Hervorgehobener Beitrag
Die ostdeutsche Übernahme – oder: Der Märchenfilm in der BRD von 1990 bis heute

Die ostdeutsche Übernahme – oder: Der Märchenfilm in der BRD von 1990 bis heute

Seit der Wiedervereinigung sind in Deutschland über 100 Märchenfilme entstanden. Zeit, um Bilanz zu ziehen. Was ist heute vom DEFA-Märchenfilm der untergegangenen DDR übrig geblieben?

Als der Historiker llko-Sascha Kowalczuk mit „Die Übernahme. Wie Ostdeutschland Teil der Bundesrepublik wurde“ (2019) ostdeutsche Befindlichkeiten unter die Lupe nahm, provozierte er – dreißig Jahre nach dem Mauerfall – eine kontroverse Debatte. Lobte der 1976 von der DDR ausgebürgerte Liedermacher Wolf Biermann in der „Berliner Morgenpost“ Kowalczuks Essay als „glänzendes Buch“ und „wahrhaftige Analyse“, so urteilte im „Deutschlandfunk Kultur“ die DDR-Ex-Leistungssportlerin Ines Geipel deutlich kritischer.

Stille Post: Auch das Ministerium für Post- und Fernmeldewesen der DDR wurde 1990 abgewickelt / © LoB/pixelio.de

Stille Post: Auch das Ministerium für Post- und Fernmeldewesen der DDR wurde 1990 abgewickelt / © LoB/pixelio.de


Kowalczuk bediene mit seiner „Strategie des halben Blicks“ nur den „aktuellen Hype: da der Schuld-Westen, dort der Opfer-Osten“, so Geipel, die auch Mitbegründerin des „Archivs der unterdrückten Literatur in der DDR“ ist. Gleichwohl hält die Zeit des Bilanzziehens unvermindert an. Sie mündet dabei vor allem in einer Frage: Wie wirkt sich eine sogenannte „Übernahme“, oder anders gesagt: der Beitritt der DDR (nach Artikel 23 des alten Grundgesetzes), auf das heutige Deutschland aus?

„Kulturelle Hegemonie“ und fehlende „Ost-Eliten“

Dabei rückte Kowalczuk den Blick auch auf eine westdeutsche ‚Vorherrschaft’ im Kulturbetrieb des seit 30 Jahren vereinten Deutschlands. Diese Erkenntnis war zwar schon damals nicht neu, gewann aber mehr und mehr an Relevanz im öffentlichen Diskurs. Jene ‚West-Dominanz’ nannte Kowalczuk „kulturelle Hegemonie“, geprägt von fehlenden „Ost-Eliten“ und einer damit verbundenen „Abwertung“ ostdeutscher Künstlerinnen und Künstler.

Die da oben, wir hier unten? Im DDR-Kinderwagen gab es vielfältige Sitzmöglichkeiten / © Daniel Franke/pixelio.de

Die da oben, wir hier unten? Im DDR-Kinderwagen gab es vielfältige Sitzmöglichkeiten / © Daniel Franke/pixelio.de


Dabei meint der wissenschaftlich eher umstrittene Begriff „Eliten“ (vgl. Waldmann 1998, S. 113–116) Personen, die in Institutionen oder Organisationen aufgrund ihrer (Leitungs-)Funktion und der daraus resultierenden Macht einen gesellschaftspolitischen Einfluss besitzen. „Ost-Eliten“ sind hierbei jene, die in der DDR geboren oder nach dem 3. Oktober 1990 in den neuen Bundesländern oder Ostberlin geboren und/oder aufgewachsen sind und deren Eltern aus der DDR stammen.

Eine ‚West-Vorherrschaft’ im Märchenfilm nach 1990?

Zwar gibt es einige wenige Statistiken, die den Anteil der Ostdeutschen an den gesamtdeutschen Eliten bemessen (vgl. Kollmorgen 2021), doch gilt landläufig die Meinung, dass sich ostdeutsche Künstlerinnen und Künstler „im vereinten Vaterland noch am besten behauptet“ haben (Eckert 2021, S. 283).

Dennoch finden sich selten valide Erhebungen, die sich tiefergehend dem Kulturbetrieb, zum Beispiel der Filmbranche widmen. Schon gar nicht dem bundesdeutschen Märchenfilm, der aber vor dem Hintergrund der 40-jährigen DDR-Märchenfilmgeschichte und des anhaltenden gesamtdeutschen Märchenfilmbooms seit Mitte der 2000er-Jahre einen näheren Blick lohnt und Fragen aufwirft.

Gibt es heute (oder immer noch) eine sogenannte „Repräsentationslücke“ (Kollmorgen 2021, S. 231) von DDR-sozialisierten Filmemacherinnen und -machern, oder umgekehrt gefragt eine ‚West-Vorherrschaft’, im bundesdeutschen Märchenfilm nach 1990? Und wenn ja, wie groß ist diese, was sind hierfür die Gründe und folgen daraus unmittelbare Defizite?

Die Abwicklung von DFF und DEFA

Als die DEFA, das ehemalige staatliche Filmstudio der DDR, 1992 von der Treuhandanstalt an einen französischen Mischkonzern verkauft wird, blickt es in seiner über 45-jährigen Geschichte auf etwa 40 Schauspieler-Märchenkinofilme zurück. Zudem produziert die DEFA für den staatlichen Deutschen Fernsehfunk (DFF, 1956–1971, 1990–1991) bzw. das Fernsehen der DDR (1972–1990) etwa 20 Märchenfernsehfilme bzw. -spiele.

Filmstudio Potsdam-Babelsberg: Hier befand sich das VEB DEFA-Studio für Spielfilme / © Studio Babelsberg AG

Filmstudio Potsdam-Babelsberg: Hier befand sich das VEB DEFA-Studio für Spielfilme / © Studio Babelsberg AG


Ihr künstlerisches Niveau, lobenswerte Leistungen der Schauspielstars und dramaturgisch gut durchdachte Geschichten machten viele der Märchenadaptionen – trotz einer mal mehr, mal weniger durchschimmernden Ideologie – damals wie heute zu Filmklassikern, die sogar in den Westen exportiert und dort in TV und Kino gezeigt wurden. Dennoch fielen mit der Abwicklung von DEFA und DFF schlagartig zwei Institutionen weg, die diese Märchenfilme produzierten. Das daran beteiligte künstlerische Personal verlor von heute auf morgen seine gesicherte Existenz.

Neuanfang in unbekanntem Produktionsmarkt

„Das Telefon stand plötzlich still“, erinnerte sich später der Filmkomponist Peter M. Gotthardt in einem Interview an die Nachwendezeit – und meinte damit die ausbleibenden Aufträge. Gotthardt, der mit der Filmmusik zu „Die Legende von Paul und Paula“ (DDR, 1973, R: Heiner Carow), aber auch zum DEFA-Märchenfilm „Schneeweißchen und Rosenrot“ (DDR, 1979, R: Siegfried Hartmann) zu den wichtigsten DDR-Filmkomponisten zählte, schaffte den Neuanfang in einem gänzlich unbekannten Produktionsmarkt mit hohem Konkurrenzdruck. Vielen anderen Kolleginnen und Kollegen gelang das allerdings nicht.

Schneeweißchen und Rosenrot (DDR 1979): Er zählt zu den zehn erfolgreichsten DEFA-Märchenfilmen / © MDR

Schneeweißchen und Rosenrot (DDR 1979): Er zählt zu den zehn erfolgreichsten DEFA-Märchenfilmen / © MDR


Das hatte auch damit zu tun, dass sich – auf das Märchenfilmgenre bezogen – die Nachfolger des DFF, die 1992 neu gegründeten ARD-Landesrundfunkanstalten Mitteldeutscher Rundfunk (MDR) und Ostdeutscher Rundfunk Brandenburg (ORB, seit 2003: Rundfunk Berlin-Brandenburg, kurz: RBB) erst einmal neu aufstellen mussten (vgl. Wiedemann 2017, S. 215). Die Produktion neuer Märchenfilme stand nicht auf der Tagesordnung. Das künstlerische DEFA-Märchenfilmerbe schien vorerst niemanden zu interessieren.

Einige ‚Überläufer’ in Fernsehen und Kino

Mit wenigen Ausnahmen: MDR und ORB übernahmen 1992 gemeinsam mit dem Norddeutschen Rundfunk (NDR) und dem Sender Freies Berlin (SFB) die Endproduktion von „Sherlock Holmes und die sieben Zwerge“ (TV-Erstausstrahlung: 10.5.1992). Gedreht wurde die 8-teilige Fantasy-Serie nach Motiven der Brüder Grimm noch von der bereits abgewickelten DEFA-Studio Babelsberg GmbH (vgl. Wiedemann 2015, S. 9).

Sherlock Holmes und die sieben Zwerge (D 1992): DDR-Star Alfred Müller als Kriminalhauptkommissar / © MDR/RBB

Sherlock Holmes und die sieben Zwerge (D 1992): DDR-Star Alfred Müller als Kriminalhauptkommissar / © MDR/RBB


Der Filmstab gehörte fast ausschließlich zum früheren DEFA-Personal: Die Regie übernahm der ehemalige DDR-Regisseur Günter Meyer (u. a. „Spuk unterm Riesenrad“, 1978), der bis Anfang der 2000er-Jahre weiter Akzente im Fantasy-Fach setzte.

Zudem starteten sogenannte ‚Überläufer’ wie „Das Licht der Liebe“ (DDR/D 1991) und „Olle Hexe“ (DDR/D 1991), die bereits vor dem 3. Oktober 1990 abgedreht, aber erst danach im gesamtdeutschen Kino uraufgeführt wurden.

Stabile Strukturen und Netzwerke im Westen

Der frühe gesamtdeutsche Märchenfilm nach 1990 wurde dennoch von den Akteurinnen und Akteuren in den etablierten alten Bundesländern geprägt. Hier gab es Strukturen und Netzwerke, die über Jahrzehnte gewachsen waren und sich weiter als stabil erwiesen. So führte das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) Anfang der 1990er-Jahre seine Reihe „Die Welt des Märchens“ fort. Darin verfilmte der öffentlich-rechtliche Sender in Koproduktion mit der ČSSR (später: ČSFR und ČZ) sowie westeuropäischen Fernsehanstalten bekannte Märchen für Kino und TV.

Des Kaisers neue Kleider (ČZ/D/ES/I 1994): Harald Juhnke (2. v. r.) spielte die Titelfigur / © ZDF

Des Kaisers neue Kleider (ČZ/D/ES/I 1994): Harald Juhnke (2. v. r.) spielte die Titelfigur / © ZDF


Opulente Produktionen wie „Dornröschen“ (ČSSR/D/F 1990), „Der Reisekamerad“ (ČSSR/D/F/I/AT 1990), „Der Froschkönig“ (ČSFR/D/F/I 1991), „Schneewittchen und das Geheimnis der Zwerge“ (ČSFR/D/I/ES 1992) oder „Des Kaisers neue Kleider“ (ČZ/D/ES/I 1994) rekrutierten ihr Personal dabei ausschließlich aus populären westdeutschen Schauspielstars, wie Iris Berben, Judy Winter, Michael Degen oder Harald Juhnke, und tschechoslowakischen Filmschaffenden.

Ebenso verfuhr die ARD, die „Das Zauberbuch“ (ČZ/D 1996) mitproduzierte, oder der Bayerische Rundfunk (BR), der sich an „Der Feuervogel“ (ČZ/D 1997) und „Die Seekönigin“ (ČZ/D 1998) beteiligte. Ostdeutsches Personal war auch hier, aufgrund der beteiligten westdeutschen Landesrundfunkanstalt (BR), so gut wie nicht vertreten.

Die Seekönigin (ČZ/D 1998): Die tschechische Schauspielerin Ivana Chýlková in der Titelrolle / © ZDF

Die Seekönigin (ČZ/D 1998): Die tschechische Schauspielerin Ivana Chýlková in der Titelrolle / © ZDF


Für westliche Entscheidungsträgerinnen und -träger in ARD und ZDF kamen Ostdeutsche auch deshalb nicht infrage, weil etwaige künstlerische Positionen in den TV-Redaktionen oder Filmstäben ohnehin bereits besetzt waren. Eine Neu- oder Umverteilung war nicht gewollt.

Ostdeutsche Aspirantinnen und Aspiranten wurden nicht zuletzt diskreditiert („Bolschewistenfunk“), weil sie nach Ansicht der westdeutschen Elite mit ihrer (künstlerischen) Arbeit das DDR-Regime direkt oder indirekt gestützt hätten. Und das, obwohl nach dessen Ende das DEFA- und DFF-Personal über berufliche Qualifikationen und notwendiges Fachwissen verfügte.

Lichtblick am Ende der 1990er-Jahre

Da wirkte es wie eine große Überraschung als Ende der 1990er-Jahre der frühere DEFA-Regisseur Rolf Losansky „Hans im Glück“ (D 1999) vorlegte – und dabei auf ein proportional ausgeglichenes hochkarätiges Ost-West-Schauspielensemble zurückgriff. Der Grund dafür mag darin gelegen haben, dass den von der Westberliner Genschow-Film GmbH produzierten Märchenfilm neben dem Westdeutschen Rundfunk (WDR) auch der in Potsdam ansässige ORB und der 1997 im thüringischen Erfurt gestartete ARD-/ZDF-Kinderkanal (seit 2012: KiKA) mitfinanzierte, für den der MDR bis heute verantwortlich ist.

Hans im Glück (D 1999): Ost (Fred Delmare, r.) und West (Andreas Bieber) vor der Kamera / © Genschow-Film

Hans im Glück (D 1999): Ost (Fred Delmare, r.) und West (Andreas Bieber) vor der Kamera / © Genschow-Film


Und auch wenn der Posten des KiKA-Programmgeschäftsführers von 1997 bis 2017 mit westdeutsch sozialisierten männlichen Entscheidungsträgern besetzt wurde (seit 2018: Astrid Plenk aus Bernburg/Sachsen-Anhalt), ist es denkbar, dass sich schon Ende der 1990er-Jahre die Redaktionen zum Teil aus ostdeutschem Personal zusammensetzten – und sich dieser Umstand auf die Märchenfilm-Produktionsplanung (Regie, Drehbuch, Schauspiel etc.) auswirkte.

Märchen-Parodien in Kino und TV für Erwachsene

Dennoch ging von „Hans im Glück“ vorerst keine Trendwende aus. Schlichtweg aus dem einfachen Grund, weil das deutsche Märchenfilmgenre Anfang der 2000er-Jahre keine wichtigen Adaptionen nach Grimm, Andersen und Co. für ein Kinderpublikum produzierte. Fragen nach einer ‚West-Dominanz’ oder einer ‚Ost-Verdrängung’ spielten deshalb vorerst noch keine Rolle.

Gleichwohl war das Märchen weiter präsent: als Parodie in Kino und TV für Erwachsene. So funktionierten die von Otto Waalkes mitproduzierten Filmkomödien „7 Zwerge – Männer allein im Wald“ (D 2004) und „7 Zwerge – Der Wald ist nicht genug“ (D 2006) an den Kinokassen. Und im Privatsender ProSieben flimmerte „Die Märchenstunde“ (D/AT/ČZ 2006–2012) der Rat Pack Filmproduktion (München) über die Bildschirme.

7 Zwerge – Männer allein im Wald (D 2004): Das West-Ensemble war meist unter sich / © Universal Pictures

7 Zwerge – Männer allein im Wald (D 2004): Das West-Ensemble war meist unter sich / © Universal Pictures


Hier wie dort griffen die Filmverantwortlichen auf westdeutsches Personal zurück, das vor oder hinter der Kamera agierte, wenn man von wenigen im Osten geborenen Schauspielstars (Nina Hagen, Mirco Nontschew, Jeanette Biedermann etc.) einmal absah.

„Sechs auf einen Streich“ und „Märchenperlen“

Ab Mitte der 2000er-Jahre erlebte der Märchenfilm im öffentlich-rechtlichen Rundfunk von ARD und ZDF ein Comeback. Die meist an den Weihnachtsfeiertagen erstmalig gezeigten Adaptionen der Reihen „Märchenperlen“ (ZDF, seit 2005, auch Koproduktionen) und „Sechs auf einen Streich“ (ARD, seit 2008) richteten sich dabei sowohl an ein Kinder- als auch Familienpublikum.

Dafür gründete die Kinder- und Jugendredaktion des ZDF Anfang der 00er-Jahre eine Art ‚Think Tank’, dem auch der Münchner Filmproduzent Ernst Geyer angehörte. Die Denkfabrik sollte eine Konzeption für zunächst sechs Märchenfilme entwickeln. Darin wurden auch fünf Drehbuchautoren und eine Drehbuchautorin aus den alten Bundesländern berufen. Mitfinanziert wurden die ersten vier Märchenfilme (2005–2008) neben der Länderförderung Bayern und Hamburg von der in Leipzig ansässigen Mitteldeutschen Medienförderung (vgl. Ungureit 2009, S. 10f.).

Ostdeutsche im ARD- und ZDF-Märchenfilm

Um tendenzielle Aussagen darüber zu treffen, ob und wie viele DDR-sozialisierte Filmemacherinnen und -macher das bundesdeutsche Märchengenre mitpräg(t)en, soll der Blick stichprobenartig auf die Bereiche Regie und Drehbuch gelenkt werden.

Bis 2021 drehte das ZDF 19 Märchenfilme*, an denen insgesamt 13 Regisseure (10) und Regisseurinnen (3) beteiligt waren. Davon sind zwei (15 Prozent)** im Osten geboren: Karola Hattop, die seit 1973 Kinder- und Familienfilme für das DDR-Fernsehen und später für das ZDF zwei Märchenfilme („Die sechs Schwäne“, 2012 und „Die Schneekönigin“, 2014) inszenierte, sowie Carsten Fiebeler („Die goldene Gans“, 2013), der erst nach der Wende als Regisseur arbeitete. Koproduziert wurden diese drei ZDF-Märchenfilme von der im Jahr 2000 im thüringischen Erfurt gegründeten Kinderfilm GmbH (später: Mideu Films GmbH).

Die sechs Schwäne (D 2012): Sinja Dieks und André Kaczmarczyk in den Hauptrollen / © ZDF/Steffen Junghans

Die sechs Schwäne (D 2012): Sinja Dieks und André Kaczmarczyk in den Hauptrollen / © ZDF/Steffen Junghans


Anders als beim ZDF verteilt sich die Produktion der ARD-Märchenfilme auf die neun Landesrundfunkanstalten. Die in der DDR geborene ehemalige RBB-Mitarbeiterin Sabine Preuschhof koordinierte die Reihe „Sechs auf einen Streich“ in den ersten Jahren. Werden die 52 ARD-Adaptionen bis 2021 im Hinblick auf Ost-West-Besetzung ausgewertet, zeigt sich folgendes Bild: Von insgesamt 26 Regisseuren (20) und Regisseurinnen (6) haben fünf (19 Prozent) eine Ost-Sozialisation**.

Fürneisen und Fiebeler gehören zu Top-Regisseuren

Darunter ist Bodo Fürneisen, der bei fünf ARD-Märchenfilmen auf dem Regiestuhl sitzt – er wird nur übertroffen vom westdeutschen Regisseur Christian Theede mit sechs NDR-Adaptionen. Fürneisen hatte bereits für das DDR-Fernsehen die Klassiker „Die Geschichte vom goldenen Taler“ (DDR 1985) sowie „Die Weihnachtsgans Auguste“ (DDR 1988) inszeniert. Fiebeler kommt insgesamt auf vier ARD-Adaptionen und zeigt, dass man in ZDF und ARD erfolgreich Märchen verfilmen kann.

Die Weihnachtsgans Auguste (DDR 1988): Dietrich Körner spielte den Opernsänger Ludwig Löwenhaupt / © MDR

Die Weihnachtsgans Auguste (DDR 1988): Dietrich Körner spielte den Opernsänger Ludwig Löwenhaupt / © MDR


Dabei verantwortet die fünf Fürneisen-Märchenfilme und eine Fiebeler-Adaption die in Potsdam ansässige Landesanstalt RBB. Fiebelers drei andere ARD-Verfilmungen entstehen zwar unter Federführung der westdeutschen Anstalten Hessischer Rundfunk (HR) bzw. Südwestrundfunk (SWR), werden aber zum Teil von der Kinderfilm GmbH produziert: „Das blaue Licht“ (D 2010).

Nur wenige ‚ostdeutsche’ Märchenfilm-Drehbücher

Bei zwei weiteren mit Osthintergrund (Regie) gedrehten Filmen ist neben Radio Bremen (RB), dem Norddeutschen Rundfunk (NDR) und dem HR auch der MDR als Koproduzent vertreten. Einen weiteren Märchenfilm verantwortet die in Leipzig ansässige Landesanstalt ganz allein, wobei zudem die Kinderfilm GmbH das Märchen im Auftrag des MDR produziert.

Im Hinblick auf eine Ost-West-Sozialisation von Drehbuchautorinnen und -autoren im ZDF- und ARD-Märchenfilm zeigt sich ein ähnliches Bild: Von insgesamt 17, die an den „Märchenperlen“ beteiligt sind, hat nur ein Drehbuchschreiber (6 Prozent) einen ostdeutschen Hintergrund**. Dieser ist aber an drei ZDF-Märchenfilmen beteiligt. Bei den ARD-Produktionen haben von insgesamt 28 Autorinnen und Autoren vier (14 Prozent) einen ostdeutschen Hintergrund**. Zwei davon arbeiten allerdings gleich an drei Märchenfilmen mit.

Von „Das kalte Herz“ zu „Timm Thaler“

Einzelne Kinofilme in den 2010er-Jahren wie die Filmmärchen „Aschenbrödel und der gestiefelte Kater“ (D 2013) und „Das Märchen von der Prinzessin, die unbedingt in einem Märchen vorkommen wollte“ (D 2013, koproduziert vom BR), aber auch das nach einer klassischen Vorlage entstandene „Das kalte Herz“ (D 2016, koproduziert u. a. von ARD/MDR/SWR und mitfinanziert u. a. von Mitteldeutsche Medienförderung und Medienboard Berlin-Brandenburg) entstehen wieder weitgehend mit westdeutsch sozialisierten Filmschaffenden, wobei letztere Märchenverfilmung mit André M. Hennicke und Jule Böwe zwei ostdeutsch sozialisierte Schauspielstars engagiert.

Das kalte Herz (D 2016): Frederick Lau als Peter Munk, der sein Herz tauscht / © Weltkino Filmverleih GmbH

Das kalte Herz (D 2016): Frederick Lau als Peter Munk, der sein Herz tauscht / © Weltkino Filmverleih GmbH


Eine Ausnahme stellt die fantastische Romanverfilmung „Timm Thaler oder Das verkaufte Lachen“ (D 2017) dar, die u. a. von den im thüringischen Gera geborenen Andreas Dresen (Regie) und Jörg Hauschild (Schnitt) sowie von der aus Potsdam stammenden Sabine Greunig (Kostüme) inszeniert wurde. Ostdeutsche wie Charly Hübner, Nadja Uhl, Reiner Heise oder Steffi Kühnert, aber auch die westdeutschen Schauspieler Justus von Dohnányi, Axel Prahl oder Bjarne Mädel machten den u. a. vom ZDF koproduzierten Kinofilm zu einem gesamtdeutschen Projekt.

Ostanteil proportional zur Gesamtbevölkerung

Demnach sind seit 1990 in Deutschland über 100 Märchenfilme entstanden, die entweder vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ARD, ZDF) oder von freien Produktionsfirmen hergestellt wurden. Doch untermauern die Statistiken und Filmbeispiele die These, dass es im bundesdeutschen Märchenfilm heute noch eine „Repräsentationslücke“ von DDR- oder ostdeutsch-sozialisierten Filmemacherinnen und -machern gibt?

Vor dem Hintergrund, dass etwa 17 Prozent aller Bundesbürgerinnen und Bundesbürger ostdeutscher Herkunft sind (vgl. Kollmorgen 2021, S. 235) und diese Zahl als Vergleichsgröße gilt, wirkt der Regieanteil im öffentlich-rechtlichen Rundfunk von 19 Prozent (ARD: „Sechs auf einen Streich“) und 15 Prozent (ZDF: „Märchenperlen“) sowie der Drehbuchanteil von 14 Prozent (ARD: „Sechs auf einen Streich“)** relativ proportional. Nur der ‚ostdeutsche’ Drehbuchanteil am ZDF-Märchenfilm von 6 Prozent ist unterproportional.**

Die Zahlen zeigen zudem wenig überraschend, wenn die beiden ‚Ost-Landesanstalten’ RBB und MDR an Märchenfilmen der ARD-Reihe „Sechs auf einen Streich“ beteiligt sind, werden für die Posten Drehbuch und Regie ebenso ostdeutsche Künstlerinnen und Künstler interessant. Zudem wirkt sich die Beteiligung ostdeutscher Produktionsfirmen, beispielsweise der „Kinderfilm-GmbH“, auf den Anteil im Osten sozialisierter Akteure und Akteurinnen aus.

ARD-Landesanstalten mit ‚Lokalpatriotismus’

Dennoch lässt das nicht pauschal den Schluss zu, die in Thüringen bzw. Sachsen-Anhalt ansässige Firma arbeite vorrangig mit ostdeutschem Personal, im Unterschied zu im Westen ansässigen Produktionsfirmen.

Dafür spricht, dass „Kinderfilm“ auch ZDF-Märchenfilme verantwortete, die eine westdeutsche Regisseurin (Anne Wild: „Hänsel und Gretel“, 2006) oder einen westdeutschen Regisseur (Frank Stoye: „Der Zauberlehrling“, 2017; „Der süße Brei“, 2018) rekrutierten. Das gilt auch für die von „Kinderfilm“ produzierten ARD-Märchenfilme „König Drosselbart“ (D 2008), „Die Gänsemagd“ (D 2009) und „Rotkäppchen“ (D 2012) – alle in der Regie der Münchnerin Sibylle Tafel.

Rotkäppchen (D 2012): Der Wolf (Edgar Selge) mit der Titelfigur (Amona Aßmann) im Wald / © HR/Felix Holland

Rotkäppchen (D 2012): Der Wolf (Edgar Selge) mit der Titelfigur (Amona Aßmann) im Wald / © HR/Felix Holland


Trotzdem scheint es, dass „Kinderfilm“ – im Gegensatz zu im Westteil Deutschlands ansässigen Produktionsfirmen – ein Stück weit sensibilisierter mit der Rekrutierung von Filmschaffenden umgeht. Andererseits kann dem Unternehmen, wie auch einigen ost- und westdeutschen ARD-Landesrundfunkanstalten allgemein vorgehalten werden, dass sie einen ‚Lokalpatriotismus’ bedienen, das heißt: vor allem Filmschaffende engagieren, die auf dem Gebiet der jeweiligen Rundfunkanstalt oder eines Bundeslandes leben und für den Sender bereits arbeiten.

Im Umkehrschluss heißt das aber auch: Wenn RBB und MDR keine oder weniger im Osten sozialisierte Künstlerinnen und Künstler rekrutieren würden, lägen die Anteile bei Regie und Drehbuch deutlich unter dem erwähnten quantitativen Minderheitenstatus der Ostdeutschen an der Gesamtbevölkerung (17 Prozent). Denn die anderen sieben im Westen ansässigen Landesanstalten NDR, RB, WDR, HR, SWR, BR und Saarländischer Rundfunk (SR) würden das mit dem von ihnen engagierten Ostpersonal nicht auffangen.

Die ostdeutsche Übernahme

Doch wie wirkt sich der Ost-Regieanteil von 19 bzw. 15 Prozent sowie -Drehbuchanteil von 14 bzw. 6 Prozent auf die öffentlich-rechtliche Märchenfilmproduktion** aus? Folgen daraus unmittelbare Defizite?

Glaubt man Josef Göhlen, ehemaliger Leiter des Kinderprogramms beim HR und ZDF, so ist es genau umgekehrt: Der heutige bundesdeutsche Märchenfilm ist eigentlich ein DEFA-Märchenfilm 2.0. Denn für Göhlen orientieren sich die ARD- und ZDF-Märchen „an einer tradierten Märchendramaturgie, wie sie seinerzeit insbesondere von der ostdeutschen Produktionsfirma DEFA gepflegt wurde“ (Gangloff 2016, S. 8f.). Damit meint er, dass darin die Armen und Unterdrückten immer zu den im ethischen Sinn Guten, die Reichen dagegen durchgehend zu den Bösen zählten. Er halte es für einen großen Fehler, diese Dramaturgie nachzuahmen.

Das tapfere Schneiderlein (DDR 1956): König Griesgram (Fred Kronström), Prinz Eitel (Horst Drinda), Prinzessin Liebreich (Gisela Kretzschmar) gelten in dem DEFA-Märchenfilm als die Bösen / © MDR

Das tapfere Schneiderlein (DDR 1956): König Griesgram (Fred Kronström), Prinz Eitel (Horst Drinda), Prinzessin Liebreich (Gisela Kretzschmar) gelten in dem DEFA-Märchenfilm als die Bösen / © MDR


Die Schweizer Filmkritikerin Christine Lötscher meint, dass sich die ARD- und ZDF-Adaptionen zudem gestalterisch „an der historisierenden Ästhetik der DEFA-Märchenfilme“ (Lötscher 2017, S. 310) orientieren. Und: Wie den DDR-Produktionen liege dem öffentlich-rechtlichen Märchenfilm „eine Analyse und Interpretation der Textvorlage zugrunde; die zeitlosen Konflikte der Figuren werden konkretisiert, psychologisiert und in die Gegenwart übertragen“ (ebd. S. 311). Allerdings gelinge es eher selten, den ganz eigenen Zauber der DEFA-Filme zu reproduzieren.

Daraus wäre auf die hier diskutierte Frage zu schließen, dass sich seit 1990 keine westdeutsche „Übernahme“ in der gesamtdeutschen Märchenfilmproduktion, sondern umgekehrt eine ostdeutsche „Übernahme“ vollzogen hat – wenn auch ‚nur’ in dramaturgischer und gestalterischer Hinsicht.

Diversität: Frauenanteil und Migrationshintergrund

Gleichwohl bleibt damit die Frage nach einer angemessenen personellen ostdeutschen Teilhabe in der bundesdeutschen Märchenfilmproduktion bestehen. Flankiert wird sie allerdings im 21. Jahrhundert mit der Forderung nach einer generellen Diversität in diesem Filmgenre: Die stichprobenartigen Statistiken zeigten beispielsweise, dass der Frauenanteil – nicht nur im Regie- und Drehbuchfach – sehr gering ist.

Zudem sind Filmschaffende mit Migrationshintergrund noch Ausnahmen. Der deutsch-türkische Regisseur Cüneyt Kaya („Das Märchen vom goldenen Taler“, 2020), der in Istanbul geborene Regisseur und Drehbuchautor Su Turhan („Die drei Federn“, 2014; „Prinzessin Maleen“, 2015; „Der starke Hans“, 2020) oder der in Vietnam geborene Kameramann und Regisseur Ngo The Chau (u. a. „Die Hexenprinzessin“, D/CZ, 2020) sind drei Beispiele. Ebenso lassen sich hier der Finne Hannu Salonen („Des Kaisers neue Kleider“, 2010) oder die in Stockholm geborene deutsche Regisseurin Maria von Heland („Die Sterntaler“, 2011; „Der Teufel mit den drei goldenen Haaren“, 2013) nennen.

Die Hexenprinzessin (ČZ/D 2020): Zottel (Charlotte Krause), Prinz (Jerry Hoffmann), Bero (J. Vogel) / © ZDF/Conny Klein

Die Hexenprinzessin (ČZ/D 2020): Zottel (Charlotte Krause), Prinz (Jerry Hoffmann), Bero (J. Vogel) / © ZDF/Conny Klein


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* Ohne den Märchenfilm „Zwerg Nase“ (D, 2008, R: Felicitas Darschin). Dieser entstand im Auftrag des BR, wird aber zu den ZDF-„Märchenperlen“ gezählt, obwohl der Sender nicht daran beteiligt war.

** Die Herkunft der Filmschaffenden wurde in öffentlichen Quellen (Internet, Fachmedien) recherchiert und/oder individuell bei den Künstlerinnen und Künstlern angefragt (E-Mail). Da nicht zu allen Filmschaffenden die Herkunft recherchiert werden konnte, können die Zahlen prozentual leicht abweichen (Stand: 24.3.2022).

Verwendete Quellen:


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Der reich gewordene Peter Munk kommt im Kaftan und mit Turban auf dem Kopf von einer Weltreise in die Heimat zurück. Er wird von einem Schwarzen Diener begleitet, der ebenso einen Turban trägt und von der weißen einheimischen Bevölkerung wegen seiner Hautfarbe neugierig bestaunt wird. Der Diener fühlt sich dabei sichtlich unwohl. Dann gibt es eine unvermutete Wendung. Plötzlich müssen ob der eigentümlichen Situation sowohl der Diener als auch die einheimische Bevölkerung herzlich darüber lachen. Schnitt.

Das kalte Herz (1923): Zulassungskarte der Film-Prüfstelle Berlin vom 19.12.1923 (Seite 1) / Quelle: BArch

Das kalte Herz (1923): Zulassungskarte der Film-Prüfstelle Berlin vom 19.12.1923 (Seite 1) / Quelle: BArch


Die deutsch-schweizerische Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Ingrid Tomkowiak sieht in dieser Sequenz zurecht „eine aus heutiger Perspektive rassistische Szene, die an die damals noch praktizierten Völkerschauen […] erinnert“ (Tomkowiak 2020, S. 332).

Jene Veranstaltungen also, zum Beispiel im Hamburger Tierpark Hagenbeck, in denen vermeintliche ‚Kuriositäten’ vor Besucherinnen und Besuchern ‚präsentiert’ werden, wie ‚exotische’ und ‚fremde’ Menschen von anderen Kontinenten. Zwar verlor das Deutsche Reich nach dem Ersten Weltkrieg alle Kolonien, doch viele, sich überlegen fühlende ‚weiße’ Deutsche sehen in Schwarzen weiterhin sogenannte ‚Wilde’ und keine gleichwertigen Menschen, die als Sklaven zu dienen haben. Der Stummfilm vom Anfang der 1920er-Jahre bestätigt diese Vorurteile.

Über oder mit Schwarzen Figuren lachen

Gleichwohl mag das gemeinsame Lachen der weißen und Schwarzen Figuren – und das ist das Widersprüchliche oder Überraschende an dieser Filmszene – auch die Situation ad absurdum führen und auf deren Lächerlichkeit hinweisen zu wollen. Es legt zudem etwas Essentielles in der Darstellung von Schwarzen offen: In der deutschen Märchenfilmgeschichte wird zum Großteil über Schwarze Figuren, aber nicht mit Schwarzen Figuren gelacht.

Sie repräsentieren, wird auf die letzten 100 Jahre geschaut, das ‚Fremde’ und ‚Andersartige’, ‚Servile’ und ‚Unterwürfige’, aber eben auch vermeintlich ‚Skurrile’ und ‚Kuriose’, über das das weiße Publikum schmunzelt.

Dabei geht das Komische im literarischen Märchen ohnehin oftmals mit einer „starker Typisierung seiner Figuren“ (Wehse 1996, Sp. 91) einher, die zum Lachen animieren soll. Diese ethnischen Stereotype über Schwarze – äußerliche wie charakterliche – gehen auf tradierte Bilder zurück, die in Europa seit der Antike kursieren.

Belegen im Altertum textliche und bildliche Quellen noch „eine vorwiegend positive Sicht“ (Geider 1999, Sp. 1309), wenn mythologische Figuren vereinzelt als Schwarze dargestellt werden, so ändert sich das ab dem christlichen Mittelalter: Weiß wird mit Gut, Schwarz mit Böse gleichgesetzt und „mit der Figur des Teufels assoziiert“ (ebd.).

Kolonialzeit prägt stereotype Vorstellungen

Mehr noch ist es aber die Kolonialliteratur, demnach Romane, biografische Berichte etc., die in der wilhelminischen Kolonialzeit, d. h. zwischen 1884 und 1918/19, veröffentlicht werden und die Verhältnisse in den sogenannten „Schutzgebieten“ in Afrika, im Südpazifik oder an der chinesischen Ostküste thematisieren (vgl. Hermes 2017).

Jenes Erzählgut prägt die negativen Vorstellungen über Schwarze, demnach den Rassismus, und berichtet von deren vorgeblicher „Faulheit, Dummheit, Schmutzigkeit, Lüsternheit und Hyperpotenz, gutmütigen Kindlichkeit und vom Kannibalismus des N***“ (Geider 1999, Sp. 1311).

Der kleine Muck (1921): Ein gemaltes Kinoplakat bewirbt den Märchenfilm / Quelle: Universum-Film AG (Ufa)

Der kleine Muck (1921): Ein gemaltes Kinoplakat bewirbt den Märchenfilm / Quelle: Universum-Film AG (Ufa)


Obwohl Schwarze im populären europäischen und orientalischen Märchen als Figur sehr selten vorkommen, gehören sie schon früh zum Nebenfiguren-Ensemble im deutschen Märchenfilm – ein Mal als Diener wie in „Das kalte Herz“ (D, 1923, R: Fred Sauer), ein anderes Mal als Hauptfigur in „Der kleine Muck – Ein Märchen aus dem Morgenlande“ (D, 1921, R: Wilhelm Prager).

Beide Filme entstehen in einer Ära, in der die „Sehnsucht nach märchenhafter Verklärung und Exotik“ (Kabatek 2003, S. 38) ein wichtiger (kommerzieller) Teil der Weimarer Filmproduktion, aber auch des Zeitgeistes ist.

„Der kleine Muck“ in der Weimarer Republik

Die literarische „Muck“-Vorlage, ebenso von Wilhelm Hauff aus dem Jahr 1825, erzählt über ein armes Waisenkind mit körperlicher Beeinträchtigung (kleinwüchsig), das in die Welt hinauszieht und dank Zauberpantoffeln und einem Wunderstöckchen märchenhafte Abenteuer erlebt. Ursprünglich lebt Muck in der Stadt Nicäa (heute: Iznik, im Nordwesten der Türkei), in der die Hautfarbe der Einheimischen eigentlich hell ist.

Die Titelfigur im Stummfilm spielt der damals elfjährige Willy Allen (eigentlich: Wilhelm Panzer, 1909–1969), Sohn eines ostafrikanischen Banjo-Spielers und einer deutschen Musikerin. Allen ist körperlich nicht beeinträchtigt, bedient aber „das koloniale Klischee des ‚niedlichen’, vor allem aber ungefährlichen Schwarzen Kindes“ (Verwobene Geschichte*n [o. J.]; vgl. auch Nagl 2009, S. 590–593), dem das weiße Publikum im Kinosaal entzückt folgt.

Der kleine Muck (1921): Der Kinderschauspieler Willy Allen (l.) als Titelfigur / Quelle: Universum-Film AG (Ufa)

Der kleine Muck (1921): Der Kinderschauspieler Willy Allen (l.) als Titelfigur / Quelle: Universum-Film AG (Ufa)


Mit seinem „Riesenturban“ (Filmkurier), den er auch bei der Premiere am 11. Februar 1921 im Berliner „Tauentzienpalast“ trägt, sieht er drollig und lustig aus. Der orientalische Märchenheld wird somit zwar als physisch ‚normale’, aber eben doch ‚andersartige’, hier: Schwarze Märchenfigur mit Komik-Faktor inszeniert (vgl. Schlesinger 2021).

Weitere Schwarze in „Der kleine Muck“ übernehmen punktuell Macht besitzende Figurenrollen, wie einen grimmigen Sklavenaufseher, den der damals bekannte Schwarze Schauspieler Louis Brody (1892–1951, zu Brody vgl. Nagl 2009, S. 559–590) gibt, andere erfüllen hingegen wieder das traditionelle Bild, das des servilen Sklaven (Leibwache des Sultans).

Leibwedler des Sultans in „Münchhausen“

Gut zwanzig Jahre später, im Ufa-Farbfilm „Münchhausen“ (D 1943) frei nach den Lügenmärchen von Gottfried August Bürger, muss der damals 17-jährige Afrodeutsche Theodor Michael (1925–2019) den Leibwedler eines Sultans spielen. Regisseur Josef von Báky lässt Schwarze damals vornehmlich von Schwarzen Komparsen darstellen und nicht von schwarz-geschminkten Weißen. Das ist im Sinne des Propagandaministers Joseph Goebbels, „um die vermeintliche Überlegenheit der angeblichen ‚Herrenrasse‘ herauszustellen“ (Authaler 2013).

Tradierte Bilderwelten: Anti-Schwarzer Rassismus im deutschen Märchenfilm

Münchhausen (1943): Hans Albers (l.) in der Titelrolle mit dem Sultan (Leo Slezak) / Quelle: Universum-Film AG (Ufa)


Im Gegensatz zur Weimarer Republik verschärft sich im „Dritten Reich“ die Lebenssituation für Schwarze um ein Vielfaches, auch wenn die individuelle Herkunft sowie jeweils aktuelle rassenpolitische Vorgaben und außenpolitische Interessen den Grad der Verfolgung durch die Nazis bestimmen (vgl. Lauré al-Samarai 2004).

Theodor Michael, Sohn eines kamerunischen Vaters und einer deutschen Mutter, ‚überlebt’ als Komparse in Ufa-Filmen, wie „Münchhausen“, den Nationalsozialismus. Auch wenn diese und andere Rollen rassistisch aufgeladen sind. Das was er dabei erlebt, hat er 2013 aufgeschrieben („Deutsch sein und schwarz dazu: Erinnerungen eines Afro-Deutschen“).

Schwarze Trickster-Figur im NS-Film

Über James Bachert, ein Schwarzer Kinderdarsteller, der im orientalischen NS-Märchenfilm „Die verzauberte Prinzessin“ (D, 1939, R: Alf Zengerling) den Diener (Kiku) der Titelfigur spielt und sie zusammen mit dem jungen Helden Assad – gespielt von Hermann Wagner – befreien will, ist weitaus weniger bekannt.

Die verzauberte Prinzessin (1939): Assad (Hermann Wagner, l.) will sie befreien / Quelle: Stiftung Deutsche Kinemathek

Die verzauberte Prinzessin (1939): Assad (Hermann Wagner, l.) will sie befreien / Quelle: Stiftung Deutsche Kinemathek


Das Aussehen von Kiku, „der mit seinem großen Turban und dem viel zu langen Degen, der an seinem Gürtel steckt, eher lustig als gefährlich wirkt“ (Schlesinger 2014, S. 52), lehnt sich an den Hauff-Muck (großer Turban, langer Damaszener-Dolch seines Vaters, vgl. Hauff 2002, S. 80).

Bachert wird, wie schon Allen in „Der kleine Muck“ (1921), als Komik- bzw. hier zusätzlich als Trickster-Figur inszeniert, die auch in „Die verzauberte Prinzessin“ – nach Christopher Vogelers Figurentheorie (1997) – als Diener oder Verbündeter des Helden „ein befreiendes und gesundes Gelächter provoziert“ (ebd. S. 151).

Ähnliche Figurenkonstellationen

Ein populäres britisches Beispiel für diese klassische Figurenkonstellation ist „Der Dieb von Bagdad“ (GB, 1940, R: Ludwig Berger u. a.) mit dem indisch-US-amerikanischen, Schwarzen Schauspieler Sabu (1924–1963) als Abu, der junge Straßendieb, und dem weißen Briten John Justin (1917–2002) als junger Kalif Ahmad.

Der Dieb von Bagdad (1940): Prinz Ahmad (John Justin, l.) und Dieb Abu (Sabu) / Quelle: EMS GmbH

Der Dieb von Bagdad (1940): Prinz Ahmad (John Justin, l.) und Dieb Abu (Sabu) / Quelle: EMS GmbH


Doch wird Abu – wie Kiku – ein „eigenständiger leading character“ (Kleiner 2006, S. 150) verwehrt. Und: „Das Fremde erscheint in infantilisierter Form und kann somit, weil harmlos und ungefährlich, als liebenswert gezeigt werden. Sein Auftritt als positive Figur setzt damit die etablierten Machtverhältnisse nicht außer Kraft“ (ebd. S. 151).

Durchweg stereotype Rollen in Erwachsenen-Spielfilmen des „Dritten Reichs“ spielt James Bachert als Leibmohr Bombolo in „Das Bad auf der Tenne“ (D, 1943, R: Volker von Collande), als Jumbo in „Männer müssen so sein“ (D, 1939, R: Arthur Maria Rabenalt) und als Beppo in „Brand im Ozean“ (D, 1939, R: Günther Rittau).

„Blackfacing“ keine Erfindung der Nazis

Im NS-Märchenfilm, der sich vornehmlich an Vier- bis Achtjährige wendet, sind dennoch schwarz-geschminkte Kinderkomparsen als Pagen an Königshöfen in der Überzahl, beispielsweise in „Der gestiefelte Kater“ (D, 1935, R: Alf Zengerling), „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ (D, 1939, R: Carl Heinz Wolff) oder „Der kleine Muck – Ein Märchen für große und kleine Leute“ (D, 1944, R: Franz Fiedler).

Das sogenannte „Blackfacing“, wenn weiße Menschen ihr Gesicht schwarz anmalen, um Schwarze darzustellen, ist aber keine Erfindung der Nationalsozialisten. In der Mitte des 19. Jahrhunderts traten in US-amerikanischen „Minstrel Shows“ (engl. minstrel, dt. Spielmann) weiße Künstlerinnen und Künstler auf, die Tanz und Sprache, aber auch das Aussehen von Schwarzen karikierten. Dafür schminkten sie sich ihre Gesichter (engl. faces) schwarz (engl. black).

Der Jazzsänger (1927): Jakie Rabinowitz (Al Jolson) wird zum gefeierten Broadway-Star / Quelle: Warner Bros.

Der Jazzsänger (1927): Jakie Rabinowitz (Al Jolson) wird zum gefeierten Broadway-Star / Quelle: Warner Bros.


Am Anfang des 20. Jahrhunderts gehört diese Praxis zu den selbstverständlichen Bestandteilen des Entertainments – vor allem im Film. Der erste singende Kinoheld in einem Tonfilm ist ein Weißer mit schwarz geschminktem Gesicht: Al Jolson (1886–1950) in „Der Jazzsänger“ (USA, 1927, R: Alan Crosland).

Die Geschichte erzählt von einem armen, weißen, jüdischen Sänger, der nach dem Wunsch seines Vaters kein Kirchenmusiker in der Synagoge, sondern Jazzsänger auf der Bühne werden möchte – eine Musik der Schwarzen Kultur, Emanzipation und Modernität. Deshalb ‚verkleidet’ er sich, färbt sein Gesicht schwarz und lebt seine Individualität aus.

Obwohl diese kulturelle „Aneignung als Akt der Befreiung gezeigt“ (Balzer 2023, S. 24) wird, geschieht das auf Kosten einer Schwarzen Kultur, die gleichzeitig unfrei und versklavt auf Baumwollplantagen schuften muss.

„Donnerwetter, die sind ja echt!“

Der NS-Märchenfilm, wie auch der Stummfilm der Weimarer Republik, greifen dagegen auf Traditionen der europäischen Adelskultur des 16. bis 18. Jahrhunderts zurück, zu denen auch exotische „Hofmohren“ gehören. Jene werden nicht selten als „Willkommensgeschenke“ herumgereicht und gelten als „lebende[r] Zierrat“ (Pleschinski 2007) an den Fürstenhöfen Europas.

Im Märchenfilm des „Dritten Reichs“ sind sie ebenso Dekoration oder führen Befehle aus. Gehorchen sie nicht, werden sie (neben weißen Hofleuten) ins Gefängnis gesteckt und nach einer königlichen Amnestie durch den Stadtpolizisten mit „Raus, ihr Lausemohren!“ wieder entlassen („Der kleine Muck“, 1944).

Der kleine Muck (1944): Die Titelfigur (Willi Puhlmann) mit den „Hofmohren“ / Quelle: Stiftung Deutsche Kinemathek

Der kleine Muck (1944): Die Titelfigur (Willi Puhlmann) mit den „Hofmohren“ / Quelle: Stiftung Deutsche Kinemathek


Dabei dient sprachlich die (neue) Wortkonstruktion „Lausemohr“ wiederum der Komik, weil die Konstituente Lause- nur aus der Bezeichnung Lausebub (ein ungezogener, kecker Junge; Anfang 19. Jh., vgl. DWDS 2024) bekannt ist. Das Wort „Lausemohr“ ist dagegen historisch nicht belegt, wohl aber die zweite Konstituente „Mohr“ (Afrikaner, Mensch mit sehr dunkler Hautfarbe, vgl. DWDS 20241). Sie gilt zwar schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als veraltet, taucht aber in historischen Kontexten (z. B. Film) noch auf.

Zuletzt wird das ‚Exotische’ im Aussehen der „Hofmohren“ betont, wenn sie sich in Geisha-ähnlichen Trippelschritten mit vor der Brust gekreuzten Armen fortbewegen. Und die aus ärmlichen Verhältnissen stammende und mit dem Hofpersonal nicht vertraute, aber weiße Titelfigur Muck (Willi Puhlmann, 1934–1996) stellt erstaunt fest: „Donnerwetter, die sind ja echt!“.

Schwarz-geschminkt in Westdeutschland

Eher Kontinuität als Brüche in der bisherigen Darstellungspraxis von Schwarzen Figuren prägen den deutschen Märchenfilm in der Nachkriegszeit. Verfahrensweisen der Weimarer Republik und des „Dritten Reichs“ finden sich auch in westdeutschen Produktionen wieder.

Das heißt schwarz-geschminkte in „Die Prinzessin auf der Erbe“ (BRD, 1953, R: Alf Zengerling) und „Der vertauschte Prinz“ (BRD, 1963, R: Fritz Genschow) oder Schwarze Kinderdarsteller in „Die goldene Gans“ (BRD, 1953, R: Walter Oehmichen, Hubert Schonger), „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ (BRD, 1955, R: Erich Kobler) und „König Drosselbart“ (BRD, 1962, R: Fritz Genschow).

Die goldene Gans (1953): Der Kinderschauspieler William Schwar[t]z als „schwarzer kleiner Diener“ / Quelle: Icestorm

Die goldene Gans (1953): Der Kinderschauspieler William Schwar[t]z als „schwarzer kleiner Diener“ / Quelle: Icestorm


Die Prinzessin auf der Erbse (1953): Page Pfiffikus (Irene Thiel) staunt nicht schlecht / Quelle: VZ-Medien

Die Prinzessin auf der Erbse (1953): Page Pfiffikus (Irene Thiel) staunt nicht schlecht / Quelle: VZ-Medien


Zudem werden die neu aufgenommenen Schwarzen Figuren, wie schon in „Die verzauberte Prinzessin“ (1939), ausfabuliert, das heißt: ihnen kommt im Ensemble der Nebenrollen eine etwas größere Bedeutung zu – wobei sich die Figuren trotzdem nur in eng gesteckten stereotypen Grenzen entfalten können.

In „Die goldene Gans“ (1953) frei nach den Brüdern Grimm ist es ein „kleiner Mohr“ (Jugendfilm-Verleih 1953) namens Hassan (William Schwar[t]z), der als „schwarzer kleiner Diener“ einen Hofstaat mit akrobatischen Kunststücken zum Lachen bringt („Er ist sehr lustig, am liebsten schlägt er Purzelbäume“, O-Ton: Erzähler).

Tradierte Bilderwelten: Mätresse Louise de Kérouaille (1682, Pierre Mignard) mit Schwarzem Sklavenkind (l.) / Filmprinzessin (Ina Peters) mit Diener Hassan (William Schwar[t]z, 1953, „Die goldene Gans“) / © Gemeinfrei, Icestorm

Tradierte Bilderwelten: Mätresse Louise de Kérouaille (1682, Pierre Mignard) mit Schwarzem Sklavenkind (l.) / Filmprinzessin (Ina Peters) mit Diener Hassan (William Schwar[t]z, 1953, „Die goldene Gans“) / © Gemeinfrei, Icestorm


Zugleich steht er aber in enger, positiv gezeichneter Beziehung zu einer Prinzessin (Ina Peters, 1928–2004), der ihr am Ende hilft, dass sie einen einfachen Bräutigam heiraten darf. Hier fällt auf, dass sich der deutsche Nachkriegsmärchenfilm nicht nur erzählerisch, sondern auch ästhetisch auf tradierte Bilderwelten vergangener Jahrhunderte stützt, wenn die Bildkomposition „Prinzessin und Hassan“ (1953) dem Gemälde „Louise de Kérouaille“ (1682) von Pierre Mignard ähnelt: Es zeigt die königliche Mätresse mit einem schwarzen Sklavenkind.

Nicht Dummheit, sondern Klugheit zeichnet daneben ebenso den schwarz-geschminkten Pagen Pfiffikus (Irene Thiel) in „Die Prinzessin auf der Erbse“ (1953) aus.

Integration oder Verdrängung?

Diese differenzierteren Figurenzeichnungen mögen ihren Nährboden im Bemühen um Integration und den Abbau von (NS-)Vorurteilen gegenüber Schwarzen finden, das in der BRD der 1950er-Jahre durchaus filmisch umgesetzt wird, beispielsweise in „Toxi“ (1952, R: Robert A. Stemmle). Der Erwachsenen-Spielfilm erzählt über ein fünfjähriges afrodeutsches Kind, das bei seinen weißen Großeltern aufwächst.

Sogar der „Film-Dienst“ lobt den damals prämierten („wertvoll“) Film als „verdienstliche[n] Versuch, in einer Unterhaltungsgeschichte um ein schwarzes Besatzungskind lieblose Vorurteile auszuräumen“ (vgl. Katholische Filmkommission für Deutschland 1959, S. 435).

Toxi (1952): Elfie Fiegert (M.) spielt die Titelrolle in dem prämierten Kinofilm / Quelle: Fono-Film GmbH

Toxi (1952): Elfie Fiegert (M.) spielt die Titelrolle in dem prämierten Kinofilm / Quelle: Fono-Film GmbH


Für den Filmhistoriker Tobias Nagl werbe „Toxi“ aber nur vordergründig um Verständnis: „Indem er [der Film] aber die Existenz Schwarzer Deutscher ausschließlich als sozialpädagogisches ‚Problem’ begriff, die NS-Vergangenheit verdrängte und die Mütter pathologisierte, reproduzierte er homogenierende Vorstellungen des ‚Weiß-Seins’“ (Nagl 2004).

Auch für die Kultur- und Medienwissenschaftlerin Maja Figge gehe es in „Toxi“ weniger um eine (vorübergehende) Integration eines afrodeutschen Kindes als vielmehr um „filmisch[e] (Wieder-)Herstellungsprozesse von Deutsch-Sein“ (Figge 2015, S. 13), indem der „deutsche Patient“ mit der Präsenz Schwarzer Figuren von seiner NS-Schuld freigesprochen werde.

„Na, Bimbo“

Im Grimm’schen „König Drosselbart“ (1962) ist der kleine Page Bimbo eher auf das Stereotyp Dummheit reduziert, was sich in einem kurzen, wieder der Komik dienenden Dialog zwischen einer Königstochter (Henriette Gonnermann, *1942) und dem Diener zeigt:

Prinzessin: „Na, Bimbo, was sagst du zu meiner neuen Frisur?“
Bimbo [mit Akzent]: „Oh wunderbares Fell!“
Prinzessin [lacht]: „Das heißt nicht Fell, das heißt Locken! Wie musst du also sagen?“
Bimbo [mit Akzent]: „Wunderbares Locken!“

König Drosselbart (1962): Page Bimbo darf sich freuen / © Medienproduktion und Vertrieb Genschow

König Drosselbart (1962): Page Bimbo darf sich freuen / © Medienproduktion und Vertrieb Genschow


Zwar verzichtet die BRD-Produktion auf „exotisch stammelnd[e] Alliterationssprache“ (Geider 1999, Sp. 1311) – damit ist beispielsweise im Swahili (Suaheli) die Übereinstimmung (Konkordanz) eines Attributs mit dem eines Substantivs gemeint, wie wa-tu wa-kubwa (dt. große Leute), was mitunter bei Nicht-Swahili-Sprechenden vermeintlich ‚primitiv’ klingt.

Doch Bimbos falsche Zuweisung von Fell (Tier) und Haare/Frisur (Mensch), die fehlende grammatikalische Übereinstimmung von Attribut und Substantiv („wunderbares Locken“) sowie das Zurechtweisen der weißen Prinzessin bedienen trotzdem tradierte Klischees.

Tradierte Sprachklischees

Wie auch sein Name: Dieser taucht in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Kinderbüchern auf, wie in „Lullu’s Fahrt nach Kamerun. Verse von Leo Herbst. Bilder von Kurt Wiese“ (1922, Berlin: Safari-Verlag) oder „Bimbo, die Geschichte vom unfolgsamen Negerkind“ (Ruth Endler, 1948, Karlsruhe: Volk und Zeit).

Noch 1982 führt das „Illustrierte Lexikon der deutschen Umgangssprache“ Bimbo als „[s]eit eh und je ein volkstümlicher Name für den Farbigen“, seit 1941 „soldatensprachlich“ und seit 1945 „zivilsprachlich“ für den farbigen alliierten Soldaten (Küpper 1982, S. 386f.).

Der vertauschte Prinz (1963): Bim[m], Bam[m], Bum[m] in Aktion / © Medienproduktion und Vertrieb Genschow

Der vertauschte Prinz (1963): Bim[m], Bam[m], Bum[m] in Aktion / © Medienproduktion und Vertrieb Genschow


Ähnliche Strategien, die Schwarzsein auf bestimmte Vornamen, fehlerhafte Sprechdialoge, nicht-deutschem Akzent, banaler Komik sowie niedlichem ‚Kindchen-Schema’ reduzieren, finden sich in den drei Pagen „Bim[m], Bam[m], Bum[m], die kleinen Mohren“ (O-Ton: Erzähler, „Der vertauschte Prinz“, 1963) oder in „Zehn kleine N***lein“ (BRD, 1954, R: Rolf von Sydow).

Der Kinderfilm, der das – ob einer besseren Kinovermarktung – einst populäre Lied im Titel trägt, erzählt von zehn Schwarzen Kindern, die von einem ebenso Schwarzen Häuptling drangsaliert werden, sich aber am Ende von ihm befreien können (vgl. Schäfer 2009, S. 77; über die Produktionsgeschichte vgl. von Sydow 2011, S. 58–61).

Proletarischer Internationalismus in der DDR

Ein Jahr zuvor kommt der von der Deutsche Film-AG, kurz: DEFA, produzierte Märchenfilm „Die Geschichte vom kleinen Muck“ (DDR, 1953, R: Wolfgang Staudte) in die ostdeutschen Kinos – später auch in die westdeutschen (Start: 26.12.1955). Bei der Ostberliner Premiere am 23. Dezember 1953 soll das Babylon-Kino zum Palast aus Tausendundeiner Nacht umgestaltet worden sein, Mitarbeiter trugen Turban und orientalische Tracht (vgl. Goebel 2013).

Im Unterschied zur BRD ist der junge Arbeiter-und-Bauern-Staat vom „proletarischen Internationalismus“ geprägt, jenes Prinzip, das auf Gleichberechtigung und Achtung aller Völker (auch: unterdrückte afrikanische) fußt, wenngleich damit zuvorderst die Arbeiterklasse gemeint ist (vgl. Kleines Politisches Wörterbuch 1985, S. 774–777).

Die Geschichte vom kleinen Muck (1953): Er gilt als der erfolgreichste DEFA-Film / © DEFA-Stiftung/Eduard Neufeld

Die Geschichte vom kleinen Muck (1953): Er gilt als der erfolgreichste DEFA-Film / © DEFA-Stiftung/Eduard Neufeld


Dabei werden die sozialen Wurzeln des Rassismus u. a. „in der gesellschaftlichen Wirklichkeit der Klassengesellschaft“ (ebd. S. 784), demnach ideologisch im Kapitalismus, verortet. Da die DDR aber ein sozialistischer Staat ist, empfindet sie sich selbst als antirassistisch und antikolonialistisch.

Gleichzeitig wird dieser Teil Deutschlands aber ebenso von seiner (kulturellen) Vergangenheit eingeholt – was sich in „Der Geschichte vom kleinen Muck“ im Umgang mit Schwarzen beziehungsweise dunkel-geschminkten Figuren zeigt. Denn wie im Ufa-Film „Münchhausen“ (1943) fächeln auch im DDR-Märchenfilm zwei Schwarze einem Sultan frische Luft zu; dabei werden die Kinder „geschickt abwechselnd mit […] dressierten Äffchen in Szene gesetzt“ (Piesche 2004).

Wer ist Schwarz oder dunkel-geschminkt?

Doch anders als die Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Peggy Piesche in einer Analyse des DEFA-Films weiter ausführt, ist die Verwendung von „Blackfacing“- und Schwarzen Darstellerinnen und Darstellern nicht ganz eindeutig mit ihrem sozialen Status im Märchenfilm verbunden.

Zwar werden neben den zwei Leibwedlern ebenso Elefantentreiber, Wasserträger, Küchendiener (Basar), Dienerinnen (Palast) und Krankenpfleger von Schwarzen gespielt, doch ebenso sind diese als in weißes Tuch gewandeter Kamelreiter (dessen Tier von einer „Blackfacing“-Figur geführt wird) und als mehrere (männliche), höher gestellte Angehörige des Hofstaats erkennbar – die sogar über den Sultan lachen.

Die Geschichte vom kleinen Muck (1953): Die Titelfigur mit Bajazid (Heinz Kammer) / © DEFA-Stiftung/Eduard Neufeld

Die Geschichte vom kleinen Muck (1953): Die Titelfigur mit Bajazid (Heinz Kammer) / © DEFA-Stiftung/Eduard Neufeld


Gleichwohl werden die wichtigen, tragenden (Sprech-)Rollen von unterschiedlich dunkel-geschminkten und nicht von Schwarzen Schauspielerinnen und Schauspielern übernommen, allen voran die junge Titelfigur – dargestellt vom elfjährigen Thomas Schmidt (1942–2008).

Aus heutiger Sicht diskriminierend

Kritik an „Blackfacing“ und Rollenbildern, die damit verbunden sind, gibt es 1953 noch nicht, siebzig Jahre später schon. Deshalb entscheidet sich z. B. der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) bestimmte Filme mit einordnenden Hinweisen zu versehen (vgl. Deutschlandfunk Kultur 2022). Das betreffe Werke, die rassistische Stereotype und Diskriminierungen beinhalten, so der Sender. Seit 2023 heißt es deshalb vor diesem Märchen- aber auch vor Indianerfilmen:

„Das folgende fiktionale Programm wird in seiner ursprünglichen Form gezeigt. Es enthält gestalterische Elemente, die aus heutiger Sicht diskriminierend wirken können.“

Zudem gibt die DEFA-Stiftung, Rechteinhaberin von Filmen wie „Der kleine Muck“, im Jahr 2023 ein wissenschaftliches Gutachten in Auftrag. Es soll klären, ob und, wenn ja, inwieweit der Märchenfilm Rassismus enthält. Im Januar 2024 veröffentlicht die Gutachterin Aida Ben Achour ihre Ergebnisse.

Die Managerin am Deutschen Filminstitut (DFF) in Frankfurt am Main sieht keine groben Diskriminierungspraktiken, weist aber auf einige bedenkenswerte Punkte hin, die Piesche ähnlich 2004 formulierte (vgl. Wehrstedt 2024).

Antirassistisch und antikolonialistisch

Trotzdem drängt sich der Eindruck auf, dass sich die DDR seit ihrer Gründung zwar als antirassistisch und antikolonialistisch definiert, aber gleichzeitig in einer Doppelstruktur bestimmte Stereotype bedient, die (heute) als rassistisch und kolonialistisch gelten können.

Und das, obwohl „Die Geschichte vom kleinen Muck“ doch die Sicht einer sozial benachteiligten Titelfigur erzählt, Partei für Verfolgte und Ausgestoßene (Muck) ergreift oder obrigkeitsstaatlichem Denken eine Absage erteilt (Dorfbevölkerung zerreißt eigenhändig die Kriegserklärung ihres Sultans an das Nachbarreich).

Hatifa (1960): Die Titelfigur (Gisela Büttner) mit Freund Hodja (Axel Kausmann) / © DEFA-Stiftung/Max Teschner

Hatifa (1960): Die Titelfigur (Gisela Büttner) mit Freund Hodja (Axel Kausmann) / © DEFA-Stiftung/Max Teschner


Nach dem DEFA-Kinderfilm „Hatifa“ (DDR, 1960, R: Siegfried Hartmann), der Geschichte eines entführten Sklavenmädchens in der Antike, oder dem Erwachsenen-Gegenwartsfilm „Verwirrung der Liebe“ (DDR, 1959, R: Slatan Dudow), die beide „Blackfacing“ verwenden, verschwindet diese Theatermaskerade nahezu aus dem DDR-Film.

Ende der 1980er-Jahre überrascht die DDR in einem ihrer letzten DEFA-Märchenfilme mit einem Schwarzen Prinzen im sonst weißen Figurenensemble: Der damals 27-jährige Pierre Bliß (später: Sanoussi-Bliss, *1962), Sohn eines Diplomaten aus Guinea und einer ostdeutschen Lehrerin, übernimmt die Rolle in „Verflixtes Mißgeschick!“ (DDR, 1989, R: Hannelore Unterberg).

DDR passiert ein „Verflixtes Mißgeschick!“

In der Geschichte frei nach Samuil Marschak („Wer das Unglück meistert, findet das Glück“) spielt er allerdings einen exaltierten, überzeichneten Königssohn, der als Prinz von Bouillon schon im Namen der Lächerlichkeit preisgegeben wird. Zudem erinnert sein Kostüm an einen orientalischen Königssohn, obgleich er hörbar mit französischem Akzent (inklusive falscher Grammatik) spricht – demnach wieder einer stereotypen Darstellung des ‚Fremden’ und Komischen entspricht.

Verflixtes Mißgeschick! (1989): Prinz (Pierre Bliß) und Prinzessin (Silvia Mißbach) / © DEFA-Stiftung/Dieter Jaeger

Verflixtes Mißgeschick! (1989): Prinz (Pierre Bliß) und Prinzessin (Silvia Mißbach) / © DEFA-Stiftung/Dieter Jaeger


Im gesamtdeutschen Märchenfilm ab 1990 spielen Schwarze praktisch keine Rolle(n) mehr. Deshalb verwundert es kaum, wenn Tobias Nagl Deutschland im Jahr 2004 noch immer als ein Entwicklungsland bezeichnet, „was die Auseinandersetzung mit rassistischen Strukturen in den Medien angeht“ (Nagl 2004).

Im Gegensatz zu anderen Filmgenres, in denen Schwarze punktuell tragende Rollen übernehmen (ZDF-Krimiserie „Der Alte“; Charles M. Huber, 1986–1997; Pierre Sanoussi-Bliss, 1997–2015; ARD-Krimiserie „Tatort“, Florence Kasumba seit 2019 etc.), bleibt der deutsche Märchenfilm lange Jahre traditionell weiß. Bis 2015, als in „Die Salzprinzessin“ (BRD, R: Zoltan Spiradelli) plötzlich ein Schwarzer Prinz um die Hand einer weißen Königstochter freit.

Weiße Salzprinzessin, Schwarzer Prinz

Im ARD-Märchen, in dem die Prinzessin Amélie (Leonie Brill, *1997) von ihrem Vater verstoßen wird, weil sie ihn wie das Salz liebt, trifft die Hobby-Mineralogin auf Prinz Thabo – gespielt vom Afrodeutschen Elvis Clausen (*1987): Er sei in Europa auf Studienreise und suche nach Fossilien und seltenen Mineralien.

So finden beide über dieselben Interessen zueinander und heiraten am Ende. Kritisch anzumerken ist, dass „der Auftritt des Schwarzen Prinzen erzählerisch begründet [wird], um offenbar Missverständnisse beim an weiße Darstellerinnen und Darsteller gewöhnten Publikum auszuräumen“ (Schlesinger 20232, S. 74).

Die Salzprinzessin (2015): Thabo (Elvis Clausen), König (Leonard Lansink), Amélie (Leonie Brill) / © WDR/Kai Schulz

Die Salzprinzessin (2015): Thabo (Elvis Clausen), König (Leonard Lansink), Amélie (Leonie Brill) / © WDR/Kai Schulz


Das Wasser des Lebens (2017): Salwa (Denise M’Baye) freut sich, dass das Böse besiegt ist / © WDR/Kai Schulz

Das Wasser des Lebens (2017): Salwa (Denise M’Baye) freut sich, dass das Böse besiegt ist / © WDR/Kai Schulz


Trotz dieses Einwands scheint sich im deutschen Märchenfilm endlich eine zaghafte Veränderung abzuzeichnen. Dass diese Einschätzung allerdings verfrüht ist, machen die zwei Jahre später entstandenen öffentlich-rechtlichen Verfilmungen „Das Wasser des Lebens“ (BRD, 2017, R: Alexander Wiedl) und „Der Zauberlehrling“ (BRD, 2017, R: Frank Stoye) deutlich.

Sowohl der ARD- als auch der ZDF-Märchenfilm castet für die Rolle einer mystischen, geheimnisvollen Zauberin zwei populäre Schwarze Schauspielerinnen: Denise M’Baye (u. a. „Um Himmels Willen“, ARD, 2010–2021) und Dennenesch Zoudé (u. a. „Das Traumschiff“, ZDF, 2023). M’Baye (*1976) hilft in einem schaurigen Düsterwald zwei Prinzenbrüdern, das Leben spendende Wasser zu finden. Zoudé (*1966) bewacht in einer jenseitigen Welt eine Blume, mit der ein böser Fluch aufgehoben werden kann.

Weiße und Schwarze Besetzung sauber getrennt

Zwar bedienen M’Baye und Zoudé mit ihren Rollen als sogenannte Schwellenhüterinnen (nach Christopher Vogeler) ein positives Image, weil sie den weißen Heldinnen und Helden zur Seite stehen, doch die Darstellung der beiden Zauberinnen gibt auch Anlass zur Kritik.

Weiße und Schwarze Besetzung sind in den Märchenfilmen sauber getrennt inszeniert, hier die diesseitige, dort die jenseitige Welt mit ihren Figuren. Damit wird das Schwarzsein der beiden Schauspielerinnen letztlich instrumentalisiert: „ein bisschen exotisch, ein bisschen Voodoo-Zauber, ein bisschen rassistisch“ (Schlesinger 2019, vgl. auch 2023).

Die Hexenprinzessin (2020): Zottelhaube (C. Krause), Prinz Tanka (J. Hoffmann), Bero (J. Vogel) / © ZDFneo/Conny Klein

Die Hexenprinzessin (2020): Zottelhaube (C. Krause), Prinz Tanka (J. Hoffmann), Bero (J. Vogel) / © ZDFneo/Conny Klein


Die verkaufte Prinzessin (2023): Prinz Berthold (L. Uibel), Prinzessin Sophia (K. A. Hunold) / © BR/TV60Filmproduktion GmbH/Martin Rattini

Die verkaufte Prinzessin (2023): Prinz Berthold (L. Uibel), Prinzessin Sophia (K. A. Hunold) / © BR/TV60Filmproduktion GmbH/Martin Rattini


Diesen Fehler begehen ARD- und ZDF-Märchenverfilmungen seit 2020 nicht mehr. So spielt Zoudé in „Das Märchen vom goldenen Taler“ (BRD, 2020, R: Cüneyt Kaya) die Schwarze Ehefrau eines weißen Bürgermeisters (Stephan Grossmann) – ohne dass ihre Herkunft, wie noch 2015 bei Prinz Thabo in „Die Salzprinzessin“, in irgendeiner Form thematisiert oder begründet wird.

Weiße und Schwarze Besetzung agiert hier, wie auch in „Die Hexenprinzessin“ (BRD/CZ, 2020, R: Ngo The Chau), „Der Geist im Glas“ (BRD, 2021, R: Markus Dietrich), „Die verkaufte Prinzessin“ (BRD, 2023, R: Matthias Steurer) oder „Das Märchen von der Zauberflöte“ (BRD, 2023, R: Marvin Litwak), gleichberechtigt im diversen Figurenensemble.

Komplett neu gedacht

Dass der Auftritt von Schwarzen nichtsdestotrotz mit Komik verbunden sein kann, machte gerade letztgenannte Verfilmung deutlich, die frei nach der Mozart-Oper „Die Zauberflöte“ entsteht und im Hinblick auf das Figurenensemble komplett neu gedacht wird (vgl. Schlesinger 20231).

Das Märchen von der Zauberflöte (2023): Papageno (Dimitri Abold, 2. v. r.) inmitten weißer Figuren / © WDR/N. Briese

Das Märchen von der Zauberflöte (2023): Papageno (Dimitri Abold, 2. v. r.) inmitten weißer Figuren / © WDR/N. Briese


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MEHR ZUM THEMA
Die „zweite Verfolgung“: Sinti und Roma im BRD-Märchenfilm (1949–1990)
Zwischen Kunstanspruch und Erziehung: Der Märchenfilm in der DDR
Zurück in die Zukunft: Der Märchenfilm in der BRD (1949–1990)

Gleichwohl bleibt damit die Forderung erhalten, dass Märchen in Zukunft anders, eben auch aus Schwarzer Perspektive erzählt werden sollten. Flankiert wird diese im 21. Jahrhundert freilich mit der Erwartung nach einer generellen Diversität in diesem Filmgenre.

Filme: (in chronologischer Nennung)

  • „Das kalte Herz“ (D, 1923, R: Fred Sauer)
  • „Der kleine Muck – Ein Märchen aus dem Morgenlande“ (D, 1921, R: Wilhelm Prager)
  • „Münchhausen“ (D, 1943, R: Josef von Báky)
  • „Die verzauberte Prinzessin“ (D, 1939, R: Alf Zengerling)
  • „Der Dieb von Bagdad“ (GB, 1940, R: Ludwig Berger u. a.)
  • „Das Bad auf der Tenne“ (D, 1943, R: Volker von Collande)
  • „Männer müssen so sein“ (D, 1939, R: Arthur Maria Rabenalt)
  • „Brand im Ozean“ (D, 1939, R: Günther Rittau)
  • „Der gestiefelte Kater“ (D, 1935, R: Alf Zengerling)
  • „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ (D, 1939, R: Carl Heinz Wolff)
  • „Der kleine Muck – Ein Märchen für große und kleine Leute“ (D, 1944, R: Franz Fiedler)
  • „Der Jazzsänger“ (USA, 1927, R: Alan Crosland)
  • „Die Prinzessin auf der Erbe“ (BRD, 1953, R: Alf Zengerling)
  • „Der vertauschte Prinz“ (BRD, 1963, R: Fritz Genschow)
  • „Die goldene Gans“ (BRD, 1953, R: Walter Oehmichen, Hubert Schonger)
  • „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ (BRD, 1955, R: Erich Kobler)
  • „König Drosselbart“ (BRD, 1962, R: Fritz Genschow)
  • „Toxi“ (BRD, 1952, R: Robert A. Stemmle)
  • „Die Geschichte vom kleinen Muck“ (DDR, 1953, R: Wolfgang Staudte)
  • „Hatifa“ (DDR, 1960, R: Siegfried Hartmann)
  • „Verwirrung der Liebe“ (DDR, 1959, R: Slatan Dudow)
  • „Verflixtes Mißgeschick!“ (DDR, 1989, R: Hannelore Unterberg)
  • „Die Salzprinzessin“ (BRD, R: Zoltan Spiradelli)
  • „Das Wasser des Lebens“ (BRD, 2017, R: Alexander Wiedl)
  • „Der Zauberlehrling“ (BRD, 2017, R: Frank Stoye)
  • „Die Hexenprinzessin“ (BRD/CZ, 2020, R: Ngo The Chau)
  • „Der Geist im Glas“ (BRD, 2021, R: Markus Dietrich)
  • „Die verkaufte Prinzessin“ (BRD, 2023, R: Matthias Steurer)
  • „Das Märchen von der Zauberflöte“ (BRD, 2023, R: Marvin Litwak)

Verwendete Quellen:

  • Authaler, Theresa (2013): Afrodeutsche in NS-Filmen: „Besondere Kennzeichen: N***“. In: Spiegel Geschichte (vom: 9.10.2013, abgerufen: 31.1.2024)
  • Balzer, Jens (2023): Ethik der Appropriation. Über kulturelle Aneignung. Sonderausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb). Berlin: Verlagsgesellschaft
  • Deutschlandfunk Kultur (2022): MDR will bestimmte Filme mit Hinweisen versehen (vom: 6.9.2022, abgerufen: 6.2.2024)
  • DWDS (2024): „Lausbub“. In: Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache (DWDS, abgerufen: 2.2.2024)
  • DWDS (20241): „Mohr“. In: Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache (DWDS, abgerufen: 2.2.2024)
  • Figge, Maja (2015): Deutschsein (wieder-)herstellen. Weißsein und Männlichkeit im bundesdeutschen Kino der fünfziger Jahre. Bielefeld: transcript Verlag
  • Geider, Thomas (1999): N***. In: Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung. Begründet von Kurt Ranke. Hrsg. von Rolf Wilhelm Brednich u. a. Bd. 9, Berlin/New York: de Gruyter, Sp. 1307–1321.
  • Goebel, Malte (2013): Zwischen Orient und Mulackstraße. In: taz – die tageszeitung (vom: 19.12.2013, abgerufen: 6.2.2024)
  • Hauff, Wilhelm (2002): Sämtliche Märchen. Mit den Illustrationen der Erstdrucke. Hrsg. von Hans-Heino Ewers. Stuttgart: Reclam Verlag
  • Hermes, Stefan (2017): Kolonialliteratur. In: Göttsche, D./Dunker, A./Dürbeck, G. (Hrsg.): Handbuch Postkolonialismus und Literatur. Stuttgart: J. B. Metzler
  • Jugendfilm-Verleih (1953): Werbemittel „Die goldene Gans“ In: Maerchenfilm.info – Die Welt der Märchenfilme (abgerufen: 2.2.2024)
  • Kabatek, Wolfgang (2003): Imagerie des Anderen im Weimarer Kino. Bielefeld: transcript Verlag
  • Katholische Filmkommission für Deutschland (Hrsg.) (1959): 6000 Filme. Kritische Notizen aus den Kinojahren 1945–58. Düsseldorf: Haus Altenberg
  • Kleiner, Felicitas (2006): Scheherazade im Kino. „1001 Nacht“ aus Hollywood. Marburg: Schüren Verlag (Edition „film-dienst“; Bd. 5)
  • Kleines politisches Wörterbuch (1985). Berlin: Dietz Verlag (Nachdruck der 4., überarbeiteten und ergänzten Auflage von 1983)
  • Küpper, Heinz (1982): Illustriertes Lexikon der deutschen Gegenwartssprache in 8 Bänden. Bd. 1 A–Blatt. Stuttgart: Klett Verlag
  • Lauré al-Samarai, Nicola (2004): Schwarze Menschen im Nationalsozialismus. In: Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) (vom: 30.7.2004, abgerufen: 31.1.2024)
  • Michael, Theodor (2013): Deutsch sein und schwarz dazu: Erinnerungen eines Afro-Deutschen. München: Deutscher Taschenbuch Verlag
  • Nagl, Tobias (2004): Fantasien in Schwarzweiß – Schwarze Deutsche, deutsches Kino. In: Bundeszentrale für politische Bildung (bpb): Dossier. Afrikanische Diaspora in Deutschland (vom: 10.8.2004, abgerufen: 5.2.2024)
  • Nagl, Tobias (2009): Pagen in der Traumfabrik. Louis Brody und die unsichtbaren Männer des Weimarer Kinos. In: Die unheimliche Maschine. Rasse und Repräsentationen im Weimarer Kino. München: edition text+kritik, S. 557–593.
  • Schlesinger, Ron (2014): Rotkäppchen im Dritten Reich. Die deutsche Märchenfilmproduktion zwischen 1933 und 1945. Ein Überblick. Gefördert mit einem Stipendium der DEFA-Stiftung. Berlin: [Selbstverlag]
  • Schlesinger, Ron (2019): Das Wasser des Lebens (D 2017) – oder: Die zwei ungleichen Brüder. In: Märchen im Film (vom: 31.3.2019, abgerufen: 9.2.2024)
  • Schlesinger, Ron (2021): Zwischen Held und Opfer: Der kleine Muck im Märchenfilm. In: Märchen im Film (vom: 30.8.2021, abgerufen: 30.1.2024)
  • Schlesinger, Ron (2023): Keine Revolution: Der Zauberlehrling (D 2017). In: Märchen im Film (vom: 30.4.2023, abgerufen: 9.2.2024)
  • Schlesinger, Ron (20231): Mozart generalüberholt: Das Märchen von der Zauberflöte (D 2023). In: Märchen im Film (vom: 23.11.2023, abgerufen: 9.2.2024)
  • Schlesinger, Ron (20232): Modifikation und Mise-en-scène: Ideologiekritische und ideologiekonforme Tendenzen im deutschen Märchenfilm. In: Europäische Märchengesellschaft/Märchen-Stiftung Walter Kahn (Hrsg.): Märchen und Politik – Märchen und Migration. Forschungsbeiträge aus der Welt der Märchen. Kiel: Königsfurt-Urania Verlag, S. 55–82.
  • Schäfer, Horst (2009): Höhen und Tiefen – Der Kinderfilm in der Bundesrepublik Deutschland in den 1950er-, 1960er- und 1970er-Jahren. In: Schäfer, Horst/Wegener, Claudia (Hrsg.): Kindheit im Film. Geschichte, Themen und Perspektiven des Kinderfilms in Deutschland. Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft, S. 73–109.
  • Sydow, Rolf von (2011): Der Regisseur. Ein autobiografisches Tagebuch. Berlin: rotation, S. 58–61.
  • Piesche, Peggy (2004): Irgendwo ist immer Afrika … „Blackface“ in DEFA-Filmen. In: Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) (vom: 30.7.2004, abgerufen: 29.1.2024)
  • Pleschinski, Hans (2007): Der Mohr von Berlin. Gorch Pieken und Cornelia Kruse erzählen eine erstaunliche afrikanisch-preußische Familiensaga. In: Die Zeit, Nr. 50, 6.12.2007 (abgerufen: 2.2.2024)
  • Tomkowiak, Ingrid (2020): Mutabor! Kunstmärchen von Wilhelm Hauff im medialen Transfer. In: Josting, Petra; Illies, Marlene Antonia; Preis, Matthias; Weber, Annemarie (Hrsg.): Deutschsprachige Kinder- und Jugendliteratur im Medienverbund 1900–1945. Stuttgart: Springer, S. 319–341.
  • Vogler, Christopher (1997): Der Trickster. In: Die Odyssee des Drehbuchschreibers. Über die mythologischen Grundmuster des amerikanischen Erfolgskinos. Frankfurt a. M., S. 151–156.
  • Wehrstedt, Norbert (2024): Rassismus beim „Kleinen Muck“? Defa-Gutachten gibt Entwarnung. In: Leipziger Volkszeitung (vom: 2.1.2024, abgerufen: 9.2.2024, kostenpflichtig)
  • Wehse, Rainer (1996): Komik. In: Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung. Begründet von Kurt Ranke. Hrsg. von Rolf Wilhelm Brednich u. a. Bd. 8, Berlin/New York: de Gruyter, Sp. 90–95.
  • [o. A.]: Willy Allen (1909–1969). In: Verwobene Geschichte*n – Themen. Menschen. Orte. (abgerufen: 30.1.2024)
  • [o. A.]: Der kleine Muck. In: Filmkurier, 12.2.1921

Weitere Literatur:

  • Fischer, Helmut: Der böse Blick auf Andere. Ethnozentrische Wirkungen des Erzählens. In: Wienker-Piepho, Sabine/Roth, Klaus (Hrsg.): Erzählen zwischen den Kulturen. Münster/New York/München/Berlin: Waxmann, 2004, S. 259–273 (Münchener Beiträge zur Interkulturellen Kommunikation, Bd. 17)
  • Hund, Wolf D.: Rassismus. In: Geimer, Alexander/Heinze, Carsten/Winter, Rainer (Hrsg.): Handbuch Filmsoziologie. Bd. 2. Mit 43 Abbildungen und 7 Tabellen. Wiesbaden: Springer VS, 2021, S. 1187–1204.
  • Mergner, Gottfried/Häfner, Ansgar (Hrsg.): Der Afrikaner im deutschen Kinder- und Jugendbuch. Untersuchungen zur rassistischen Stereotypenbildung im deutschen Kinder- und Jugendbuch von der Aufklärung bis zum Nationalsozialismus. Hamburg: Ergebnisse Verlag, 1989 (2. überarbeitete Auflage)


Headerfoto: Tradierte Bilderwelten: Königliche Mätresse „Louise de Kérouaille“ (1682, Pierre Mignard) mit Schwarzem Sklavenkind (l.) / Filmprinzessin (Ina Peters) mit Diener Hassan (William Schwar[t]z) in „Die goldene Gans“ (BRD, 1953) / © Gemeinfrei, Icestorm