Hervorgehobener Beitrag
Die ostdeutsche Übernahme – oder: Der Märchenfilm in der BRD von 1990 bis heute

Die ostdeutsche Übernahme – oder: Der Märchenfilm in der BRD von 1990 bis heute

Seit der Wiedervereinigung sind in Deutschland über 100 Märchenfilme entstanden. Zeit, um Bilanz zu ziehen. Was ist heute vom DEFA-Märchenfilm der untergegangenen DDR übrig geblieben?

Als der Historiker llko-Sascha Kowalczuk mit „Die Übernahme. Wie Ostdeutschland Teil der Bundesrepublik wurde“ (2019) ostdeutsche Befindlichkeiten unter die Lupe nahm, provozierte er – dreißig Jahre nach dem Mauerfall – eine kontroverse Debatte. Lobte der 1976 von der DDR ausgebürgerte Liedermacher Wolf Biermann in der „Berliner Morgenpost“ Kowalczuks Essay als „glänzendes Buch“ und „wahrhaftige Analyse“, so urteilte im „Deutschlandfunk Kultur“ die DDR-Ex-Leistungssportlerin Ines Geipel deutlich kritischer.

Stille Post: Auch das Ministerium für Post- und Fernmeldewesen der DDR wurde 1990 abgewickelt / © LoB/pixelio.de

Stille Post: Auch das Ministerium für Post- und Fernmeldewesen der DDR wurde 1990 abgewickelt / © LoB/pixelio.de


Kowalczuk bediene mit seiner „Strategie des halben Blicks“ nur den „aktuellen Hype: da der Schuld-Westen, dort der Opfer-Osten“, so Geipel, die auch Mitbegründerin des „Archivs der unterdrückten Literatur in der DDR“ ist. Gleichwohl hält die Zeit des Bilanzziehens unvermindert an. Sie mündet dabei vor allem in einer Frage: Wie wirkt sich eine sogenannte „Übernahme“, oder anders gesagt: der Beitritt der DDR (nach Artikel 23 des alten Grundgesetzes), auf das heutige Deutschland aus?

„Kulturelle Hegemonie“ und fehlende „Ost-Eliten“

Dabei rückte Kowalczuk den Blick auch auf eine westdeutsche ‚Vorherrschaft’ im Kulturbetrieb des seit 30 Jahren vereinten Deutschlands. Diese Erkenntnis war zwar schon damals nicht neu, gewann aber mehr und mehr an Relevanz im öffentlichen Diskurs. Jene ‚West-Dominanz’ nannte Kowalczuk „kulturelle Hegemonie“, geprägt von fehlenden „Ost-Eliten“ und einer damit verbundenen „Abwertung“ ostdeutscher Künstlerinnen und Künstler.

Die da oben, wir hier unten? Im DDR-Kinderwagen gab es vielfältige Sitzmöglichkeiten / © Daniel Franke/pixelio.de

Die da oben, wir hier unten? Im DDR-Kinderwagen gab es vielfältige Sitzmöglichkeiten / © Daniel Franke/pixelio.de


Dabei meint der wissenschaftlich eher umstrittene Begriff „Eliten“ (vgl. Waldmann 1998, S. 113–116) Personen, die in Institutionen oder Organisationen aufgrund ihrer (Leitungs-)Funktion und der daraus resultierenden Macht einen gesellschaftspolitischen Einfluss besitzen. „Ost-Eliten“ sind hierbei jene, die in der DDR geboren oder nach dem 3. Oktober 1990 in den neuen Bundesländern oder Ostberlin geboren und/oder aufgewachsen sind und deren Eltern aus der DDR stammen.

Eine ‚West-Vorherrschaft’ im Märchenfilm nach 1990?

Zwar gibt es einige wenige Statistiken, die den Anteil der Ostdeutschen an den gesamtdeutschen Eliten bemessen (vgl. Kollmorgen 2021), doch gilt landläufig die Meinung, dass sich ostdeutsche Künstlerinnen und Künstler „im vereinten Vaterland noch am besten behauptet“ haben (Eckert 2021, S. 283).

Dennoch finden sich selten valide Erhebungen, die sich tiefergehend dem Kulturbetrieb, zum Beispiel der Filmbranche widmen. Schon gar nicht dem bundesdeutschen Märchenfilm, der aber vor dem Hintergrund der 40-jährigen DDR-Märchenfilmgeschichte und des anhaltenden gesamtdeutschen Märchenfilmbooms seit Mitte der 2000er-Jahre einen näheren Blick lohnt und Fragen aufwirft.

Gibt es heute (oder immer noch) eine sogenannte „Repräsentationslücke“ (Kollmorgen 2021, S. 231) von DDR-sozialisierten Filmemacherinnen und -machern, oder umgekehrt gefragt eine ‚West-Vorherrschaft’, im bundesdeutschen Märchenfilm nach 1990? Und wenn ja, wie groß ist diese, was sind hierfür die Gründe und folgen daraus unmittelbare Defizite?

Die Abwicklung von DFF und DEFA

Als die DEFA, das ehemalige staatliche Filmstudio der DDR, 1992 von der Treuhandanstalt an einen französischen Mischkonzern verkauft wird, blickt es in seiner über 45-jährigen Geschichte auf etwa 40 Schauspieler-Märchenkinofilme zurück. Zudem produziert die DEFA für den staatlichen Deutschen Fernsehfunk (DFF, 1956–1971, 1990–1991) bzw. das Fernsehen der DDR (1972–1990) etwa 20 Märchenfernsehfilme bzw. -spiele.

Filmstudio Potsdam-Babelsberg: Hier befand sich das VEB DEFA-Studio für Spielfilme / © Studio Babelsberg AG

Filmstudio Potsdam-Babelsberg: Hier befand sich das VEB DEFA-Studio für Spielfilme / © Studio Babelsberg AG


Ihr künstlerisches Niveau, lobenswerte Leistungen der Schauspielstars und dramaturgisch gut durchdachte Geschichten machten viele der Märchenadaptionen – trotz einer mal mehr, mal weniger durchschimmernden Ideologie – damals wie heute zu Filmklassikern, die sogar in den Westen exportiert und dort in TV und Kino gezeigt wurden. Dennoch fielen mit der Abwicklung von DEFA und DFF schlagartig zwei Institutionen weg, die diese Märchenfilme produzierten. Das daran beteiligte künstlerische Personal verlor von heute auf morgen seine gesicherte Existenz.

Neuanfang in unbekanntem Produktionsmarkt

„Das Telefon stand plötzlich still“, erinnerte sich später der Filmkomponist Peter M. Gotthardt in einem Interview an die Nachwendezeit – und meinte damit die ausbleibenden Aufträge. Gotthardt, der mit der Filmmusik zu „Die Legende von Paul und Paula“ (DDR, 1973, R: Heiner Carow), aber auch zum DEFA-Märchenfilm „Schneeweißchen und Rosenrot“ (DDR, 1979, R: Siegfried Hartmann) zu den wichtigsten DDR-Filmkomponisten zählte, schaffte den Neuanfang in einem gänzlich unbekannten Produktionsmarkt mit hohem Konkurrenzdruck. Vielen anderen Kolleginnen und Kollegen gelang das allerdings nicht.

Schneeweißchen und Rosenrot (DDR 1979): Er zählt zu den zehn erfolgreichsten DEFA-Märchenfilmen / © MDR

Schneeweißchen und Rosenrot (DDR 1979): Er zählt zu den zehn erfolgreichsten DEFA-Märchenfilmen / © MDR


Das hatte auch damit zu tun, dass sich – auf das Märchenfilmgenre bezogen – die Nachfolger des DFF, die 1992 neu gegründeten ARD-Landesrundfunkanstalten Mitteldeutscher Rundfunk (MDR) und Ostdeutscher Rundfunk Brandenburg (ORB, seit 2003: Rundfunk Berlin-Brandenburg, kurz: RBB) erst einmal neu aufstellen mussten (vgl. Wiedemann 2017, S. 215). Die Produktion neuer Märchenfilme stand nicht auf der Tagesordnung. Das künstlerische DEFA-Märchenfilmerbe schien vorerst niemanden zu interessieren.

Einige ‚Überläufer’ in Fernsehen und Kino

Mit wenigen Ausnahmen: MDR und ORB übernahmen 1992 gemeinsam mit dem Norddeutschen Rundfunk (NDR) und dem Sender Freies Berlin (SFB) die Endproduktion von „Sherlock Holmes und die sieben Zwerge“ (TV-Erstausstrahlung: 10.5.1992). Gedreht wurde die 8-teilige Fantasy-Serie nach Motiven der Brüder Grimm noch von der bereits abgewickelten DEFA-Studio Babelsberg GmbH (vgl. Wiedemann 2015, S. 9).

Sherlock Holmes und die sieben Zwerge (D 1992): DDR-Star Alfred Müller als Kriminalhauptkommissar / © MDR/RBB

Sherlock Holmes und die sieben Zwerge (D 1992): DDR-Star Alfred Müller als Kriminalhauptkommissar / © MDR/RBB


Der Filmstab gehörte fast ausschließlich zum früheren DEFA-Personal: Die Regie übernahm der ehemalige DDR-Regisseur Günter Meyer (u. a. „Spuk unterm Riesenrad“, 1978), der bis Anfang der 2000er-Jahre weiter Akzente im Fantasy-Fach setzte.

Zudem starteten sogenannte ‚Überläufer’ wie „Das Licht der Liebe“ (DDR/D 1991) und „Olle Hexe“ (DDR/D 1991), die bereits vor dem 3. Oktober 1990 abgedreht, aber erst danach im gesamtdeutschen Kino uraufgeführt wurden.

Stabile Strukturen und Netzwerke im Westen

Der frühe gesamtdeutsche Märchenfilm nach 1990 wurde dennoch von den Akteurinnen und Akteuren in den etablierten alten Bundesländern geprägt. Hier gab es Strukturen und Netzwerke, die über Jahrzehnte gewachsen waren und sich weiter als stabil erwiesen. So führte das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) Anfang der 1990er-Jahre seine Reihe „Die Welt des Märchens“ fort. Darin verfilmte der öffentlich-rechtliche Sender in Koproduktion mit der ČSSR (später: ČSFR und ČZ) sowie westeuropäischen Fernsehanstalten bekannte Märchen für Kino und TV.

Des Kaisers neue Kleider (ČZ/D/ES/I 1994): Harald Juhnke (2. v. r.) spielte die Titelfigur / © ZDF

Des Kaisers neue Kleider (ČZ/D/ES/I 1994): Harald Juhnke (2. v. r.) spielte die Titelfigur / © ZDF


Opulente Produktionen wie „Dornröschen“ (ČSSR/D/F 1990), „Der Reisekamerad“ (ČSSR/D/F/I/AT 1990), „Der Froschkönig“ (ČSFR/D/F/I 1991), „Schneewittchen und das Geheimnis der Zwerge“ (ČSFR/D/I/ES 1992) oder „Des Kaisers neue Kleider“ (ČZ/D/ES/I 1994) rekrutierten ihr Personal dabei ausschließlich aus populären westdeutschen Schauspielstars, wie Iris Berben, Judy Winter, Michael Degen oder Harald Juhnke, und tschechoslowakischen Filmschaffenden.

Ebenso verfuhr die ARD, die „Das Zauberbuch“ (ČZ/D 1996) mitproduzierte, oder der Bayerische Rundfunk (BR), der sich an „Der Feuervogel“ (ČZ/D 1997) und „Die Seekönigin“ (ČZ/D 1998) beteiligte. Ostdeutsches Personal war auch hier, aufgrund der beteiligten westdeutschen Landesrundfunkanstalt (BR), so gut wie nicht vertreten.

Die Seekönigin (ČZ/D 1998): Die tschechische Schauspielerin Ivana Chýlková in der Titelrolle / © ZDF

Die Seekönigin (ČZ/D 1998): Die tschechische Schauspielerin Ivana Chýlková in der Titelrolle / © ZDF


Für westliche Entscheidungsträgerinnen und -träger in ARD und ZDF kamen Ostdeutsche auch deshalb nicht infrage, weil etwaige künstlerische Positionen in den TV-Redaktionen oder Filmstäben ohnehin bereits besetzt waren. Eine Neu- oder Umverteilung war nicht gewollt.

Ostdeutsche Aspirantinnen und Aspiranten wurden nicht zuletzt diskreditiert („Bolschewistenfunk“), weil sie nach Ansicht der westdeutschen Elite mit ihrer (künstlerischen) Arbeit das DDR-Regime direkt oder indirekt gestützt hätten. Und das, obwohl nach dessen Ende das DEFA- und DFF-Personal über berufliche Qualifikationen und notwendiges Fachwissen verfügte.

Lichtblick am Ende der 1990er-Jahre

Da wirkte es wie eine große Überraschung als Ende der 1990er-Jahre der frühere DEFA-Regisseur Rolf Losansky „Hans im Glück“ (D 1999) vorlegte – und dabei auf ein proportional ausgeglichenes hochkarätiges Ost-West-Schauspielensemble zurückgriff. Der Grund dafür mag darin gelegen haben, dass den von der Westberliner Genschow-Film GmbH produzierten Märchenfilm neben dem Westdeutschen Rundfunk (WDR) auch der in Potsdam ansässige ORB und der 1997 im thüringischen Erfurt gestartete ARD-/ZDF-Kinderkanal (seit 2012: KiKA) mitfinanzierte, für den der MDR bis heute verantwortlich ist.

Hans im Glück (D 1999): Ost (Fred Delmare, r.) und West (Andreas Bieber) vor der Kamera / © Genschow-Film

Hans im Glück (D 1999): Ost (Fred Delmare, r.) und West (Andreas Bieber) vor der Kamera / © Genschow-Film


Und auch wenn der Posten des KiKA-Programmgeschäftsführers von 1997 bis 2017 mit westdeutsch sozialisierten männlichen Entscheidungsträgern besetzt wurde (seit 2018: Astrid Plenk aus Bernburg/Sachsen-Anhalt), ist es denkbar, dass sich schon Ende der 1990er-Jahre die Redaktionen zum Teil aus ostdeutschem Personal zusammensetzten – und sich dieser Umstand auf die Märchenfilm-Produktionsplanung (Regie, Drehbuch, Schauspiel etc.) auswirkte.

Märchen-Parodien in Kino und TV für Erwachsene

Dennoch ging von „Hans im Glück“ vorerst keine Trendwende aus. Schlichtweg aus dem einfachen Grund, weil das deutsche Märchenfilmgenre Anfang der 2000er-Jahre keine wichtigen Adaptionen nach Grimm, Andersen und Co. für ein Kinderpublikum produzierte. Fragen nach einer ‚West-Dominanz’ oder einer ‚Ost-Verdrängung’ spielten deshalb vorerst noch keine Rolle.

Gleichwohl war das Märchen weiter präsent: als Parodie in Kino und TV für Erwachsene. So funktionierten die von Otto Waalkes mitproduzierten Filmkomödien „7 Zwerge – Männer allein im Wald“ (D 2004) und „7 Zwerge – Der Wald ist nicht genug“ (D 2006) an den Kinokassen. Und im Privatsender ProSieben flimmerte „Die Märchenstunde“ (D/AT/ČZ 2006–2012) der Rat Pack Filmproduktion (München) über die Bildschirme.

7 Zwerge – Männer allein im Wald (D 2004): Das West-Ensemble war meist unter sich / © Universal Pictures

7 Zwerge – Männer allein im Wald (D 2004): Das West-Ensemble war meist unter sich / © Universal Pictures


Hier wie dort griffen die Filmverantwortlichen auf westdeutsches Personal zurück, das vor oder hinter der Kamera agierte, wenn man von wenigen im Osten geborenen Schauspielstars (Nina Hagen, Mirco Nontschew, Jeanette Biedermann etc.) einmal absah.

„Sechs auf einen Streich“ und „Märchenperlen“

Ab Mitte der 2000er-Jahre erlebte der Märchenfilm im öffentlich-rechtlichen Rundfunk von ARD und ZDF ein Comeback. Die meist an den Weihnachtsfeiertagen erstmalig gezeigten Adaptionen der Reihen „Märchenperlen“ (ZDF, seit 2005, auch Koproduktionen) und „Sechs auf einen Streich“ (ARD, seit 2008) richteten sich dabei sowohl an ein Kinder- als auch Familienpublikum.

Dafür gründete die Kinder- und Jugendredaktion des ZDF Anfang der 00er-Jahre eine Art ‚Think Tank’, dem auch der Münchner Filmproduzent Ernst Geyer angehörte. Die Denkfabrik sollte eine Konzeption für zunächst sechs Märchenfilme entwickeln. Darin wurden auch fünf Drehbuchautoren und eine Drehbuchautorin aus den alten Bundesländern berufen. Mitfinanziert wurden die ersten vier Märchenfilme (2005–2008) neben der Länderförderung Bayern und Hamburg von der in Leipzig ansässigen Mitteldeutschen Medienförderung (vgl. Ungureit 2009, S. 10f.).

Ostdeutsche im ARD- und ZDF-Märchenfilm

Um tendenzielle Aussagen darüber zu treffen, ob und wie viele DDR-sozialisierte Filmemacherinnen und -macher das bundesdeutsche Märchengenre mitpräg(t)en, soll der Blick stichprobenartig auf die Bereiche Regie und Drehbuch gelenkt werden.

Bis 2021 drehte das ZDF 19 Märchenfilme*, an denen insgesamt 13 Regisseure (10) und Regisseurinnen (3) beteiligt waren. Davon sind zwei (15 Prozent)** im Osten geboren: Karola Hattop, die seit 1973 Kinder- und Familienfilme für das DDR-Fernsehen und später für das ZDF zwei Märchenfilme („Die sechs Schwäne“, 2012 und „Die Schneekönigin“, 2014) inszenierte, sowie Carsten Fiebeler („Die goldene Gans“, 2013), der erst nach der Wende als Regisseur arbeitete. Koproduziert wurden diese drei ZDF-Märchenfilme von der im Jahr 2000 im thüringischen Erfurt gegründeten Kinderfilm GmbH (später: Mideu Films GmbH).

Die sechs Schwäne (D 2012): Sinja Dieks und André Kaczmarczyk in den Hauptrollen / © ZDF/Steffen Junghans

Die sechs Schwäne (D 2012): Sinja Dieks und André Kaczmarczyk in den Hauptrollen / © ZDF/Steffen Junghans


Anders als beim ZDF verteilt sich die Produktion der ARD-Märchenfilme auf die neun Landesrundfunkanstalten. Die in der DDR geborene ehemalige RBB-Mitarbeiterin Sabine Preuschhof koordinierte die Reihe „Sechs auf einen Streich“ in den ersten Jahren. Werden die 52 ARD-Adaptionen bis 2021 im Hinblick auf Ost-West-Besetzung ausgewertet, zeigt sich folgendes Bild: Von insgesamt 26 Regisseuren (20) und Regisseurinnen (6) haben fünf (19 Prozent) eine Ost-Sozialisation**.

Fürneisen und Fiebeler gehören zu Top-Regisseuren

Darunter ist Bodo Fürneisen, der bei fünf ARD-Märchenfilmen auf dem Regiestuhl sitzt – er wird nur übertroffen vom westdeutschen Regisseur Christian Theede mit sechs NDR-Adaptionen. Fürneisen hatte bereits für das DDR-Fernsehen die Klassiker „Die Geschichte vom goldenen Taler“ (DDR 1985) sowie „Die Weihnachtsgans Auguste“ (DDR 1988) inszeniert. Fiebeler kommt insgesamt auf vier ARD-Adaptionen und zeigt, dass man in ZDF und ARD erfolgreich Märchen verfilmen kann.

Die Weihnachtsgans Auguste (DDR 1988): Dietrich Körner spielte den Opernsänger Ludwig Löwenhaupt / © MDR

Die Weihnachtsgans Auguste (DDR 1988): Dietrich Körner spielte den Opernsänger Ludwig Löwenhaupt / © MDR


Dabei verantwortet die fünf Fürneisen-Märchenfilme und eine Fiebeler-Adaption die in Potsdam ansässige Landesanstalt RBB. Fiebelers drei andere ARD-Verfilmungen entstehen zwar unter Federführung der westdeutschen Anstalten Hessischer Rundfunk (HR) bzw. Südwestrundfunk (SWR), werden aber zum Teil von der Kinderfilm GmbH produziert: „Das blaue Licht“ (D 2010).

Nur wenige ‚ostdeutsche’ Märchenfilm-Drehbücher

Bei zwei weiteren mit Osthintergrund (Regie) gedrehten Filmen ist neben Radio Bremen (RB), dem Norddeutschen Rundfunk (NDR) und dem HR auch der MDR als Koproduzent vertreten. Einen weiteren Märchenfilm verantwortet die in Leipzig ansässige Landesanstalt ganz allein, wobei zudem die Kinderfilm GmbH das Märchen im Auftrag des MDR produziert.

Im Hinblick auf eine Ost-West-Sozialisation von Drehbuchautorinnen und -autoren im ZDF- und ARD-Märchenfilm zeigt sich ein ähnliches Bild: Von insgesamt 17, die an den „Märchenperlen“ beteiligt sind, hat nur ein Drehbuchschreiber (6 Prozent) einen ostdeutschen Hintergrund**. Dieser ist aber an drei ZDF-Märchenfilmen beteiligt. Bei den ARD-Produktionen haben von insgesamt 28 Autorinnen und Autoren vier (14 Prozent) einen ostdeutschen Hintergrund**. Zwei davon arbeiten allerdings gleich an drei Märchenfilmen mit.

Von „Das kalte Herz“ zu „Timm Thaler“

Einzelne Kinofilme in den 2010er-Jahren wie die Filmmärchen „Aschenbrödel und der gestiefelte Kater“ (D 2013) und „Das Märchen von der Prinzessin, die unbedingt in einem Märchen vorkommen wollte“ (D 2013, koproduziert vom BR), aber auch das nach einer klassischen Vorlage entstandene „Das kalte Herz“ (D 2016, koproduziert u. a. von ARD/MDR/SWR und mitfinanziert u. a. von Mitteldeutsche Medienförderung und Medienboard Berlin-Brandenburg) entstehen wieder weitgehend mit westdeutsch sozialisierten Filmschaffenden, wobei letztere Märchenverfilmung mit André M. Hennicke und Jule Böwe zwei ostdeutsch sozialisierte Schauspielstars engagiert.

Das kalte Herz (D 2016): Frederick Lau als Peter Munk, der sein Herz tauscht / © Weltkino Filmverleih GmbH

Das kalte Herz (D 2016): Frederick Lau als Peter Munk, der sein Herz tauscht / © Weltkino Filmverleih GmbH


Eine Ausnahme stellt die fantastische Romanverfilmung „Timm Thaler oder Das verkaufte Lachen“ (D 2017) dar, die u. a. von den im thüringischen Gera geborenen Andreas Dresen (Regie) und Jörg Hauschild (Schnitt) sowie von der aus Potsdam stammenden Sabine Greunig (Kostüme) inszeniert wurde. Ostdeutsche wie Charly Hübner, Nadja Uhl, Reiner Heise oder Steffi Kühnert, aber auch die westdeutschen Schauspieler Justus von Dohnányi, Axel Prahl oder Bjarne Mädel machten den u. a. vom ZDF koproduzierten Kinofilm zu einem gesamtdeutschen Projekt.

Ostanteil proportional zur Gesamtbevölkerung

Demnach sind seit 1990 in Deutschland über 100 Märchenfilme entstanden, die entweder vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ARD, ZDF) oder von freien Produktionsfirmen hergestellt wurden. Doch untermauern die Statistiken und Filmbeispiele die These, dass es im bundesdeutschen Märchenfilm heute noch eine „Repräsentationslücke“ von DDR- oder ostdeutsch-sozialisierten Filmemacherinnen und -machern gibt?

Vor dem Hintergrund, dass etwa 17 Prozent aller Bundesbürgerinnen und Bundesbürger ostdeutscher Herkunft sind (vgl. Kollmorgen 2021, S. 235) und diese Zahl als Vergleichsgröße gilt, wirkt der Regieanteil im öffentlich-rechtlichen Rundfunk von 19 Prozent (ARD: „Sechs auf einen Streich“) und 15 Prozent (ZDF: „Märchenperlen“) sowie der Drehbuchanteil von 14 Prozent (ARD: „Sechs auf einen Streich“)** relativ proportional. Nur der ‚ostdeutsche’ Drehbuchanteil am ZDF-Märchenfilm von 6 Prozent ist unterproportional.**

Die Zahlen zeigen zudem wenig überraschend, wenn die beiden ‚Ost-Landesanstalten’ RBB und MDR an Märchenfilmen der ARD-Reihe „Sechs auf einen Streich“ beteiligt sind, werden für die Posten Drehbuch und Regie ebenso ostdeutsche Künstlerinnen und Künstler interessant. Zudem wirkt sich die Beteiligung ostdeutscher Produktionsfirmen, beispielsweise der „Kinderfilm-GmbH“, auf den Anteil im Osten sozialisierter Akteure und Akteurinnen aus.

ARD-Landesanstalten mit ‚Lokalpatriotismus’

Dennoch lässt das nicht pauschal den Schluss zu, die in Thüringen bzw. Sachsen-Anhalt ansässige Firma arbeite vorrangig mit ostdeutschem Personal, im Unterschied zu im Westen ansässigen Produktionsfirmen.

Dafür spricht, dass „Kinderfilm“ auch ZDF-Märchenfilme verantwortete, die eine westdeutsche Regisseurin (Anne Wild: „Hänsel und Gretel“, 2006) oder einen westdeutschen Regisseur (Frank Stoye: „Der Zauberlehrling“, 2017; „Der süße Brei“, 2018) rekrutierten. Das gilt auch für die von „Kinderfilm“ produzierten ARD-Märchenfilme „König Drosselbart“ (D 2008), „Die Gänsemagd“ (D 2009) und „Rotkäppchen“ (D 2012) – alle in der Regie der Münchnerin Sibylle Tafel.

Rotkäppchen (D 2012): Der Wolf (Edgar Selge) mit der Titelfigur (Amona Aßmann) im Wald / © HR/Felix Holland

Rotkäppchen (D 2012): Der Wolf (Edgar Selge) mit der Titelfigur (Amona Aßmann) im Wald / © HR/Felix Holland


Trotzdem scheint es, dass „Kinderfilm“ – im Gegensatz zu im Westteil Deutschlands ansässigen Produktionsfirmen – ein Stück weit sensibilisierter mit der Rekrutierung von Filmschaffenden umgeht. Andererseits kann dem Unternehmen, wie auch einigen ost- und westdeutschen ARD-Landesrundfunkanstalten allgemein vorgehalten werden, dass sie einen ‚Lokalpatriotismus’ bedienen, das heißt: vor allem Filmschaffende engagieren, die auf dem Gebiet der jeweiligen Rundfunkanstalt oder eines Bundeslandes leben und für den Sender bereits arbeiten.

Im Umkehrschluss heißt das aber auch: Wenn RBB und MDR keine oder weniger im Osten sozialisierte Künstlerinnen und Künstler rekrutieren würden, lägen die Anteile bei Regie und Drehbuch deutlich unter dem erwähnten quantitativen Minderheitenstatus der Ostdeutschen an der Gesamtbevölkerung (17 Prozent). Denn die anderen sieben im Westen ansässigen Landesanstalten NDR, RB, WDR, HR, SWR, BR und Saarländischer Rundfunk (SR) würden das mit dem von ihnen engagierten Ostpersonal nicht auffangen.

Die ostdeutsche Übernahme

Doch wie wirkt sich der Ost-Regieanteil von 19 bzw. 15 Prozent sowie -Drehbuchanteil von 14 bzw. 6 Prozent auf die öffentlich-rechtliche Märchenfilmproduktion** aus? Folgen daraus unmittelbare Defizite?

Glaubt man Josef Göhlen, ehemaliger Leiter des Kinderprogramms beim HR und ZDF, so ist es genau umgekehrt: Der heutige bundesdeutsche Märchenfilm ist eigentlich ein DEFA-Märchenfilm 2.0. Denn für Göhlen orientieren sich die ARD- und ZDF-Märchen „an einer tradierten Märchendramaturgie, wie sie seinerzeit insbesondere von der ostdeutschen Produktionsfirma DEFA gepflegt wurde“ (Gangloff 2016, S. 8f.). Damit meint er, dass darin die Armen und Unterdrückten immer zu den im ethischen Sinn Guten, die Reichen dagegen durchgehend zu den Bösen zählten. Er halte es für einen großen Fehler, diese Dramaturgie nachzuahmen.

Das tapfere Schneiderlein (DDR 1956): König Griesgram (Fred Kronström), Prinz Eitel (Horst Drinda), Prinzessin Liebreich (Gisela Kretzschmar) gelten in dem DEFA-Märchenfilm als die Bösen / © MDR

Das tapfere Schneiderlein (DDR 1956): König Griesgram (Fred Kronström), Prinz Eitel (Horst Drinda), Prinzessin Liebreich (Gisela Kretzschmar) gelten in dem DEFA-Märchenfilm als die Bösen / © MDR


Die Schweizer Filmkritikerin Christine Lötscher meint, dass sich die ARD- und ZDF-Adaptionen zudem gestalterisch „an der historisierenden Ästhetik der DEFA-Märchenfilme“ (Lötscher 2017, S. 310) orientieren. Und: Wie den DDR-Produktionen liege dem öffentlich-rechtlichen Märchenfilm „eine Analyse und Interpretation der Textvorlage zugrunde; die zeitlosen Konflikte der Figuren werden konkretisiert, psychologisiert und in die Gegenwart übertragen“ (ebd. S. 311). Allerdings gelinge es eher selten, den ganz eigenen Zauber der DEFA-Filme zu reproduzieren.

Daraus wäre auf die hier diskutierte Frage zu schließen, dass sich seit 1990 keine westdeutsche „Übernahme“ in der gesamtdeutschen Märchenfilmproduktion, sondern umgekehrt eine ostdeutsche „Übernahme“ vollzogen hat – wenn auch ‚nur’ in dramaturgischer und gestalterischer Hinsicht.

Diversität: Frauenanteil und Migrationshintergrund

Gleichwohl bleibt damit die Frage nach einer angemessenen personellen ostdeutschen Teilhabe in der bundesdeutschen Märchenfilmproduktion bestehen. Flankiert wird sie allerdings im 21. Jahrhundert mit der Forderung nach einer generellen Diversität in diesem Filmgenre: Die stichprobenartigen Statistiken zeigten beispielsweise, dass der Frauenanteil – nicht nur im Regie- und Drehbuchfach – sehr gering ist.

Zudem sind Filmschaffende mit Migrationshintergrund noch Ausnahmen. Der deutsch-türkische Regisseur Cüneyt Kaya („Das Märchen vom goldenen Taler“, 2020), der in Istanbul geborene Regisseur und Drehbuchautor Su Turhan („Die drei Federn“, 2014; „Prinzessin Maleen“, 2015; „Der starke Hans“, 2020) oder der in Vietnam geborene Kameramann und Regisseur Ngo The Chau (u. a. „Die Hexenprinzessin“, D/CZ, 2020) sind drei Beispiele. Ebenso lassen sich hier der Finne Hannu Salonen („Des Kaisers neue Kleider“, 2010) oder die in Stockholm geborene deutsche Regisseurin Maria von Heland („Die Sterntaler“, 2011; „Der Teufel mit den drei goldenen Haaren“, 2013) nennen.

Die Hexenprinzessin (ČZ/D 2020): Zottel (Charlotte Krause), Prinz (Jerry Hoffmann), Bero (J. Vogel) / © ZDF/Conny Klein

Die Hexenprinzessin (ČZ/D 2020): Zottel (Charlotte Krause), Prinz (Jerry Hoffmann), Bero (J. Vogel) / © ZDF/Conny Klein


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* Ohne den Märchenfilm „Zwerg Nase“ (D, 2008, R: Felicitas Darschin). Dieser entstand im Auftrag des BR, wird aber zu den ZDF-„Märchenperlen“ gezählt, obwohl der Sender nicht daran beteiligt war.

** Die Herkunft der Filmschaffenden wurde in öffentlichen Quellen (Internet, Fachmedien) recherchiert und/oder individuell bei den Künstlerinnen und Künstlern angefragt (E-Mail). Da nicht zu allen Filmschaffenden die Herkunft recherchiert werden konnte, können die Zahlen prozentual leicht abweichen (Stand: 24.3.2022).

Verwendete Quellen:


Headerfoto: Die kluge Bauerntochter (BRD 2010): Die Titelfigur (Anna Maria Mühe, l.) und ihre Freundin die Magd (Sabine Krause) bestaunen das Fernrohr des Königs / Foto: MDR/Sandy Rau

Märchenhafte Drehorte: Wo der Schweinehirt die Prinzessin küsst

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Die Geschichte nach Hans Christian Andersen ist bislang selten in Deutschland verfilmt. Obwohl das Märchen mit Schloss und Schweinestall sowie den beiden Hauptfiguren höchst amüsante Gegensätze bietet.

Im Jahr 1926 schaltet die Berliner Firma Jünger & Gebhardt – die erste Adresse für Düfte, Parfüme und Seifen – eine Kinowerbung in der Hauptstadt mit dem Titel „Die Prinzessin und der Schweinehirt“. Die Botschaft: Wer das Herz einer Prinzessin gewinnen möchte, braucht weder Geld noch schöne Geschenke, sondern sollte vor allem gut riechen – am besten nach „Kölnisch Wasser: Lavendel-Orangen“.

Ob der knapp fünfminütige Bildstreifen, mit Zeichnungen von Ernst Pietzker und Fotografien von Gerd Philipp, das Kinopublikum überzeugte, ist nicht bekannt. Dennoch zeigt der Film, dass die (Kino-)Werbung schon vor 100 Jahren auf das sogenannte Storytelling zurückgreift, in der rund um ein Produkt eine Geschichte erzählt wird, die das Publikum kennt und bestenfalls begeistert, zum Beispiel ein Märchen.

Worüber erzählt „Der Schweinehirt“?

Was Hans Christian Andersen (1805–1875) dazu gesagt hätte, der das Märchen 1842 veröffentlicht, wissen wir nicht. Doch vielleicht wäre er sogar ein bisschen stolz darauf, selbst wenn er seine Geschichte ein wenig anders erzählt: Bei ihm wirbt ein armer Prinz mit einer duftenden Rose und einer herrlich singenden Nachtigall um die Hand einer hochmütigen Kaisertochter – allerdings erfolglos, denn sie mag nur künstliche Blumen und Vögel. Daraufhin nimmt er als verkleideter Schweinehirt am Kaiserhof eine Stellung an.

Der Schweinehirt (1897): Der Jugendstilmaler Heinrich Lefler (1863–1919) illustrierte es / © Gemeinfrei

Der Schweinehirt (1897): Der Jugendstilmaler Heinrich Lefler (1863–1919) illustrierte es / © Gemeinfrei


Hier fertigt er kunstvolles, aber eben künstliches Spielzeug: ein Kochtopf, aus dessen Dampf man riechen kann, was in der Stadt gekocht wird, und eine Schnarre (Ratsche), mit der die schönste Musik erklingt. Beides will die Prinzessin haben, aber der Schweinehirt verlangt erst zehn, dann gar 100 Küsse von ihr. Nur widerwillig gibt sie diese ihm. Doch der Kaiser kommt dahinter und jagt beide davon. Zwar gibt sich der Prinz zu erkennen, aber er verachtet jetzt die Prinzessin, weil sie wegen des schnöden Spielzeugs sogar einen Schweinehirten geküsst hatte – und heiratet sie nicht.

Kein Happy End, aber märchenhafte Orte

Die Prinzessin und der Schweinehirt (BRD 1953)/ © Jugendfilm-Verleih

Die Prinzessin und der Schweinehirt (BRD 1953) / © Jugendfilm-Verleih

Das Kunstmärchen ist bislang selten verfilmt, vielleicht auch, weil es eben kein Happy End besitzt. Dabei gilt es in der Erzählforschung als „Meisterstück [mit] seiner Kritik an der Künstlichkeit, an illusionär überzogenen Ansprüchen, lächerlicher Anmaßung“ (Scherf 2007, S. 1064). Um es vorwegzunehmen: Die Drehbuchschreiberinnen und -schreiber haben in den drei deutschen Kino- und Fernsehspielfilmen das Ende so umgeschrieben, dass sich Prinz und Prinzessin am Ende doch kriegen.

Bei alldem wird schnell vergessen, dass „Der Schweinehirt“, gerade was filmische Handlungsorte und -schauplätze betrifft, klassische Erwartungen des Publikums bedient: Neben dem Königreich des Prinzen, in dem „ein schöner Rosenstrauch“ blüht, erzählt das Märchen von einem Kaiserreich mit Schloss, in dessen „großem Saal“ Rose und Nachtigall vor der Prinzessin präsentiert werden. Und da ist ja noch der Schweinestall, der bildlich einen lustigen Kontrast zum Adligen, Vornehmen bietet.

Schloss Charlottenburg/Berlin: „Die Prinzessin und der Schweinehirt“ (BRD 1953)

Das findet offenbar auch die Westberliner Infa-Filmproduktion, die 1953 das Märchen verfilmt. Das Drehbuch schreibt Emil Surmann (1912–1972), der zuvor für „Zwerg Nase“ (BRD 1952) das Manuskript verfasste. Spielte das Hauffmärchen aber im bayerischen Memmingen, so heißt der Drehort diesmal Westberlin. Die Filmbauten verantwortet Karl Vollbrecht (1886–1973): Er ist einer der bedeutendsten frühen Filmarchitekten und war schon an „Die Nibelungen“ (D 1924), in der NS-Zeit aber auch am antisemitischen Propagandafilm „Jud Süß“ (D 1940) beteiligt.

Vollbrecht wählt für „Die Prinzessin und der Schweinehirt“ das Schloss Charlottenburg als ersten Drehort, obwohl der mittlere Hauptbau im Zweiten Weltkrieg ausbrannte und die Kuppel einstürzte. Deshalb ist im Film nur ein Foto vom Schloss vor den Zerstörungen zu sehen: Es zeigt die Stadtansicht mit den beiden Borghesischen Fechtern. Ansonsten wird vor allem im Barockgarten auf der Schlossrückseite, an der Großen Orangerie, der Hohen Brücke im Schlosspark sowie in einigen unbeschädigten Schlossinnenräumen gedreht, z. B. der Eichengalerie.

Die Prinzessin und der Schweinehirt (BRD 1953): Schlösserdirektorin Margarete Kühn (1902–1995) steht vor dem eingerüsteten Kuppelturm von Schloss Charlottenburg (Aufnahmedatum: 1953) / Foto: Wikipedia

Die Prinzessin und der Schweinehirt (BRD 1953): Schlösserdirektorin Margarete Kühn (1902–1995) steht vor dem eingerüsteten Kuppelturm von Schloss Charlottenburg (Aufnahmedatum: 1953) / Foto: Wikipedia


Die Prinzessin und der Schweinehirt (BRD 1953): Links ist das Eingangsportal vom Jagdschloss Grunewald (Kaiserschloss) und dahinter das Fachwerkhaus (Schweinehirt-Wohnung) zu sehen / © SPSG/Hans Bach

Die Prinzessin und der Schweinehirt (BRD 1953): Links ist das Eingangsportal vom Jagdschloss Grunewald (Kaiserschloss) und dahinter das Fachwerkhaus (Schweinehirt-Wohnung) zu sehen / © SPSG/Hans Bach


Sie sind das Zuhause von Prinzessin Rosenmund (Liane Croon, 1927–2000) und ihrem Vater, dem Kaiser (Victor Janson, 1884–1960). Zweiter Drehort ist Jagdschloss Grunewald. Hier filmen die Kameramänner Karl Breselow und Hugo O. Schulze (1905–nach 1977) das Eingangsportal mit dem pittoresken Hirschrelief: Es ist im Märchenfilm der Eingang zum Kaiserschloss.

Der Schweinehirt, Prinz Ehrlichherz (Dieter Ranspach, 1926–2017), wohnt schräg gegenüber: in einem im Fachwerkstil erbauten Gebäude neben dem Jagdzeugmagazin. Ob der Innenraum, eine kleine Wohnung mit Ess- und Schlafbereich, im Studio nachgebaut ist oder wirklich zu dem Gebäude gehört, ist bislang noch ungeklärt. Gleichwohl küsst der Schweinehirt die Prinzessin hier zum ersten Mal. Der Schweinestall, der an die Wohnung grenzt, steht aber aller Wahrscheinlichkeit nach im Gutshof Marienfelde, dem dritten wichtigen Drehort.

Drehorte: u. a.

  • Gut Marienfelde, 12277 Berlin
  • Jagdschloss Grunewald, Hüttenweg 100, 14193 Berlin
  • Schloss und Schlossgarten Charlottenburg, Spandauer Damm 10–22, 14059 Berlin (Außen- und Innenaufnahmen)

Film: „Die Prinzessin und der Schweinehirt“ (BRD, 1953, Regie: Herbert B. Fredersdorf). Premiere: 4.10.1953, Filmbühne Wien (Westberlin, Kurfürstendamm 26). Ist noch nicht auf DVD/Blu-ray erschienen.

Fernsehstudio Berlin-Adlershof: „Die Prinzessin und der Schweinehirt“ (DDR 1967)

Die Prinzessin und der Schweinehirt (DDR 1967): König (r.) und Hofschranzen / © DFF/Nerlich

Die Prinzessin und der Schweinehirt (DDR 1967): König (r.) und Hofschranzen / © DFF/Nerlich

Nachdem das Dresdner DEFA-Studio für Trickfilme einen Puppentrickfilm nach der Vorlage dreht („Der Schweinehirt“, DDR 1963), zeigt der Deutsche Fernsehfunk vier Jahre später eine Inszenierung aus dem Fernsehstudio Berlin-Adlershof. Die Aufführung nach einer Idee von Peter Ensikat (1941–2013) ist ein Gastspiel des „Theater der Jungen Generation“, das 1949 in Dresden gegründet wurde. Die Ausstattung übernimmt Jochen Hasselwander (*1928), der im Übrigen auch für das Trickfilm-Studio und die Dresdner Staatsoper arbeitet.

Zwar ist über das Szenenbild in „Die Prinzessin und der Schweinehirt“ nichts bekannt, doch hat sich der Inhalt der Fernsehinszenierung erhalten: Darin ist die Prinzessin (gespielt von Brigitte Wähner, *1944, Mutter des Schauspielers Jan Josef Liefers) ein gutes Mädchen, das aber der Kaiser (Heinz Kahnemann, *1905) falsch erzieht, weil er alles Natürliche verbietet. Am Ende verlässt die Prinzessin den Hof und beginnt mit dem vermeintlichen Schweinehirten (Roland Wächtler) ein neues Leben.

Drehort: Deutscher Fernsehfunk, Studio Berlin-Adlershof, Rudower Chaussee 3, 12489 Berlin

Film: „Die Prinzessin und der Schweinehirt“ (DDR, 1967, Regie: Harry Erlich). Erstausstrahlung: 25.6.1967/DFF, Wiederholungen: 25.6.1972/DDR 1, 11.8.1975/DDR 1. Ist noch nicht auf DVD/Blu-ray erschienen.

Schloss Wiesenburg/Fläming: „Der Schweinehirt“ (BRD 2017)

Es dauert exakt 50 Jahre bis das deutsche Fernsehen das tragikomische Märchen wiederentdeckt. Die ARD wählt es für ihre Reihe „Sechs auf einen Streich“ aus, deren Premieren immer an den beiden Weihnachtsfeiertagen stattfinden: „Der Schweinehirt“ wird am 26. Dezember 2017 erstmals ausgestrahlt. Und weil die Berliner Neue Schönhauser Filmproduktion den Märchenfilm im Auftrag des Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) herstellt, finden sich die Drehorte sowohl in der Hauptstadt als auch im Umland.

Der Schweinehirt (D 2017): So sieht Burg Rabenstein in einer Aufnahme von 2011 aus ... / © Bernd Peters/pixelio.de

Der Schweinehirt (D 2017): So sieht Burg Rabenstein in einer Aufnahme von 2011 aus … / © Bernd Peters/pixelio.de


Der Schweinehirt (D 2017): ... und so im ARD-Märchenfilm sechs Jahre später / © rbb/Sreenshot/Anke Fallböhmer

Der Schweinehirt (D 2017): … und so im ARD-Märchenfilm sechs Jahre später / © rbb/Sreenshot/Anke Fallböhmer


Für das Szenenbild ist Alexander Wolf (* 1962) verantwortlich, der schon den ZDF-Film „Die goldene Gans“ (D 2013) ausstattet. In „Der Schweinehirt“ wohnt der arme Prinz Augustin (Emilio Sakraya, *1996) mit seiner Mutter Königin von Lichterwald (Margarita Broich, *1960) in einem bröckligen Gemäuer, das seine besten Zeiten schon hinter sich hat: Es ist die hochmittelalterliche Burg Rabenstein, in der 1972 auch die DEFA-Filmkomödie „Die Hosen des Ritters von Bredow“ (DDR 1973) gedreht wurde.

Um das überschuldete Königreich Lichterwald zu retten, müsste Augustin reich heiraten. Zum Beispiel die Kaisertochter Victoria von Siebenlande (Jeanne Goursaud, *1996), die mit ihrem Vater (Bernhard Schütz, *1959) im Schloss Wiesenburg residiert, das Kameramann Peter Nix (*1967) für Außenaufnahmen filmt. Die Innenaufnahmen finden im frühklassizistischen Schloss Friedrichsfelde statt, in dem schon für die ARD-Märchenfilme „Rapunzel“ (D 2009), „Die zertanzten Schuhe“ (D 2011) und „Sechse kommen durch die ganze Welt“ (D 2014) gedreht wurde.

Der Schweinehirt (2017): Wiesenburg war auch Drehort für

Der Schweinehirt (2017): Wiesenburg war auch Drehort für „Wer reißt denn gleich vor’m Teufel aus“ (DDR 1977)


Der Schweinehirt (D 2017): Im Schlossgarten Wiesenburg entstehen einige Außenaufnahmen / © Rogge/pixelio.de (2)

Der Schweinehirt (D 2017): Im Schlossgarten Wiesenburg entstehen einige Außenaufnahmen / © Rogge/pixelio.de (2)


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Doch Augustins Geschenke – Nachtigall und Rose – verfangen nicht, sodass er einen Schweinehirten (Florian Kleine) überredet, in seine Rolle schlüpfen zu dürfen. Dazu entsteht am Rand des Waldparks Wiesenburg eine Hütte nebst Schweinestall – wo der Schweinehirt die Prinzessin das erste Mal küsst. Das künstliche Spielzeug kauft er vorher bei den Ladeninhabern Schief (Milan Peschel) und Krumm (Johann Jürgens), die in der Großen Paltrockmühle Langerwisch wohnen, von wo ebenso „Hans im Glück“ (D 1998) einst in die Welt wanderte.

Last but not least: Die Ferkel, die dem Liebesglück auf die Sprünge helfen, und (Film-)Esel Sandor, auf dem Victoria am Ende zu Augustin ‚reitet’, gehören im Übrigen zum Schönwalder Verein Esel-Freunde im Havelland, der schon für viele Märchenfilme die ‚tierischen’ Besetzungen artgerecht ausbildete.

Drehorte: u. a.

  • Burg Rabenstein, Zur Burg 49, 14823 Rabenstein/Fläming
  • Paltrockwindmühle Langerwisch, Bergholzer Straße 20, 14552 Michendorf
  • Schloss Friedrichsfelde, Am Tierpark 125, 10319 Berlin
  • Schloss Wiesenburg, Schloßstraße 1, 14827 Wiesenburg/Mark

Film: „Der Schweinehirt“ (BRD, 2017, R: Carsten Fiebeler). Erstausstrahlung: 26.12.2017/ARD. Ist auf DVD erschienen.

Verwendete Quellen:

  • Andersen, Hans Christian: Der Schweinehirt (auch: Der Schweineknecht). In: Ders.: Sämtliche Märchen. Vollständige Ausgabe. Aus dem Dänischen von Thyra Dohrenburg. Mit Illustrationen von Vilhelm Pedersen und Lorenz Frølich. Mannheim: Albatros, 2012, S. 260–266.
  • Golz, Melanie: Weihnachtszeit – Märchenzeit. In: Esel-Freunde im Havelland e.V. (abgerufen: 30.10.2024)
  • Die Prinzessin und der Schweinehirt (1924): Hersteller: Universal-Plakat-Film GmbH, Berlin, Friedrichstraße 224, Zulassungskarte, Prüf-Nr. 12929, vom 18.5.1926, Film-Prüfstelle Berlin
  • Die Prinzessin und der Schweinehirt (1967). Fernsehinszenierung eines Märchenspiels in 4 Bildern von Peter Ensikat nach Hans Christian Andersen. In: Fernsehen der DDR – Online Lexikon der DDR-Fernsehfilme, Fernsehspiele und TV-Inszenierungen (fernsehenderddr.de, abgerufen: 30.10.2024)
  • Scherf, Walter: Der Schweineknecht. In: Ders.: Das Märchenlexikon. Zweiter Band L–Z. Sonderausgabe. München: C. H. Beck, 2007, S. 1063–1065.


Headerfoto: Prinz Augustin (Emilio Sakraya) hat sich als Schweinehirt verkleidet, um Prinzessin Victoria (Jeanne Goursaud) einen Streich zu spielen / © rbb/Anke Fallböhmer