Der rumänische Märchenklassiker erzählt über einen Hirtensohn, der ewig jung bleiben will. Zugleich rückt der Film universale Fragen ins Blickfeld, die bis heute nichts an Aktualität eingebüßt haben.
August 1970. In der Hauptstadt Berlin sowie in den Bezirksstädten Magdeburg und Dresden finden die „Tage des Films der Sozialistischen Republik Rumänien in der DDR“ statt. Hinter dem etwas sperrigen Titel steht der Versuch, über das laufende Kinoangebot hinaus neue Produktionen aus dem Bruderland zu zeigen. Daneben sind aber auch Beiträge im Programm, die schon erfolgreich in Rumänien gestartet sind.
So wie der Märchenfilm „Das Schloss hinterm Regenbogen“ (RO 1969), den dort bereits „Millionen Zuschauer gesehen“ (Heidicke 1970, S. 6) haben. Die Geschichte über einen Hirtensohn, der ins Reich der Unsterblichkeit aufbricht, in dem Jugend ohne Alter und Leben ohne Tod herrschen, holt 1969 zudem Preise auf internationalen Festivals.
Das farbenfrohe Märchen ist deshalb eines der ‚Zugpferde’, mit denen die DDR-Kulturverantwortlichen das Publikum ins Kino locken möchte. Dass es, obwohl vom Progress-Filmverleih nur für das Kinderprogramm vorgesehen, sogar im Abendprogramm des Festivals läuft, gefällt nicht jedem. So unkt das „Neue Deutschland“, dass ein „Gegenwartsfilm das Bild über den Stand der Filmkunst in diesem Land besser abgerundet hätte“ (Beckman 1970, S. 4).
Gerade weil dies nicht geschieht, setzt „Das Schloss hinterm Regenbogen“ schon bei den Uraufführungen in der DDR seinen cineastischen Siegeszug an – der bis heute anhält. Denn es ist ein zeitloser Märchenfilm, in vielerlei Hinsicht.
Übermäßige Spielfilmlänge, ungewöhnliche Bildideen
Dabei beginnt der Klassiker alles andere als konventionell. Denn der für ein Kinderpublikum in übermäßiger Länge hergestellte Märchenfilm (97 Minuten) überrascht gleich mit ungewöhnlichen Bildideen: Drei Feen, die die Geburt eines Recken voraussagen, ‚tanzen’ ihre Weissagungen (Tapferkeit, Schönheit, Mut etc.) mit eigenwilligen Bewegungen und Schritten.
Diese Choreografie wird sich durch den ganzen Film ziehen; so erinnert das Schauspiel der Figuren mitunter an Ballettaufführungen. Später wird die Regisseurin von „Das Schloss hinterm Regenbogen“, Elisabeta Bostan (*1931), diesen gestalterischen Weg zum Märchen-Musical weiter gehen und ihn perfektionieren („Vom Wolf und den pfiffigen Geißlein“, RO/SU/F, 1977).
Klassische Bilderwelten bedienen hingegen die panoramahaften Landschaftsaufnahmen der Karpaten. Jene romantische Bergregion in Südosteuropa dient als Drehort, an dem der Hirtensohn geboren wird. Zusätzlich entstehen im Studio mittels Trick oder auf dem Filmgelände neue Handlungsorte, die der Held durchschreitet.
Erst ‚Sandalenfilm’, dann Märchenklassiker
Dessen Rolle übernimmt Mircea Breazu (*1946). Der damals 23-Jährige hat zuvor kleinere Rollen in zwei ‚Sandalenfilmen’ gespielt, jenem einst erfolgreichen Filmgenre, das Mitte/Ende der 1960er-Jahre allerdings an den Kinokassen an Zugkraft verliert.
Doch die „Attraktion des muskulösen, entblößten Männerkörpers“ (Distelmeyer 2004), die Streifen wie „Der letzte große Sieg der Daker“ (RO/F, 1966, R: Sergiu Nicolaescu) oder „Kampf um Rom“ (BRD/I/RO, 1968, R: Robert Siodmak) im Übermaß bedienen, ebnet Breazu den Weg zu Höherem.
Dabei ist er in „Das Schloss hinterm Regenbogen“ nur im hochgeschlossenen (Trachten-)Kostüm inszeniert. Doch die Kamera von Julius Druckmann (*1929) und Gheorghe Iliuţ scheint verliebt in den jungen, attraktiven Mann, denn sie fotografiert ihn oft in Nahaufnahmen.
Klassische Farbdramaturgie
Währenddessen rückt die Kamera die ebenso klassische Farbdramaturgie der Figuren ins Bewusstsein, die den Guten Weiß, Gold und Silber, den Bösen Schwarz, Blau und Violett zubilligt. Die Gegensätze werden demnach auch mittels Farbe ausgedrückt.
Zu den guten Charakteren zählen neben Breazu als Hirtensohn auch die Silberfee beziehungsweise die Prinzessin aus dem Reich der Unsterblichkeit (Anna Széles, *1942), in die sich der Recke verliebt. Beider Widersacher ist der Sohn des Königs der Lügner (Ion Tugearu, *1937), ein Prinz, dem Heimtücke und Verrat Mittel zum Zweck sind und der als geschlossen böse Figur inszeniert ist.
Auch die drei Handlungsorte unterwerfen sich einer bestimmten Farbgestaltung: Ist die Welt der einfachen Menschen von Erdfarben wie Grün (Wiesen, Wälder), Braun (Berge) und Anthrazit (Felsen) dominiert, so regieren im Land der ewigen Jugend Gold und Silber. Im Land der Lügner herrschen dagegen die Farben Blau und Violett vor; jene korrespondieren ebenso mit den Figuren wie dem erwähnten Lügenprinz und seinem Vater, dem Lügenkönig (Nicolae Secareanu).
Vorlage „Jugend ohne Alter, Leben ohne Tod“
Dabei unterstützen die Farbwelten eines der Themen des Märchenfilms: der Kampf um Wahrheit und Lüge – obgleich dieser in der Vorlage „Jugend ohne Alter, Leben ohne Tod“ von Petre Ispirescu (1830–1887) nicht vorkommt:
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TV-TIPP
Das Schloss hinterm Regenbogen (1969): Freitag, 7. April 2023 (Karfreitag) um 16.25 Uhr im MDR.
Hier geriet ein Kaisersohn nach siegreichen Kämpfen gegen Ungeheuer in ein Zauberreich. Dort erlangte er die Unsterblichkeit, doch er bekam Heimweh zu den Seinigen. In der Heimat alterte er schnell, „fiel todt hin und zerfiel augenblicklich zu Staub“ (Kremnitz 1882, S. 29).
„Die Lüge lebt ewig, sie geht nicht unter!“
Regisseurin Bostan, die auch das Drehbuch schreibt, reichert die Verfilmung dagegen mit weitgreifenden Fragen an, beispielsweise die um Wahrheit und Unwahrheit. Hierbei legt sie dem bösen Prinzen, den sie wie seinen Vater neu in die Geschichte aufnimmt, Sätze wie „Die Lüge lebt ewig, sie geht nicht unter!“ in den Mund (Dialog-Synchronisation: Friedel Hohnwald).
Damit macht sie deutlich, dass der Kampf gegen die Unwahrheit eine immerwährende Auseinandersetzung ist, die zwar in „Das Schloss hinterm Regenbogen“ am Ende mit dem Tod des Lügenprinzen einen (Etappen-)Sieg feiert.
Doch das Land der Lügen lässt Bostan weiter existieren; es ist gleichsam eine Warnung, immer wachsam und auf der Hut zu sein. Im 21. Jahrhundert, einer Zeit, in der alternative Fakten und „Fake News“ an Bedeutung gewinnen, lässt gerade diese Lesart den Märchenfilm ausgesprochen aktuell erscheinen.
Goldene Ähre, Goldener Apfel, Goldener Schlüssel
Demgegenüber ist im Land der ewigen Jugend – in dem auch das besagte Schloss hinterm Regenbogen steht, „‚die Bestimmung des Menschen […], durch Güte, Wahrheit und Weisheit Vollkommenheit anzustreben’“ (Simons 1990, S. 357). Die Wahrheit, als Gegenentwurf zur Lüge, wird hier von einer von Wohlwollen und Nachsicht bestimmten Gesinnung (Güte) und einer tiefer gehenden Einsicht in Lebenszusammenhänge (Weisheit) flankiert, um letztlich an das Maximum des jeweils Erreichbaren (Vollkommenheit) zu gelangen.
Alle drei – Güte, Wahrheit, Weisheit – repräsentiert der einfache Hirtensohn, wenn er ebenso drei Aufgaben löst beziehungsweise drei Zauberdinge herbeischafft. Um ins Reich der Unsterblichkeit zu gelangen und selbst immer jung zu bleiben, muss er folgerichtig die Goldene Ähre der Güte, den Goldenen Apfel der Wahrheit und den Goldenen Schlüssel für das Buch der Weisheit herbeiholen.
Alte und neue Märchenmotive
Dass der rumänische Märchenfilm dabei in seiner Gestaltung auch Anleihen aus der internationalen Geschichte dieses Genres nimmt, zeigen populäre Bildmotive wie das fliegende Pferd („Der Dieb von Bagdad“, USA, 1940, R: Ludwig Berger u. a.) oder die Hexe der Dürre („Der Zauberer von Oz“, USA, 1939, R: Victor Fleming).
Doch auch umgekehrt lassen sich Bezüge ausmachen, wenn der Herr der Zeit aus „Das Schloss hinterm Regenbogen“ dem König aller Uhren (Sacha Baron Cohen) in „Alice im Wunderland: Hinter den Spiegeln“ (USA, 2016, R: James Bobin) ähnelt.
Beide sind übergeordnete Instanzen, die das Schicksal der Menschen beeinflussen und über Leben und Tod entscheiden. Eben jener Herr der Zeit hilft dem Hirtensohn am Ende, wenn er ihm ebenso drei Rätsel stellt, die er dank seiner Fähigkeiten löst und unsterblich wird.
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Wie man Prinzessinnen weckt (ČSSR 1977) – oder: Von einem Prinzen, der auszog, sich selbst zu finden
Dass er sich am Ende dennoch gegen die ewige Jugend entscheidet – wenn er vom Wasser des Leides und der Sehnsucht trinkt und wieder zum ‚Menschen’ wird –, scheint zuerst zu irritieren. Dabei kann diese Entscheidung heute in Zeiten der realen Vorstellung eines zeitlich unbegrenzten Lebens, das angeblich ab 2045 möglich sein soll (vgl. Harmsen 2022), auch als Plädoyer für eine Enttabuisierung des Todes und einer Verneigung vor der Vergänglichkeit gelesen werden.
Film: „Das Schloss hinterm Regenbogen“ (RO, 1969, R: Elisabeta Bostan). Auf DVD erschienen.
Verwendete Quellen:
- Beckman, Manfred: Begegnung mit Menschen aus dem Gestern und dem Heute. Zu den Tagen des Films der Sozialistischen Republik Rumänien. In: Neues Deutschland (25) 1970, Nr. 228, 19.8.1970, S. 4.
- DEFA-Filmdatenbank: Das Schloss hinterm Regenbogen (RO 1969) (abgerufen: 29.6.2023)
- Distelmeyer, Jan: Kino-Trend Sandalenfilm. Muskelspiele im Lendenschurz. In: Spiegel (vom: 14.5.2004, abgerufen: 26.6.2023)
- Harmsen, Torsten: Bis 2045 wird der Tod abgeschafft. Futuristen wollen Unsterblichkeit erreichen. In: Berliner Zeitung (vom: 23.10.2022, abgerufen: 29.6.2023)
- Heidicke, Manfred: Tage des rumänischen Films. Märchen, Historie und Gegenwart. Pressekonferenz mit Filmschaffenden in Berlin. In: Berliner Zeitung (26) 1970, Nr. 224, 15.8.1970, S. 6.
- Kremnitz, Mite: Jugend ohne Alter und Leben ohne Tod. In: Rumänische Märchen. Leipzig, 1882, S. 16–29.
- Simons, Rotraudt: Das Schloß hinterm Regenbogen. In: Berger, Eberhard/Giera, Joachim (Hrsg.): 77 Märchenfilme. Ein Filmführer für jung und alt. Berlin, 1990, S. 354–357.
Weitergehende Literatur: Buder, Horst: Träume, Taten, Traditionen. Die Beiträge zu den Tagen des rumänischen Films. In: Neue Zeit (26) 1970, Nr. 193, 16.8.1970, S. 4.
Headerfoto: Das Schloss hinterm Regenbogen (1969): Der Recke (Mircea Breazu) reitet ins Land der Unsterblichkeit / Foto: MDR/PROGRESS Filmverleih/Centrul Național al Cinematografiei