Das ZDF hat in diesem Jahr mit dem MDR sein Weihnachtsmärchen gekocht: „Der süße Brei“. Rund 1,7 Millionen Euro kostete die Produktion. Ob sich die Investition gelohnt hat, erfahren die Zuschauer am 24. Dezember 2018 um 15.05 Uhr im Zweiten.
„Der süße Brei“ ist eines der kürzesten Grimm’schen Märchen und schnell erzählt: Eine alte Frau schenkt einem armen Mädchen ein wundersames Töpfchen. Dank magischer Worte kocht es „guten süßen Hirsebrei“. Not und Hunger haben ein Ende. Da aber der einhaltende Zauberspruch („Töpfchen, steh“) vergessen wird, kocht es so viel Brei, „als wollt’s die ganze Welt satt machen“. Am Ende bringt das Mädchen das Töpfchen wieder zum Stehen. Ende gut, alles gut.
„Der süße Brei“ von 1940 mit Trickaufnahmen
Als die Geschichte im Jahr 1940 zum ersten Mal in Deutschland verfilmt wird, hält sich das Drehbuch nah an die Grimmvorlage. Der 33-minütige Kurzspielfilm setzt damals vor allem auf den Trick. Kein Wunder, fordern doch die im Märchen beschiebenen Szenen – wenn alles im Brei versinkt – Trickspezialisten geradezu heraus. Kritiker Georg Herzberg schreibt seinerzeit im „Film-Kurier“, dass die Geschichte „ein sehr filmisches Märchen“ ist und lobt die Umsetzung:
„Der Film ist in der Lage, das [Ü]berfließen der Speise, die [Ü]berschwemmung in der Küche und die Sintflut im Dorfe bildlich darzustellen […] läßt […] vor allen Kinderaugen Tisch und Bett und Haus versinken und wirkt so eindringlicher, als es die Märchentante je vermag.“
Die überschwänglichen Worte täuschen allerdings nicht darüber hinweg, dass der Schauspieler-Märchenfilm parallel ebenso in Klamauk und Slapstick versinkt, wenn das Chaos, das durch den quillenden Brei ausgelöst, inszeniert wird. Dabei vergisst die NS-Verfilmung, dass das Motiv des Märchens alles andere als lustig ist: Armut und Hunger sind die Auslöser, die das Erzählen erst in Gang bringen, wie auch in „Die Sterntaler“ oder „Hänsel und Gretel“.
ZDF-Märchenfilm baut Grimm’sche Motive aus
Als die Autoren Anja Kömmerling und Thomas Brinx das Drehbuch für „Der süße Brei“ schreiben – ein Märchenfilm, der im Auftrag von ZDF und MDR für die Reihe „Märchenperlen“ produziert wird –, haben das beide erkannt. Das heißt auch, dass sie um den Zaubergegenstand – das breikochende Wundertöpfchen – eine neue Geschichte erzählen (müssen), die gleichzeitig die eigentlichen Motive der kurzen Grimm’schen Vorlage beibehält:
Eine große Hungersnot bedroht das Land des tyrannischen Grafen Ruben von Hammerlitz (Roland Wolf). Dort lebt auch das Mädchen Jola (Svenja Jung) mit seiner Mutter (Christina Große) und den Geschwistern. Der Tod schleicht bereits um die kargen Hütten der Dorfbewohner. Doch die Menschen sterben nicht etwa an Hunger, sondern verwandeln sich in Vögel – wie auch Jolas Schwester, die kleine Ida (Luna Arwen Krüger).
Tod im Kinderfilm – heikles Thema auch im Märchenfilm
Ein Wundertöpfchen, das immerzu Brei kocht, könnte Jolas Familie aus aller Not retten – aber gibt es diesen Topf überhaupt oder ist das nur ein Märchen? Um die Folgen von Hunger und Verzweiflung zu zeigen und die Ausgangslage zuzuspitzen, stolpern Kömmerling/Brix schon zu Beginn über ein heikles Thema: den Tod im Kinderfilm. Für viele Filmemacher ein Tabu, aber eben nicht für alle.
Als 2014 der Animationsfilm „Johan und der Federkönig“ (S/DK, R: Esben Toft Jacobsen) startet, in dem ein kleiner Hasenjunge seine Mutter verliert, findet die Medienwissenschaftlerin Margret Albers die Umsetzung geglückt:
„Es gibt, glaube ich, kaum etwas, was man in Kinderfilmen nicht behandeln kann. Aber in der Tat ist es die Frage, wie es gemacht wird, wie die Kinder begleitet werden, die jungen Protagonisten auf der Leinwand einerseits, aber natürlich auch auf der anderen Seite der Leinwand die Kinder, die es sich anschauen […].“
Kein klassischer Feel-good-Movie
„Der süße Brei“ sieht in der Tierverwandlung eher einen sanften Weg, mit dem Thema umzugehen. Das bietet sich an, weil die Verwandlung ein klassisches Märchenmotiv ist. Dass sich die kleine Ida in eine Taube verwandelt – christliches Symbol für den Heiligen Geist – soll zeigen, dass sich nur die Hülle ändert, die Seele aber weiterlebt. Allerdings wird der Märchenfilm damit auch ein wenig glatt gebürstet. Der Tod bleibt ein Tabu.
Trotzdem will die ZDF-Verfilmung kein klassischer Feel-good-Movie sein, sondern kommt mitunter derb, kantig und spröde daher. Einen Anteil daran hat das Setting, das den Märchenfilm in ein ‚dunkles Zeitalter’ beamt, in dem raue Sitten herrschen (Szenenbild: Agi Dawaachu). Diese Geschehenszeit wird wiederum von einer gewissen Farblosigkeit reflektiert. Grau- und Brauntöne dominieren. Ebenso schwarz als unbunte Farbe, die vor allem Bösewichter tragen.
Wenn US-Fantasy auf deutsche Märchen trifft
Der Märchenfilm nimmt dabei Anleihen bei der US-amerikanischen Fantasy-Fernsehserie „Game of Thrones“ (2011–2019). Das betrifft nicht nur das Setting, das hier wie dort an das Mittelalter erinnert, sondern auch erzählerische Ideen. Kämpfen in „Game of Thrones“ verschiedene Adelshäuser – von Lannister bis Stark – um den Thron, so setzt in „Der süße Brei“ das Haus Hammerlitz alles daran, den legendären breikochenden Wundertopf in seinen Besitz bringen.
In deren Domizil – es ist die Burg Kriebstein im MDR-Land Sachsen – spielen sich wie bei Starks und Co. Familiendramen ab, die ein Daily-Soap-Autor nicht besser hätte erfinden können. Hier sind es die zwei ungleichen Brüder von Hammerlitz: einerseits Ruben – reich, machtgierig, grausam –, andererseits Veit (Merlin Rose) – hochverschuldet, aber im Grunde anständig. Dumm nur, dass er von den Geldeintreibern Schwarzrabe (Stipe Erceg) und Nase (Martin Winkelmann) verfolgt wird, weil er ihnen noch etwas schuldet.
Schnelle Schnitte, viele Akteure, ein Wundertopf
Dieser vielschichtige Plot hat seinen Grund. Kömmerling/Brinx bauen auf diesem Weg ein Figurenensemble auf, das den Erzählfluss am Laufen hält und mit dem die Figuren besser beschrieben werden können. Denn plötzlich möchten alle – Jola, Veit, Ruben, Schwarzrabe, Nase – das Wundertöpfchen haben, wenn auch aus verschiedenen Gründen: die einen aus Gemein-, die anderen aus Eigennutz.
Der Schnitt unterstützt die Parallelhandlungen, die sich daraus ergeben und montiert die Szenen im schnellen Wechsel (Cutterin: Wiebke Henrich). Die Handlung treibt vehement vorwärts. So trifft Jola bei ihrer Suche nach dem Topf auf die geheimnisvolle Waldfrau Moira (Maria Mägdefrau), die ihr eine Tonscherbe schenkt. Diese gehört zu dem Topf, der einst süßen Brei kochte und alle satt machte, aber seit langem verschwunden ist.
Märchengenre bildet lediglich den Rahmen
Auf der Suche nach den fehlenden zwei Scherben muss Jola abenteuerliche Prüfungen bestehen. Währenddessen lernt sie Veit kennen, der sich aber als jemand anderes ausgibt und ihr den Topf abjagen soll … Bei „Der süße Brei“ fällt einmal mehr auf, dass das Märchengenre lediglich den Rahmen für die Verfilmung bietet. Vielmehr sind zahlreiche Elemente aus anderen Genres, wie Abenteuerfilm, Liebesfilm oder Historienfilm, vertreten.
Im Hinblick auf die US-Serie „Games of Thrones“, die nach einem ähnlichen Muster funktioniert, spricht der Filmwissenschaftler Dan Hassler-Forest daher von einer „Anpassung des Fantasy-Genres an die Strukturen des Quality-TV, das sich an ein erwachsenes Publikum richtet“ (Mikos 2015, S. 328). Dabei meint Quality-TV nichts anderes als hochwertige Produktionen fürs Fernsehen, auch um neue Zielgruppen anzusprechen.
Quality-TV im Märchenfilmgenre?
Ein ähnliches Phänomen lässt sich bei deutschen TV-Märchenfilmen wie „Der süße Brei“ beobachten, wobei zusätzlich aktuelle Trends, wie eben der Hype um „Game of Thrones“, ihre ästhetischen und erzählerischen Spuren hinterlassen. Denn ebenso der ZDF-Märchenfilm, den die Erfurter Kinderfilm (sic!) GmbH produziert hat, will möglichst viele Adressaten erreichen. Dazu gehören auch Erwachsene.
Wenn das in Zukunft tatsächlich gelänge, könnte „Der süße Brei“ nicht (nur) am Nachmittag im Fernsehen gezeigt werden, sondern im Abendprogramm um 20.15 Uhr. Für rund 1,7 Millionen Euro Produktionskosten wäre das ein angemessener Sendeplatz.
Filme:
- „Der süße Brei“ (BRD, 2018, R: Frank Stoye)
- „Der süße Brei“ (D, 1940, R: Erich Dautert)
Drehorte:
- Burg Kriebstein, Kriebsteiner Str. 7, 09648 Kriebstein
- Elbsandsteingebirge
- Festung Königstein, 01824 Königstein (Großer Saal mit Pechnase und Steinschmeiße)
- Mittelalterliche Bergstadt Bleiberg e.V., Schönborner Str. 11, 09669 Frankenberg/Sachsen
- 09306 Rochlitz
Verwendete Quellen:
- Brüder Grimm: Der süße Brei. In: Kinder- und Hausmärchen. Ausgabe letzter Hand mit den Originalanmerkungen der Brüder Grimm. Mit einem Anhang sämtlicher, nicht in allen Auflagen veröffentlichter Märchen und Herkunftsnachweisen hrsg. von Heinz Rölleke. Stuttgart, 1980, Bd. 2, S. 95.
- Falk, Bernhardt: „Der süße Brei“ stillt den Hunger auf Märchen. In: Freie Presse, 18.4.2018.
- Harnischmacher, Michael/Lux, Benjamin: Thompson revisited. Ein empirisch fundiertes Modell zur Qualität von „Quality-TV“ aus Nutzersicht. In: Global Media Journal. German Edition. Vol. 5, No.1, Spring/Summer 2015.
- Herzberg, Georg: Wundervolle Märchenwelt. In: Film-Kurier 22 (1940), Nr. 222, 21.9.1940, S. 2.
- MDR/mv/nk: „Der süße Brei“: Finale für Märchendreh auf Burg Kriebstein. In: MDR-Sachsenspiegel, 18.4.2018.
- Mikos, Lothar: Film- und Fernsehanalyse. 3., überarbeitete und aktualisierte Auflage. Konstanz, 2015, S. 328.
- Pitz, André: Auf Burg Kriebstein fließt „Der süße Brei“. In: Leipziger Volkszeitung, 21.4.2018.
- Stucke, Julius: Tod im Kinderfilm. Ernste Themen für junge Zuschauer. Wie viel man Kindern im Kino zumuten sollte. Interview mit Magret Albers. Deutschlandfunk, 13.2.2014.
- [o. A.]: „Der süße Brei“ – Dreharbeiten im Tiefkeller. In: Blog Festung Königstein, 27.4.2018.
- [o. A.]: Drehstart für „Der süße Brei“. In: Kinderfilm GmbH, 10.4.2018.
Headerfoto: Das Mädchen und der Graf: Jola (Svenja Jung) und Veit (Merlin Rose) suchen den Wundertopf – und verlieben sich / © ZDF/Anke Neugebauer/Kinderfilm GmbH