Im Kern erzählt der ARD-Märchenfilm über die Suche nach einem mystischen Wunderwasser. Mit Denise M’Baye als schwarzer Zauberin und einer Prinzessin, die gegen ihren Willen geküsst wird, schiebt die Verfilmung zugleich Debatten über Rassismus und #MeToo im Märchenland an.
Es ist ein eher unbekanntes Grimm’sches Märchen. Und doch enthält „Das Wasser des Lebens“ – erstmals 1815 veröffentlicht und 2017 von der ARD verfilmt – bekannte Motive aus der Märchenliteratur. Zum einen das Wasser des Lebens, „ein kostbares, schwer zu erlangendes Gut“ (Diederichs 1995, S. 364), von dem jeder gesund wird und das bereits in den alten orientalischen Märchen aus 1001 Nacht auftaucht.
Zum anderen erzählt es von ungleichen Brüdern: Hier muss sich der jüngste Spross gegenüber dem oder den älteren behaupten – und hat am Ende die Nase vorn, wie auch in „Die goldene Gans“ oder „Die drei Federn“. In „Das Wasser des Lebens“ liegt ein König im Sterben. Seine drei Söhne suchen das Wunderwasser, aber nur der Jüngste erlangt es und rettet den Vater. Die beiden älteren Brüder haben das Nachsehen.
ARD-Märchenfilm entsteht für „Auf einen Streich“
Damit zählt die Geschichte zu den sogenannten Brüdermärchen. In denen spielen die Beziehungen von Brüdern untereinander eine Rolle – und vor allem ihre unterschiedlichen Eigenschaften und äußeren Erscheinungen: jung/alt, gut/böse oder schön/hässlich. Auch der ARD-Märchenfilm, der für die TV-Reihe „Auf einen Streich“ entsteht, stellt die Gegensätzlichkeit der Brüder heraus.
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Die drei Federn (D 2014): Ein Plädoyer für die Ästhetik
Die Salzprinzessin (D 2015) – und der schwarze Prinz
Zwei ungleiche Schwestern: Schneeweißchen und Rosenrot (D 2012)
Autor David Ungureit, der 2017 mit „Das Wasser des Lebens“ bereits das zehnte Drehbuch für ein ARD-Märchen abliefert, verstärkt den Antagonismus, in dem er auf den dritten Bruder verzichtet und die Geschichte auf zwei konzentriert: Prinz Falk, dessen Rolle der damals 35-jährige Musiker und Schauspieler Gil Ofarim übernimmt, ist der ältere böse Bruder.
Zwei Brüder, die nicht gegensätzlicher sein könnten
Sein Äußeres – dunkle Kleidung, hohe Schaftstiefel, streng zu einem Zopf gebundene lange Haare – erinnert an einen Krieger (Kostümbild: Verena Reuter-Züll, Maske: Elke Hahn, Marion Giggenbacher) und spiegelt zugleich seinen Charakter wider: kämpferisch, skrupellos, kaltherzig. Ihm steht sein jüngerer Bruder Lennard gegenüber, gespielt vom damals 21-jährigen Gustav Schmidt in seiner ersten TV-Hauptrolle.
Lennard vereint alles Gegensätzliche in seiner Person. Und das zeigt sich eben auch in Erscheinung und Charakter: Sein mit Goldfäden durchwirktes Wams steht im Kontrast zu Falks Äußerem. Der helle goldgelbe Farbton repräsentiert dabei seinen sympathischen Charakter. Zudem verweist das edle und seltene Metall Gold, das im Märchen immer für etwas Auserwähltes, Besonderes steht, gerade prophetisch auf Lennards späteren Triumph.
Wenn das Gold auf ein Happy End hindeutet
Nicht ohne Grund verliert „Aschenputtel“ seinen goldenen Schuh. „Frau Holle“ belohnt ein fleißiges Mädchen mit einem Goldregen. Und ein Dummling bringt mit einer „Goldenen Gans“ die Prinzessin zum Lachen. Hier wie dort ist das Gold der Schlüssel zum Glück und deutet bereits auf ein Happy End für die Märchenfigur hin.
Bis es soweit ist, müssen sich die Helden und Heldinnen mitunter schwierigen Prüfungen stellen, so auch in „Das Wasser des Lebens“. Lennard versucht – wie zuvor sein Bruder Falk – das Wunderwasser zu finden, das seinem kranken Vater König Ansgar (Matthias Brenner) helfen könnte. Bei den Grimms treffen die Brüder während ihrer Suche auf einen Zwerg, der ihnen den Weg dorthin zeigt oder verwehrt.
Die ‚erste schwarze Zauberin im ARD-Märchenfilm’
Nach der Figurentheorie des US-amerikanischen Drehbuchautors Christopher Vogler kommt diesem Zwerg die Rolle eines sogenannten Schwellenhüters zu. Dieser tritt auf, „wenn der Held einen weiteren Schritt in der neuen Welt machen will. [Seine] Funktion ist, ihn zu prüfen, ob er tatsächlich schon so weit ist. Wichtig ist, wie der Held auf einen Schwellenhüter reagiert“ (Kellermann 2015).
In der ARD-Verfilmung erscheint den Brüdern im schaurigen Düsterwald eine Schwellenhüterin, die Zauberin Salwa (arab.; dt.: Paradiesvogel). Die Rolle übernimmt die Schauspielerin Denise M’Baye, die 2010 als „erste schwarze Nonne im TV“ (Bild) für Schlagzeilen in der Boulevardpresse sorgte. Als sie sieben Jahre später die – um im Sprachstil zu bleiben – ‚erste schwarze Zauberin im ARD-Märchenfilm’ spielt, gibt es allerdings keinen Aufschrei mehr.
Schwarze Schauspieler nur in Klischeerollen?
Und doch betritt M’Baye durchaus Neuland. Nach dem Afrodeutschen Elvis Clausen, der 2015 in „Die Salzprinzessin“ die Rolle des schwarzen Prinzen Thabo spielt, ist M’Baye die erste weibliche Schwarze in der ARD-Reihe „Auf einen Streich“. Kurz zur Einordnung: Seit dem Start im Jahr 2008 wurden 46 Märchen verfilmt.
Als 2019 zum ersten Mal eine schwarze Kommissarin den „Tatort“-Mörder in der ARD fangen durfte (Florence Kasumba an der Seite von Maria Furtwängler), fragte das Newsportal „bento“, warum schwarzen Schauspielern sonst nur Klischeerollen angeboten werden. Auch die Rolle von Denise M’Baye als Zauberin Salwa bedient alte Denkmuster: ein bisschen exotisch, ein bisschen Voodoo-Zauber, ein bisschen rassistisch.
#MeToo-Debatte im Märchenland
Eine Prinzessin durfte M’Baye nicht spielen. Diese übernimmt auch in „Das Wasser des Lebens“ eine weiße Schauspielerin: Hier ist es Marlene Tanczik, bekannt aus der Vox-Serie „Milk and Honey“ (2018). Ohnehin beweisen die ARD-Filmemacher mit der Inszenierung von weißen weiblichen Märchenfiguren ein glücklicheres Händchen.
Als Lennard auf der Suche nach dem Wasser des Lebens die schlafende Prinzessin Friederike in einem verwunschenen Schloss wachküsst – festgehalten von Kameramann Marcus Stolz wie bei „Dornröschen“ –, ist sie erst einmal not amused und gibt ihm prompt eine Ohrfeige. Denn der Kuss sei schließlich nicht einvernehmlich erfolgt: #MeToo im Märchenland.
Brüdermärchen vs. Liebesgeschichte
Doch weil wir dennoch im Märchen sind, verliebt sich Friederike natürlich in Lennard und hilft ihm drei schwierige Prüfungen zu bestehen: Nur so erlangt er das Wasser des Lebens, das seinen kranken Vater heilen kann – und triumphiert am Ende über seinen Bruder Prinz Falk. Regisseur Alexander Wiedl, der auch ARD-Telenovelas wie „Sturm der Liebe“ (seit 2005) in Szene setzt, macht dabei nicht den Fehler, die Liebesgeschichte in den Mittelpunkt zu rücken.
Vielmehr bleibt er erzählerisch und ästhetisch dem eigentlichen Brüdermärchen treu, auch wenn damit der Erzählstrang um Prinzessin Friederike und die Erlösung ihres verwunschenen Schlosses ein wenig eindimensional wirkt. Deshalb wäre für dieses komplexe Märchen ein 90-Minuten-Format fast passender gewesen. Als einstündiger ARD-Märchenfilm gehört er dennoch zu den leicht überdurchschnittlichen Produktionen einer eher konventionellen TV-Reihe.
Film: „Das Wasser des Lebens“ (BRD, 2017, R: Alexander Wiedl). Ist auf DVD erschienen.
Drehorte:
- Bergbaumuseum Mechernich, Bleibergstraße 6, 53894 Mechernich
- Schloss Ehreshoven, Ehreshoven 23, 51766 Engelskirchen
- Schloss Garath, Garather Schlossallee 19, 40595 Düsseldorf
- Schloss Gymnich, Balkhausener Straße 2, 50374 Erftstadt
- Schloss Hülchrath, 41516 Grevenbroich-Hülchrath
Verwendete Quellen:
- Brüder Grimm: Das Wasser des Lebens. In: Kinder- und Hausmärchen. Ausgabe letzter Hand mit den Originalanmerkungen der Brüder Grimm. Mit einem Anhang sämtlicher, nicht in allen Auflagen veröffentlichter Märchen und Herkunftsnachweisen hrsg. von Heinz Rölleke. Stuttgart, 1980, Bd. 2, S. 69–75.
- Diederichs, Ulf: Who’s who im Märchen. München, 1995.
- Kellermann, Ron: Die Heldenreise – Teil 4: Die Archetypen (vom 16.3.2015, abgerufen: 31.3.2019)
- Plüm, Markus: Promis drehen Märchenfilm in Hülchrath. In: NGZ online (vom 13.6.2017, abgerufen: 31.3.2019)
- Richter, Nicole: „Um Himmels Willen“ – Denise M’Baye ist die erste schwarze Nonne im TV. In: Bild.de (vom 16.2.2010, abgerufen: 31.3.2019)
- Wolf, Thembi: Wir haben mit jungen schwarzen Schauspielern über ihre Rollen gesprochen. In: bento.de (vom 3.2.2019, abgerufen: 31.3.2019)
Headerfoto: Prinz Lennard (Gustav Schmidt, r.) gibt dem verletzten Bruder Prinz Falk (Gil Ofarim) vom Wasser des Lebens zu trinken / © WDR/Kai Schulz