Es gibt einige sehenswerte Verfilmungen des französischen Märchens, darunter von Jean Cocteau und Walt Disney. 2012 legt das ZDF seine Neufassung vor – inklusive Abstecher in die deutsche Literaturgeschichte.
Mit „Die Schöne und das Tier“, in dem ein hübsches Mädchen mit seiner Liebe einen verzauberten Prinzen erlöst, haben deutsche Filmemacherinnen und -macher in der Vergangenheit stets gefremdelt.
Zum einen, weil sie sich internationalen Verfilmungen gegenübersahen, die in ihrer kongenialen Machart so unerreichbar schienen. Dazu gehören „La Belle et la bête“ (F 1946) von Jean Cocteau oder Walt Disneys „The Beauty and the Beast“ (USA, 1991, R: Gary Trousdale, Kirk Wise), der mit 5,2 Kinozuschauerinnen (vgl. Insidekino.com) und -zuschauern in Deutschland Rekorde einfuhr.
Zum anderen, weil ähnliche Versionen des Märchens, wie „Das singende springende Löweneckerchen“ von den Brüdern Grimm, hierzulande stets populärer waren und in „Das singende klingende Bäumchen“ (DDR, 1957, R: Francesco Stefani) oder „Der Prinz hinter den sieben Meeren“ (DDR, 1982, R: Walter Beck) erfolgreich ihre filmische Entsprechung fanden.
Freilich nahm sich auch die Deutsche Film-AG, kurz: DEFA, das staatliche Filmstudio der DDR, direkt im Titel der französischen Vorlage an, wie der Animationsfilm „Die Schöne und das Tier“ (DDR, 1977, R: Katja Georgi) und ein gleichnamiger Schauspielfilm in der Regie von Rainer Bär (1983) beweisen. Doch gerade letzteres für das „Fernsehen der DDR“ inszenierte Gegenwartsmärchen, in dem das Waisenmädchen Alice (Annegret Siegmund) die Rolle der Schönen in einem Märchenfilm übernehmen soll, machte die ‚Distanz’ noch einmal augenfällig.
ZDF-Märchenfilm „Die Schöne und das Biest“
Um so mehr überrascht, als Anfang der 2010er-Jahre das ZDF für seine Filmreihe „Märchenperlen“ die Geschichte wiederentdeckt und als deutsch-österreichische Koproduktion inszeniert (bevor Christophe Gans, F 2014, und Bill Condon, USA 2017, ihre Versionen nachschieben).
Drehbuchautor Marcus Hertneck, der zuvor für ARD- und ZDF-Filmkomödien die Filmskripte verfasste, kürzt die von Gabrielle-Suzanne de Villeneuve (1740) und Jeanne-Marie Leprince de Beaumont (1757) opulent erzählte Geschichte ein.
Mitunter, weil das Thema („Was ist das Wichtigste an einer Geschichte? – Ihr Sinn, das heißt ihre gesellschaftliche Pointe“, Bertolt Brecht zit. nach Kuchenbuch 2005, S. 151) damit deutlicher hervortritt, aber auch, weil das Budget für den Märchenfilm nicht märchenhaft hoch ist.
Soziale Akzentuierung
Kein Kaufmann, „ein schwerreicher Mann“ (de Beaumont, S. 7), der mit seinen sechs Kindern in Saus und Braus lebt, aber plötzlich alles verliert, sondern der unverschuldet arme, aber gutmütige Wirt Hugo (Jürgen Tarrach) und seine einzige, schöne Tochter Elsa (Cornelia Gröschel) eröffnen die in eine österreichische Bergwelt verlegte Geschichte. Dabei zeigt sich bereits in der Vater-Figur deutlich eine soziale Akzentuierung, die den ganzen Märchenfilm erfasst.
Denn das Land wird vom jungen Ritter Berthold von Hohenhau (Christoph Letkowski) und seinem kaltherzigen Vogt (Wolfgang Edelmayer) bis aufs Letzte ausgepresst; das Volk stöhnt wegen der Abgaben an die „hohen Herren“.
Wenngleich diese „DEFA-Märchendramaturgie“, in der „Könige, Tyrannen und Anführer aller Art, also ‚die da oben’, immer böse Trottel, während ‚die da unten’, also Bettler, Bauern, Wandersleut’, stets die Sympathieträger sind“, kritisch gesehen wird (Gangloff 2016), schafft sie Möglichkeiten, Figuren und Situationen stärker zu charakterisieren.
Zugleich spinnt Hertneck damit ein feines, mehrschichtiges Erzählnetz, denn der Ritter hat ebenso ein Auge auf Elsa geworfen – und sie auf ihn.
Erster Auftritt des Biests
Neu zu bisherigen Verfilmungen ist, dass sein späterer Rivale, der in ein Biest verwandelte Prinz Arbo – gespielt vom 1,92 Meter großen Schauspieler Max Simonischek – bereits in der Eröffnungssequenz nebulös in Erscheinung tritt.
Das heißt, einerseits erzählerisch, weil Schäfer viele ihrer Tiere verloren haben (es bleibt offen weshalb), andererseits filmisch, wenn im Walddickicht knurrende, Löwen ähnliche Geräusche zu hören oder eine beharrte Pranke zu sehen sind.
Kameramann Hermann Dunzendorfer („Der Eisenhans“, D 2011) nutzt hierzu bestimmte Techniken, wie den Point-of-View-Shot (vgl. Lahde [o. J.]), also die subjektive Sicht des hier unerkannt hinter Bäumen lauernden ‚Etwas’, das seine Opfer fixiert. Die Einstellung, unterstützt von Nebelschwaden, lässt das Publikum zudem im Unklaren und unterstützt die Spannung.
Ohnehin trägt die Kameraführung von Beginn an zur teils ins Horrorgenre tendierenden Verfilmung bei, wenngleich diese in Abwechslung mit Einstellungen von pittoresken, in sich ruhenden Landschaften die klassischen Vorstellungen eines Märchenfilms bedient.
Disney-entlehnte Trickster-Figuren
Klassisch-tradiert sind auch einzelne Filmmotive, wenn der Vater, als er sich im Wald verirrt, in einem geheimnisvollen Schloss übernachtet, für seine Tochter unerlaubt eine Rose pflückt (de Beaumont) und dafür dem Schlossherrn, dem Biest, versprechen muss, „das erste Lebewesen, das ihm zuhause begegnet“, zu überlassen, was seine Tochter ist (Brüder Grimm).
Dass der ZDF-Märchenfilm gleichzeitig von Disney geprägt ist, zeigen die beiden komischen Trickster-Figuren Irmel (Carolin Walter) und Wenzel (Karsten Kramer), auf die Elsa im Schloss trifft und die ihr den Aufenthalt bei dem schaurigen Ungeheuer angenehmer gestalten.
Sie lassen sich als Nachfahren der verzauberten Dienstboten aus dem Zeichentrickfilm deuten, wie die Teekanne und der Kerzenständer oder die Kaminuhr und der Kleiderschrank.
Hier wie dort helfen sie dem Glück der Titelfiguren auf die Sprünge, und sorgen für Entspannung, wenn die dramatischen Momente überhand nehmen – was in einem für Kinder produzierten Märchenfilm, ohne Altersbeschränkungen freigegeben, nicht unwichtig ist.
„Das Herz möcht mir im Leib zerspringen“
Dass der Rückgriff auf de Beaumont und Disney manchmal Unwägbarkeiten mit sich bringt, zeigt die Szene in der Schlossbibliothek, von der Elsa fasziniert ist, obgleich sie als einfache Wirtstochter das Lesen nie gelernt hat („Könnt ich nur lesen!“). Es ist vielleicht einer der bezauberndsten Filmmomente, wenn das Biest ihr langsam-zaghaft, fast schüchtern das Liebesgedicht „Frau Nachtigall“ vorliest und Elsa seinen Worten lauscht:
Nachtigall, ich hör dich singen,
Das Herz möcht mir im Leib zerspringen;
Komme doch und sag mir bald,
wie ich mich verhalten soll.
Nachtigall, wo ist gut wohnen?
Auf den Linden, in den Kronen,
Bei der schön Frau Nachtigall,
Grüß mein Schätzchen tausendmal.
Es steht hier – dem mittelalterlichen Setting des Märchens geschuldet – in einem dicken Wälzer aus Pergamentblättern, das der sogenannten „Manessischen Liederhandschrift“ (auch: Codex Manesse, um 1300), einer mittelalterlichen Sammlung nebst Illustrationen, ähnelt. Nach dem Zürcher Patrizier Rüdiger Manesse, der das prachtvolle Buch in Auftrag gab, ist sie benannt.
Achim von Arnim und Clemens Brentano nehmen „Frau Nachtigall“, ein erst seit der Mitte des 18. Jahrhunderts bekanntes Lied, später in „Des Knaben Wunderhorn“ (1806–1808) auf: Die Sammlung ist eine der populärsten der Romantik.
Doch mehr noch ist es ein zweites Gedicht, das das Biest vorliest, Gemeinsamkeiten mit ihm aufweist, und das tatsächlich im „Codex Manesse“ zu finden ist. Der Überlieferung nach soll es der deutsche Kaiser Heinrich IV. (1050–1106) verfasst haben („Mir sind die Reiche und die Länder untertan, immer wenn ich bei der Liebenswerten bin, und wenn ich von dannen scheide, ist meine Macht und mein Reichtum dahin“). Kurz gesagt: Seine Herrschaft hänge allein an einer Frau, seiner Geliebten. Und so geht es ja auch dem königlichen Biest im Märchen.
Musik und Filmtricks
Ohnehin zieht sich die deutsche Literaturgeschichte auch durch andere filmische Mittel, wie die Musik, wenn Elsa bereits zu Beginn die bekannte, auch im „Wunderhorn“ enthaltene Volksballade „Es waren zwei Königskinder“ leise vor sich hin singt.
Der Liedtext, der freilich viel älter ist und auf den römischen Dichter Ovid zurückgeht, erzählt von einer unerfüllten Liebe und verweist – geradezu prophetisch – auf die Hindernisse zwischen ihr und dem Biest, die eine Liebe vorerst unmöglich erscheinen lassen.
Andere, besonders im Märchengenre verwendete filmische Mittel, wie visuell erzeugte Effekte (special effects), werden dagegen eher sparsam genutzt und sind einfacher Art. Dazu gehören von selbst aufgehende und schließende Türen, plötzlich aufflackernde Fackeln, sich öffnende Truhen und Schmuckschatullen oder Wetter-Inszenierungen wie Nebel oder im Sturm umfallende Bäume sowie Blitzeinschläge.
Vielleicht auch, weil die Make-up-Effekte, und hier ist die Löwen ähnliche Maske des Biests gemeint, ohnehin einen märchenhaft-entrückten Charakter bedienen, so wie auch die Drehorte. Zum Beispiel Burg Finstergrün im Salzburger Land, wo sich im Alten Rittersaal Elsa und das Biest langsam näherkommen. Oder Burg Seebenstein in Niederösterreich, die im Äußeren das verfallene Schloss des Biests darstellt.
„Das ist ja wie im Märchen!“
Dort wächst auch der Rosenstrauch, dessen – wie die Liebe – rote Blüten langsam, aber stetig verwelken. Sie zeigen damit gleichzeitig das nahe Ende des Biests an, das durch die Liebe eines Mädchens, wie Elsa, am Ende dennoch erlöst wird.
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Mach’s noch einmal, Bill: Die Schöne und das Biest (USA 2017)
Ästhetik im Märchenfilm: Die Schöne und das Biest (F 2014)
Weibliche Perspektiven: Die feuerrote Blume (UdSSR 1978)
Wenn danach der ebenso entzauberte Diener Wenzel – ob des Happy Ends mit vom Himmel fallenden Rosenblättern – meint: „Das ist ja wie im Märchen!“, rückt der Film auch ein wenig vom altbekannten Märchenschluss ab und relativiert klassische Erwartungen. So wie einst Jean Cocteau, als er „La Belle et la bête“ mit einem „avantgardistischen Prolog“ (Sahli 2018, S. 41ff.) begann und damals etablierte Regeln des Märchenfilms umging.
Film: „Die Schöne und das Biest“ (D/A, 2012, Regie: Marc-Andreas Bochert). Ist auf DVD erschienen.
Video: Der Film ist in der ZDF-Mediathek zu sehen. Hier klicken.
Drehorte:
- Burg Finstergrün, Burgstraße 65, 5591 Ramingstein, Österreich
- Burg Seebenstein, Schlossweg, 2824 Seebenstein, Österreich
- Denkmalgut Maurerhof, Rothenwand 30, 5584 Rothenwand, Österreich
- Gemeinde Lesachtal, 9653 Liesing, Österreich
- Mühlenweg Zederhaus, Nr. 19, 5584 Zederhaus, Österreich
- Schloss Moosham, Moosham 12, 5585 Unternberg, Österreich
Verwendete Quellen:
- Arnim, Ludwig Achim von/Brentano, Clemens: Des Knaben Wunderhorn. Eine Auswahl. Mit 24 Holzstichen von Gerhard Kurt Müller. Hrsg. von Hermann Strobach. Berlin: Verlag der Nation, 1979, S. 61, 229.
- Beaumont, Madame Leprince de: Die Schöne und das Tier. Ein Märchen. Aus dem Französischen übersetzt und mit einem Nachwort von Maria Dessauer. Illustriert von Richard Doyle. Frankfurt am Main: Insel Verlag, 1977
- Die Schöne und das Tier (DDR 1983). In: Fernsehen der DDR. Online-Lexikon der DDR-Fernsehfilme, Fernsehspiele und TV-Inszenierungen (abgerufen: 24.6.2024)
- Gangloff, Tilmann P.: Keine kurzen Hosen! Interview mit Josef Göhlen zur Entwicklung des Kinderfernsehens in Deutschland. In: Medienkorrespondenz 64 (2016), Nr. 25, 8f.
- Kuchenbuch, Thomas: Filmanalyse. Theorien – Methoden – Kritik. Wien/Köln/Weimar: Böhlau Verlag, 2005
- Lahde, Maurice: point-of-view-Shot. In: Lexikon der Filmbegriffe (abgerufen: 24.6.2024)
- Ribi, Thomas: Ein Kaiser, der Liebesgedichte schreibt: Die Manessische Liederhandschrift ist wieder zu sehen. In: Neue Zürcher Zeitung (vom: 17.9.2020, abgerufen: 25.6.2024)
- Sahli, Jan: Das schöne Biest. Jean Cocteaus Märchenverfilmung „La Belle et la bête“ (F 1946). In: Dettmar, Ute/Pecher, Claudia Maria/Schlesinger, Ron (Hrsg.): Märchen im Medienwechsel – Zur Geschichte und Gegenwart des Märchenfilms. Stuttgart: Metzler Verlag, 2018, S. 39–57.
- TOP 100 Deutschland 1992. In: Insidekino.com (abgerufen: 24.6.2024)
- Vogler, Christopher: Der Trickster. In: Die Odyssee des Drehbuchschreibers. Über die mythologischen Grundmuster des amerikanischen Erfolgskinos. Frankfurt a. M.: Zweitausendeins, 1997, S. 151–156.
Weitere Literatur:
Pecher, Claudia Maria/Wellershoff, Irene: Faszination Erlösungszauber. „Die Schöne und das Biest“ neu verfilmt. In: Maiwald, Klaus/Meyer, Anna-Maria/Pecher, Claudia Maria: »Klassiker« des Kinder- und Jugendfilms. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren 2016, S. 49–74.
Headerfoto: Die Schöne und das Biest (D/A 2012): Das Tier (Max Simonischek) sinniert auf den Mauern seines verfallenen Schlosses / Foto: ZDF/VFX/Günther Mitterhuber/Marlene Beran