Archiv für den Monat: Juni 2015

Der Teufel mit den drei goldenen Haaren (D 2013): Was ist Glück?

Der Teufel mit den drei goldenen Haaren (D 2013): Was ist Glück?

Sie stehen für Weisheit und Kraft: die drei goldenen Haare des Teufels. Wer sie dem Höllenfürsten ausreißen will, braucht Mut, Klugheit – und Glück. Im ARD-Märchenfilm „Der Teufel mit den drei goldenen Haaren“ erfährt der Zuschauer, wie’s geht, aber vor allem was zum wahren Glück gehört. Nur soviel: Drei goldene Haare sind dafür nicht nötig.

Im Wörterbuch findet sich unter dem Stichwort Glück der kurze Eintrag: „günstige Fügung, Begünstigung (durch Zusammentreffen von Umständen)“. So weit, so gut. Dennoch versteht jeder unter Glück etwas anderes: Für den einen ist es ein Sechser im Lotto, für den anderen ein sinnerfülltes Leben. Auch im Märchen ist die Definition von Glück alles andere als eindeutig. Zwar gelten „Glück und Unglück […] als Zentralbegriffe für das Märchen“ (Blum 1987, Sp. 1299), dennoch bleibt auch hier die Frage offen, was als wahres Glück angesehen wird.

Darauf will der ARD-Märchenfilm „Der Teufel mit den drei goldenen Haaren“ Antworten geben. Schon in der Vorlage der Brüder Grimm ist das Glück einer der Kernbegriffe des Märchens. Die Verfilmung, die 2013 für die ARD-Reihe „Auf einen Streich“ produziert wird, erweitert diese Grundidee: Verschiedene Glücksauffassungen werden gleichsam gegenübergestellt und wiederum mit dem Helden und seinem Gegenspieler verknüpft. Dennoch ist das Motiv, das das „Märchen vom Teufel mit den drei goldenen Haaren“ erst in Gang bringt, eine Weissagung.

Glückskind kann alles erreichen – auch die Königstochter heiraten

Im kleinen Dorf Ammenried wird ein Glückskind geboren. Der günstige Verlauf seines Schicksals wird schon bei der Geburt prophezeit. Eine Hebamme weissagt, dass „die göttlichen Mächte immer für ihn sorgen [werden], und dass ihm die dunklen Mächte nichts anhaben können“. Aber: „Er darf nur nie den Glauben an sein gutes Geschick verlieren.“ Das deutet bereits daraufhin, dass das Streben nach Glück ebenso Mut und aktives Handeln mit einschließt.

Schwarzer Dämon: König Ottokar (Thomas Sarbacher, l.) setzt das Glückskind im Fluss aus / Foto: SWR/Egon Werdin

Schwarzer Dämon: König Ottokar (Thomas Sarbacher, l.) setzt das Glückskind im Fluss aus / Foto: SWR/Egon Werdin


Die Prophezeiung besagt auch, dass ein Glückskind alles erreichen kann und vielleicht sogar die Tochter des Königs heiratet. Davon hört auch König Ottokar (Thomas Sarbacher). Der Herrscher wird anfangs als ambivalente Figur inszeniert: einerseits als alleinerziehender Vater einer kleinen Tochter, andererseits als besessener Alchemist, der – koste es, was es wolle – Gold herstellen will. Dafür presst er seinen Untertanen Steuergelder ab. Dennoch hat er mit seinen Experimenten kein Glück. Die Erfindung der Goldherstellung bleibt aus. Böttger lässt grüßen.

Ausgesetzter Findling sorgt doch noch für ein Familienglück

So werden bereits zu Beginn des Märchenfilms zwei wichtige Aussagen getroffen: Die Glücksfähigkeit des Kindes steht der Glücksunfähigkeit des Königs gegenüber. Dennoch versucht der Herrscher, das Glück zu überlisten: Er kauft den Eltern ihren Sohn unter einem Vorwand ab. Er solle am Hofe zusammen mit seiner Tochter Isabell aufwachsen. In Wahrheit setzt er den Kleinen in einem Körbchen im Fluss aus, dass sich die Prophezeiung nicht erfüllen möge. Doch er wäre kein Glückskind, wenn er nicht gerettet wird.

Glückliche, unbeschwerte Kindheit: Felix wächst gut behütet in einer Dorfgemeinschaft auf / Foto: SWR/Egon Werdin

Glückliche, unbeschwerte Kindheit: Felix wächst gut behütet in einer Dorfgemeinschaft auf / Foto: SWR/Egon Werdin


Keine Müllersleute, wie noch bei Grimms, sondern ein kinderloser Schmied und seine Frau nehmen den Findling auf und nennen ihn Felix (lateinisch: „vom Glück begünstigt“). Ganz nach dem Sprichwort „Jeder ist seines Glückes Schmied!“ hadern beide nicht mit ihrer schicksalhaften Kinderlosigkeit, sondern sorgen für den Kleinen wie für einen Sohn. Sie tun selbst aktiv etwas, um ihr Familienglück zu finden. Das schützt dennoch nicht vor Hass und Missgunst. Durch einen Zufall erfährt König Ottokar, dass das Glückskind noch lebt.

König versucht erneut, das Glückskind zu töten

Ein zweites Mal versucht der Herrscher, den jetzt 14-jährigen Felix (Jakub Gierszał) zu töten. Und wieder hat der Junge Glück im Unglück. Mehr noch, denn auch dieses Hindernis, das sich der böse König für ihn ausdenkt, dient letztlich nur Felix‘ Erhöhung – und spiegelt erneut die zwei Grundmotive des Märchenfilms: Glück und Unglück.

Bei Felix’ Pflegeeltern trifft der Herrscher den Jungen an – fröhlich und munter die Violine spielend, weil „er die Menschen damit glücklich machen kann“, so sein Ziehvater (Michael Schumacher) anerkennend. Der König lügt, dass der Junge fortan an seinem Hof spielen solle. Mit einem versiegelten Brief schickt er den Ahnungslosen auf den Weg zum Schloss.

Doch in der Mitteilung, die dort dem Priester (Bernd Stegemann) ausgehändigt werden soll, steht, dass der Überbringer sofort nach seiner Ankunft hinzurichten sei. Das Schriftstück und die damit verbundenen heimtückischen Pläne des Königs erinnern an den biblischen Uriasbrief – ein für den Überbringer Unglück bringendes Schreiben, das im Alten Testament erwähnt wird.

Was ist der Uriasbrief?

Der Brief ist nach Uria benannt, einem Mann aus dem kleinasiatischen Volk der Hethiter. Uria diente einst treu im Heer König Davids. Der Herrscher verführte aber Urias sehr schöne Frau namens Bathseba, indem er sie heimlich beim Baden (Waschen) beobachtete und danach verführte. Um Uria loszuwerden, schickte David ihn mit einem schriftlichen Befehl zu seinem Feldherrn Joab, ein Heerführer und Neffe König Davids. In diesem stand:

Stellt Uria vornehin, wo der Kampf am härtesten ist, und zieht euch hinter ihm zurück, daß er erschlagen werde und sterbe. (2. Buch Samuel, 11, S. 329)

Das war Urias Todesurteil. Später ließ David Urias Witwe Bathseba, „sobald sie aber ausgetrauert hatte“, in sein Haus holen und nahm sie zur Ehefrau. Sie gebar ihm einen Sohn. Doch die Bibel sagt auch: „Aber dem HERRN mißfiel die Tat, die David getan hatte“ (vgl. ebd. S. 330)

„Die Räuber“ von Friedrich Schiller

Im Grimm’schen Märchen „Der Teufel mit den drei goldenen Haaren“ ist das Glück allerdings weiter auf der Seite des Helden Felix, das Unglück auf der des Königs Ottokar. Im Märchenfilm verirrt sich der Junge im Wald und trifft auf ein paar aufständische Adlige. Die ganze Szenerie ähnelt in Ausstattung, Handlung, Figuren entfernt an das Schiller’sche Drama „Die Räuber“.

Höllenfahrt: Felix (Jakub Gierszał) und Isabell (Saskia Rosendahl) auf dem Weg zum Teufel / Foto: SWR/Egon Werdin

Höllenfahrt: Felix (Jakub Gierszał) und Isabell (Saskia Rosendahl) auf dem Weg zum Teufel / Foto: SWR/Egon Werdin


Zwar geht es in dem Bühnenstück von 1782 um zwei rivalisierende Brüder, die um die Liebe zu ihrem Vater, eines Grafen, kämpfen. Dennoch lassen sich Entsprechungen ausmachen. Einer der Grafensöhne, Karl, wird bei Schiller Hauptmann einer Räuberbande. Im Märchenfilm ist der Anführer ebenfalls ein Graf (Robert Besta), der – wie Karl – im Grunde ein gutes Herz besitzt.

Aufständische vertauschen Brief des Königs

Sowohl bei Schiller als auch im ARD-Märchen fremdeln die ‚Räuber’ mit der politischen Ordnung. Im Film sind die Aufständischen zudem auf den Herrscher nicht gut zu sprechen („Unser König muss weg“), weil er das Geld des Volkes mit seinen sinnlosen Forschungen verschwende.

Traumpaar: Felix (Jakub Gierszał) und Isabell (Saskia Rosendahl) verstehen sich gut / Foto: SWR/Egon Werdin

Traumpaar: Felix (Jakub Gierszał) und Isabell (Saskia Rosendahl) verstehen sich gut / Foto: SWR/Egon Werdin


Die jungen Männer öffnen den Brief und sind über den hinterlistigen Inhalt schockiert. Sie setzen deshalb ein neues Schriftstück auf und lassen Felix weiterziehen. Als er das Schloss erreicht und der Brief dem Priester sowie der Königstochter Isabell (Saskia Rosendahl) übergeben wird, sind alle – auch Felix – über den Inhalt erstaunt: Der Überbringer solle umgehend mit der Prinzessin verheiratet werden. So erfüllt sich die Prophezeiung dann doch.

Königstochter: blass in der Vorlage, stark im ARD-Märchenfilm

Anders als bei den Brüdern Grimm, in der die Prinzessin nur am Rande erwähnt wird, rückt sie Drehbuchautor Rochus Hahn in den Mittelpunkt der Handlung. Das ist nicht neu, aber gut. Nicht neu deshalb, weil fast alle ARD-Märchenfilme der vergangenen Jahre auch auf weibliche Identifikationsfiguren setzen.

Prophezeiung: Glückskind Felix (Jakub Gierszał) heiratet Prinzessin Isabell (Saskia Rosendahl) / Foto: SWR/Egon Werdin

Prophezeiung: Glückskind Felix (Jakub Gierszał) heiratet Prinzessin Isabell (Saskia Rosendahl) / Foto: SWR/Egon Werdin


Aber gut deswegen, weil Mädchen und junge Frauen dadurch aktive weibliche Rollenmodelle im Märchen kennenlernen – neben aktiven männlichen Helden, die das klassische Märchen im Original ohnehin bietet. Das zeigen zum Beispiel die Königstöchter in „Sechse kommen durch die ganze Welt“ (2014) oder „Die Prinzessin auf der Erbse“ (2010): blass in der Vorlage, stark im Film.

Kleid vs. Jägerkostüm: amüsantes, aber überflüssiges Crossdressing

Drehbuchschreiber Hahn geht in der Figur der Königstochter Isabell noch einen Schritt weiter und bringt Crossdressing ins Spiel, also das Tragen von Kleidung des anderen Geschlechts. Dennoch sind Frauen in Männerkleidung (und umgekehrt) im ARD-Märchenfilm eher die Ausnahme als die Regel, obwohl schon die Heldin in „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ (CSSR/DDR 1973) Kleid gegen Jägerkostüm tauscht und als „pagenköpfiger Robin Hood“ (Liptay 2004, S. 199) den Kopf des heterosexuellen Prinzen verdreht. In „Der Teufel mit den drei goldenen Haaren“ wirkt diese durchaus gute, moderne Idee aber eher aufgesetzt und unmotiviert in der Handlung.

Crossdressing im Märchenfilm: Prinzessin Isabell (Saskia Rosendahl, r.) in Männerklamotten / Foto: SWR/Egon Werdin

Crossdressing im Märchenfilm: Prinzessin Isabell (Saskia Rosendahl, r.) in Männerklamotten / Foto: SWR/Egon Werdin


Isabell will – unerkannt im Jäger-Outfit (sic!) – Felix dabei helfen, eine unlösbare Aufgabe zu bestehen: Der König hat erfahren, dass er drei goldene Haare des Teufels braucht, um endlich das Gold herzustellen. Um seinen Schwiegersohn loszuwerden, schickt er ihn über den Jordan in die Hölle – sein dritter Versuch, ihn zu töten. Auf dem Weg lernt Felix einen jungen Mann (verkleidete Isabell) kennen, freundet sich mit ihm an. Allerdings fragt sich der Zuschauer, weshalb sie ihrem Ehemann nicht einfach als Ehefrau helfen kann. Das wäre schlüssiger gewesen.

Visuelle Parallelen: Teufel erinnert an Gold gierigen König

In der Hölle trifft Felix auf die gutmütige Großmutter des Teufels (Christine Schorn), weil ihr Enkel (André M. Hennicke) auswärts sein Unwesen treibt. Obwohl der Teufel, wie noch im Grimm’schen Märchen, nicht gerade als „Familienkuscheltier“ (Freund 2005, S. 92) daherkommt, ist er als Film-Figur überraschend eindimensional. Sein Wesen, sein Charakter bleibt verborgen.

Später wird er von der Großmutter überlistet. Sie reißt ihm nacheinander drei goldene Haare aus. Weitaus interessanter ist das Aussehen des Höllenfürsten (Kostüme: Andreas Janczyk, Maske: Jelka Hesse). Er ähnelt auf verblüffende Weise seinem diesseitigen Pendant: König Ottokar. Wer ist Teufel, wer ist König?

Show-Man: Der Teufel (André M. Hennicke) mit den drei goldenen Haaren in seiner Hölle / Foto: SWR/Egon Werdin

Show-Man: Der Teufel (André M. Hennicke) mit den drei goldenen Haaren in seiner Hölle / Foto: SWR/Egon Werdin


Diese Parallelen wollen deutlich machen, dass die rücksichtslose Gier nach Gold teuflische Züge annehmen kann. Erzählerisch erinnert König Ottokar ebenso an den sagenhaften König Midas, der sich wünscht, dass alles zu Gold werde, was er berühre. Der „Fluch des Goldes, seine korrumpierende Wirkung“ (Horn 1987, Sp. 1364) bringen Midas fast den Tod, weil sich auch alles Essen und Trinken in das Edelmetall verwandelt.

Die Goldgier bringt König Ottokar zwar nicht den Tod, dennoch endet sein Leben im Unglück. Felix und Isabell haben ihr gemeinsames Liebes-Glück erreicht, nicht automatisch, sondern nach Bewährungsproben, in denen sie Mut gezeigt haben.

Film: „Der Teufel mit den drei goldenen Haaren“ (2013, R: Maria von Heland, BRD). Ist auf DVD erschienen.

Drehorte:

  • Freilichtmuseum Beuren, In den Herbstwiesen, 72660 Beuren (Dorf-Szenen)
  • Burg Teck, 73277 Owen/Teck (Schloss-Außenaufnahmen)
  • Kloster und Schloss Bebenhausen, 72074 Tübingen-Bebenhausen (Schloss-Innenaufnahmen)
  • Naturpark Schönbuch, 72074 Bebenhausen (Wander-Szenen)
  • Steinbruch von Reusten, 72119 Ammerbuch-Reusten (Überfahrt-Szenen)
  • Falkensteiner Höhle, 72582 Grabenstetten (Höllen-Außenaufnahmen)
  • Schloss Ehrenfels, Ehrenfels 1A, 72534 Hayingen (Höllen-Innenaufnahmen)

Literatur:

  • Altes Testament: Das zweite Buch Samuel. In: Die Bibel oder die ganze Heilige Schrift des Alten und Neuen Testaments nach der Übersetzung Martin Luthers. Stuttgart, 1979, S. 319–348, hier: S. 329f. (11: Davids Ehebruch und Blutschuld)
  • Blum, Elisabeth: Glück, in: Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung. Hrsg. von Kurt Ranke. Bd. 5. Berlin/New York, 1987, Sp. 1299–1305
  • Freund, Winfried: Märchen. Köln, 2005, S. 92
  • Horn, Katalin: Gold, Geld, in: Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung. Hrsg. von Kurt Ranke. Bd. 5. Berlin/New York, 1987, Sp. 1357–1372
  • Liptay, Fabienne: WunderWelten. Märchen im Film. Remscheid, 2004, S. 199


Headerfoto: André M. Hennicke als Höllenfürst in „Der Teufel mit den drei goldenen Haaren“ / Foto: SWR/Egon Werdin