern, die mit oder ohne Migrationshintergrund vor der Kamera agieren.

Parallelmontage unterstützt Spannung

Bei allen übergeordneten Diskursen, wie Rassismus oder Diversität, denen sich die Geschichte offensiv stellt, bedient das ARD-Märchen freilich filmische (Kamera-)Mittel, um die Story spannend zu erzählen. Klassische Techniken, wie die Parallelmontage, bei der die Einstellungen zwischen zwei Handlungssträngen hin- und herspringen, eröffnen zum Beispiel den Märchenfilm.

Papageno (D. Abold, l.) und Tamino (I. Raoul, r.) treffen Pamina (H. Herbig-Matten) / © WDR/Nicole Briese

Papageno (D. Abold, l.) und Tamino (I. Raoul, r.) treffen Pamina (H. Herbig-Matten) / © WDR/Nicole Briese


Einerseits wird die im Wald vor Sarastros Häschern fliehende Prinzessin Pamina gezeigt, andererseits den einem Singvogel nachstellenden Papageno (Kamera: Amin Oussar). Der Rhythmus des Schnitts betont zudem die Dramatik der Situation(en) und erhöht so die Spannung. Am Ende wird – auf übergeordneter Bedeutungsebene – der eine Vogel gefangen (Pamina), der andere entwischt. Letzterer wird sich später als hilfreich erweisen und Papagenos Wunsch erfüllen.

Drehorte: Schlösser und Eisenbahntunnel

Ebenso achtbar ist, dass die Handlungsräume, beispielsweise im Reich der Königin der Nacht, sinnfällig oft dunkel ausgeleuchtet sind (Szenenbild: Lena Tiffert) – wenngleich es den Märchenfilm insgesamt etwas düster anmuten lässt. Nebel bewirkt zudem, wenn sich die Herrscherin auf den Weg in Sarastros Reich macht, dass Situationen als bedrohlich empfunden werden.

Schloss Bürresheim ist auch Drehort für das ARD-Märchen "Rumpelstilzchen" (2009) / © Siegbert Pinger/pixelio.de

Schloss Bürresheim ist auch Drehort für das ARD-Märchen „Rumpelstilzchen“ (2009) / © Siegbert Pinger/pixelio.de


Drehort Schloss Stolzenfels gilt als Inbegriff der Rheinromantik / © Nick Herbold/pixelio.de

Drehort Schloss Stolzenfels gilt als Inbegriff der Rheinromantik / © Nick Herbold/pixelio.de


Außerfilmische Architektur, die oft in der „Sechs-auf-einen-Streich“-Reihe verwendet wird, beschränkt sich hier nicht nur auf bekannte Burgen – es sind Schloss Bürresheim in St. Johann und Schloss Stolzenfels in Koblenz – sondern beispielsweise auf den sogenannten Schwelmer Tunnel. Der 1879 erbaute und 1967 stillgelegte Eisenbahntunnel ist der Eingang zu Sarastros Reich (Location Scout: Patrick Popp).

Märchentypische Prüfungsrituale

Dorthin gelangt zwar die Königin dank Taminos Zauberflöte, aber er selbst und Papageno werden von ihr ausgetrickst und müssen draußen bleiben. Mit Hilfe Paminas, die einmal mehr ihre Rolle als Heldin bedient, nehmen sie das Wagnis auf, um in Sarastros Palast zu gelangen. Hier kommen Prüfungen ins Spiel, die schon aus der Oper bekannt sind, aber dort „zur Aufnahme in den Kreis der Eingeweihten“ berechtigen, um den „Tempel der Weisheit“ zu betreten.

Der Film lässt diese Motive komplett weg, nutzt aber die für das Märchen typischen Prüfungsrituale, die mit ansehnlichen, durchaus aufwändigen Spezialeffekten (SFX-Supervisor: Bernd Wildau) in Szene gesetzt werden: Tamino, Papageno und Pamina stellen sich zudem gemeinsam der Feuer- und Wasserprobe, um in Sarastros Reich zu gelangen.

Die Königin der Nacht (Jessica Schwarz, M.) auf dem Weg zu Sarastros Reich / © WDR/Nicole Briese

Die Königin der Nacht (Jessica Schwarz, M.) auf dem Weg zu Sarastros Reich / © WDR/Nicole Briese


Gleichzeitig überwindet Tamino damit seine Angst vor Feuer, die auf grausamen Kindheitserfahrungen gründen soll – auch wenn diese Psychologisierung nebulös und konstruiert erscheint.

Die Wandlung „vom egoistischen Trickbetrüger zum aufrechten Helden“ – so der WDR-Pressetext – ist ohnehin ein wenig zu hoch gegriffen. Sein anfänglicher „Egoismus“ hätte dann viel stärker herausgearbeitet werden müssen; seine Figur ist aber von Anfang bis Ende eher zurückhaltend sympathisch gezeichnet.

„Er hat einen Teil meines Landes geraubt“

Besser gelingen hier und dort Dialoge oder alltagssprachliche Redewendungen (verärgerte Königin der Nacht: „Ich lass mir doch von diesen Figuren nicht die Nacht verderben!“), die hier ob der Figur humorvoll angepasst werden. Daneben fällt auf der sprachlichen Ebene auf, dass Sätze wie „Im Osten liegt das Reich des abtrünnigen Sarastro“ und „Er hat nicht nur einen Teil meines Landes geraubt“, im Produktions- beziehungsweise Uraufführungsjahr des Märchenfilms fraglos bestimmte Lesarten hervorrufen (können).

Im Übrigen punktet der Film – ideologisch eher wertfrei – in Bezug auf Maske (Felix Jones, Frederika Höllrigl) und Kostüm (Laura Yasemin Schäffler), wenngleich man sich von unzähligen „Zauberflöte“-Aufführungen, aber auch vom Märchenfilm-Genre inspirieren lassen kann.

Tamino (Ilyes Raoul, l.) und Papageno (Dimitri Abold) verstecken sich in Sarastros Palast / © WDR/Nicole Briese

Tamino (Ilyes Raoul, l.) und Papageno (Dimitri Abold) verstecken sich in Sarastros Palast / © WDR/Nicole Briese


Pamina (H. Herbig-Matten, v. l.), Tamino (I. Raoul), Papageno (D. Abold), Papagena (C. Truman) / © WDR/Nicole Briese

Pamina (H. Herbig-Matten, v. l.), Tamino (I. Raoul), Papageno (D. Abold), Papagena (C. Truman) / © WDR/Nicole Briese


Es werden nicht nur mehr oder weniger ‚historische’ Kostüme aus vergangenen Jahrhunderten verwendet, sondern auch Accessoires, beispielsweise fantasievolle Kopfbedeckungen (Hüte, Kronen), die selten im ARD-Märchenfilm zu sehen sind.

Am Ende schaffen es zwar die Königin der Nacht im Verbund mit Monostatos den Palast von Sarastro einzunehmen, doch ebenso erreicht das Trio Tamino, Papageno und Pamina das Schloss. Nicht nur die Zauberflöte, sondern der Glauben an eigene Stärken verhilft letztlich dazu, dass das Gute über das Böse siegt.

Das Stiefmutter-Problem

Dass das Böse in „Das Märchen von der Zauberflöte“ aber nicht von Paminas Mutter, sondern von ihrer Stiefmutter verkörpert wird, zeigt den Wunsch, möglichst harmonische Familienbilder zu reproduzieren. Eine böse Stiefmutter ist okay, aber eine böse leibliche offenbar nicht. Dabei gehört sowohl die mütterliche Fürsorge als auch die stiefmütterliche Vernachlässigung zu den weiblichen Urbildern im Märchen (vgl. Freund 2005, S. 80–86).

Die Königin der Nacht (Jessica Schwarz, r.) benutzt Pamina (Harriet Herbig-Matten) nur / © WDR/Nicole Briese

Die Königin der Nacht (Jessica Schwarz, r.) benutzt Pamina (Harriet Herbig-Matten) nur / © WDR/Nicole Briese


Aber ebenso zu einem ‚Ur-Problem’, das schon die Grimms beschäftigt, als sie in einigen Märchen die leibliche Mutter in späteren Auflagen mit einer Stiefmutter ersetzen („Hänsel und Gretel“). Im darauffolgenden Jahrhundert wird das aus ideologischen Gründen wieder umgekehrt.

„Hänsel und Gretel“ ohne Stiefmutter

Im Büchlein „Alte deutsche Volksmärchen: Heft 7, Hänsel und Gretel“, herausgegeben vom NS-Winterhilfswerk (1941/42), werden die Kinder nicht ausgesetzt, „weil die Stiefmutter schlicht böse ist, sondern die Eltern ‚dachten, vielleicht würden Hänsel und Gretel von guten Leuten aufgenommen’“ (Geister 2021, S. 60). Der Grund: Das Bild einer bösen Stiefmutter passt nicht ins nationalsozialistische Familienbild.

Und im frühen westdeutschen Märchenfilm „Hänsel und Gretel“ (1954, R: Fritz Genschow) wird gleichermaßen auf die Stiefmutter verzichtet, um in den 1950er-Jahren ebenso „ein möglichst harmonisches Familienbild [zu] präsentieren, das die Folgen des Krieges (unvollständige bzw. zersplitterte Familien) nicht negativ“ (Schlesinger 2022, S. 103) besetzt.

Wie fängt man etwas richtig auf?

Treffsicherer, weil an den Diskursen des 21. Jahrhunderts orientierend (Wann ist ein Mann ein Mann? Müssen junge Frauen heiraten?), ist am Ende das Schlussbild in „Das Märchen von der Zauberflöte“.

Pamina (Harriet Herbig Matten) und ihr Ziehvater Sarastro (Waldemar Kobus) / © WDR/Nicole Briese

Pamina (Harriet Herbig Matten) und ihr Ziehvater Sarastro (Waldemar Kobus) / © WDR/Nicole Briese


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Es zeigt einen Tamino, der mit seinem Kumpel Papageno ‚Wie fängt man einen Beutel richtig auf?’ übt, und eine dabei zusehende und lächelnde Prinzessin Pamina, die sich fragt, ob sie nicht lieber Single bleiben soll.

Film: „Das Märchen von der Zauberflöte“ (BRD, 2023, R: Marvin Litwak). TV-Premiere am 26. Dezember (2. Weihnachtstag), 15.25 Uhr, im Ersten. Erscheint ab 15. Dezember 2023 auf DVD.

Drehorte: u. a.

  • Lava-Dome – Deutsches Vulkanmuseum, Brauerstraße 1, 56743 Mendig
  • Schloss Bürresheim, 56727 St. Johann
  • Schloss Stolzenfels, Schlossweg 11, 56075 Koblenz
  • Schwelmer Tunnel, 58332 Schwelm

Verwendete Quellen:

  • Freund, Winfried: Das Weibliche. In: Märchen. Köln: DuMont Literatur und Kunst Verlag, 2005, S. 80–86.
  • Geister, Oliver: Märchen in dunklen Zeiten. Geschichte des Märchens im „Dritten Reich“. Münster: agenda Verlag, 2021
  • Liebeskind, August Jacob: Lulu oder Die Zauberflöte. Mit einem Nachwort von Friedrich Dieckmann. Frankfurt a. M./Leipzig: Insel-Verlag, 1999
  • Litwak, Marvin: Producer & Director (abgerufen: 16.11.2023)
  • Mozart, Wolfgang Amadeus: Die Zauberflöte. Eine deutsche Oper in zwei Aufzügen. Text von Emanuel Schikaneder. Hrsg.: Staatsoper Stuttgart, Spielzeit: 2003/2004, Heft 81
  • Penzlin, Dagmar: Forschung zu Rassismus in Opern. Dem Toxischen auf der Spur. In: BR Klassik (vom: 21.1.2021, abgerufen: 17.11.2023)
  • Schlesinger, Ron: „Führer“, Verräter, entwertete Väter: Der König im deutschen Märchenspielfilm. Eine figurenanalytische Betrachtung des Genres im „Dritten Reich“ und im Nachkriegsdeutschland (Schriften zur Medienwissenschaft, Band 50). Hamburg: Verlag Dr. Kovač, 2022
  • Vogler, Christopher: Der Trickster. In: Die Odyssee des Drehbuchschreibers. Über die mythologischen Grundmuster des amerikanischen Erfolgskinos. Frankfurt a. M., 1997, S. 151–156.
  • Wieland, Christoph Martin: Dschinnistan oder auserlesene Feen- und Geistermärchen. Hrsg. von Gerhard Seidel. Berlin/Weimar: Aufbau-Verlag, 1982
  • Wolthens, Clemens: Die Zauberflöte. In: Ders.: Oper und Operette. Köln: Buch und Zeit Verlagsgesellschaft, S. 168–171.
  • Wulff, Hans Jürgen: Parallelmontage. In: Lexikon der Filmbegriffe (zuletzt geändert: 22.3.2022, abgerufen: 20.11.2023)
  • [o. A.]: Jessica Schwarz als Königin der Nacht: Drehstart für „Das Märchen von der Zauberflöte“ für ARD-Reihe „Sechs auf einen Streich“. In: Presselounge Westdeutscher Rundfunk (vom: 16.6.2023, abgerufen: 20.11.2023)


Headerfoto: Das Märchen von der Zauberflöte (D 2023): Ilyes Raoul spielt den Trickbetrüger Tamino / © WDR/Nicole Briese