Archiv für den Monat: Dezember 2020

Trio mit vier Fäusten: Die Hexenprinzessin (D/CZ 2020)

Trio mit vier Fäusten: Die Hexenprinzessin (D/CZ 2020)

Der ZDF-Märchenfilm hebelt augenzwinkernd Klischees aus: So ist die titelgebende Königstochter eine strubbelige Naturelfe, die jeden Kerl unter den Tisch trinkt. Und der dazugehörige Prinz alles andere als Barbies Ken. Zu sehen am 27. Dezember 2020 um 13.20 Uhr im Zweiten.

Schon die ersten Bilder machen klar, worauf es Regisseur Ngo The Chau im Märchenfilm „Die Hexenprinzessin“ ankommt: Seine Titelfigur, die wilde Königstochter mit dem wenig schmeichelhaften Namen Zottel (Charlotte Krause), ist keine goldblonde Schönheit, die vom Prinzen auf einem weißen Pferd träumt: Die ungekämmte Naturelfe rennt lieber mit Wildschweinen um die Wette, suhlt sich im Matsch und hat als besten Freund – einen Wolf.

Der Film setzt damit auf ein Frauenbild mit sportlichem Körpereinsatz und Unbefangenheit, das mit dem klassischen Prinzessin-Bild wenig zu tun hat. Der vietnamesischstämmige Regisseur, der als Kind nach Ostberlin kam, knüpft damit zugleich an die Titelfigur seines letzten Märchenfilms an: Auch in „Schneewittchen und der Zauber der Zwerge“ (D 2019) fliegt die Prinzessin wie eine Action-Heldin durch die Lüfte und pfeift auf royale Konventionen.

„Zottelhaube“ erscheint mehrfach in Deutschland

In „Die Hexenprinzessin“ werden diese untypischen (Charakter-)Eigenschaften von den Drehbuchschreibern Max Honert („Die weiße Schlange“, D, 2015, R: Stefan Bühling) und Kai Meyer noch einmal spürbar vertieft. Dabei können sich die beiden Autoren auf einen gewissen Bekanntheitsgrad der Geschichte stützen. Zwar fabulieren sie frei nach dem norwegischen Märchen „Zottelhaube“, doch ist dieses schon mehrfach in Deutschland als Buch verlegt.

Bester Freund: Der zutrauliche Wolf lässt sich von der Prinzessin (Charlotte Krause) kraulen / © ZDF/Conny Klein

Bester Freund: Der zutrauliche Wolf lässt sich von der Prinzessin (Charlotte Krause) kraulen / © ZDF/Conny Klein


So erschien die Geschichte bereits 1915 in einem Erzählband („Nordische Volksmärchen“, Eugen Diederichs Verlag, Jena), aber vor allem 1926/27 in der bis heute populären Sammlung „Die schönsten Märchen der Welt für 365 und einen Tag“ (Eugen Diederichs Verlag, Jena): Die Märchenerzählerin und Kinderbuchautorin Lisa Tetzner wählte hierfür die vortrefflichsten europäischen, asiatischen, orientalischen und afrikanischen Märchen aus, darunter „Zottelhaube“ – als Erzählung für den 360. Tag des Jahres.

Ein norwegisches Märchen aus dem 19. Jahrhundert

Später wurde „Zottelhaube. Ein Märchen mit Zeichnungen von Petra Clemen“ (1942) im Berliner Müller-Verlag veröffentlicht. Nach dem Krieg brachte der Ostberliner Kinderbuchverlag die Geschichte erneut heraus: „Zottelhaube. Ein Märchen“ (1959) mit Illustrationen von Rolf Müller. Zuletzt nahm der Mangold-Verlag mit „Zottelhaube. Ein norwegisches Märchen“ (1998) die Geschichte über zwei unterschiedliche Zwillingsschwestern in sein Programm auf. Kiki Ketcham-Neumann illustrierte es.

Diese nacherzählten deutschsprachigen Varianten von „Zottelhaube“ gehen alle ursprünglich auf eine norwegische Erzählung über eine schöne und eine hässliche Zwillingsschwester zurück. Sie erschien unter anderem 1866 in der dritten Auflage von „Norske Folke-Eventyr“ (dt.: Norwegische Volksmärchen) unter dem Titel „Lurvehaette“. Die deutsche Germanistin Klara Stroebe (1887–1932) schrieb einst über das „merkwürdige Märchen“ (Scherf 1995, S. 1450):

Zottelhaube ist eine groteske Trollgeschichte, die wohl als gut norwegisch gelten kann; die abenteuerliche Gestalt der Heldin ist sonst nicht bekannt. (zitiert nach ebd. S. 1450f.)

Damit meinte sie auch, dass die hässliche Zottelhaube in der Vorlage „mit einem Rührlöffel in der Hand und reitend auf einem Bock“ bei der Geburt auf die Welt kommt. Später wird ihrer lieblichen, schönen Schwester von einem Trollweib der Kopf abgerissen „und setzt ihr dafür einen Kalbskopf auf“ (ebd. S. 1451). Zottelhaube raubt den Kopf von den Trollweibern und gibt diesen der Schwester wieder zurück. Am Ende verwandelt sich die hässliche Titelfigur in ein schönes Mädchen und heiratet, wie ihre Schwester, einen Königssohn.

Familiäre Disharmonie im Königreich Eichdal

Auch im Märchenfilm hat Zottel eine Zwillingsschwester, die anmutige Amalindis (Zoë Pastelle Holthuizen). Der Name ist althochdeutschen, gotischen Ursprungs und weist schon auf Unterschiede hin: Denn „lind“ bedeutet auch zart, mild, sanft. Und das ist Amalindis. Zudem ordnet sie sich brav den Eheplänen ihres Macho-Vaters König Goderic (Ken Duken) unter. Der regiert im Königreich Eichdal. Pflichtbewusst stimmt Amalindis der Heirat mit Prinz Tanka (Jerry Hoffmann) zu. Den sie aber weder richtig kennt noch liebt.

Vater-Tochter-Konflikt: König Goderic (Ken Duken) hält nicht viel von Zottel (Charlotte Krause) / © ZDF/Conny Klein

Vater-Tochter-Konflikt: König Goderic (Ken Duken) hält nicht viel von Zottel (Charlotte Krause) / © ZDF/Conny Klein


Trotzdem werden die beiden Mädchentypen nicht gegeneinander ausgespielt. Im Gegenteil: Ihre Ungleichheit ist der Motor für die eigentliche Geschichte. Denn in die familiäre Disharmonie brechen drei Hexen (Désirée Nosbusch, Jana Pallaske, Caro Cult) ein. Sie entführen Amalindis. Der Grund: Vor 18 Jahren verhalfen sie ihrer Mutter, der Königin (Marisa Leonie Bach), zur Schwangerschaft. Jetzt fordern sie einen Teil der Abmachung: die erstgeborene Zwillingstochter.
Jungbrunnen: Die alte Hexe (Désirée Nosbusch) braucht bei Sonnenfinsternis einen neuen Körper / © ZDF/Conny Klein

Jungbrunnen: Die alte Hexe (Désirée Nosbusch) braucht bei Sonnenfinsternis einen neuen Körper / © ZDF/Conny Klein


Zur nächsten Sonnenfinsternis will die älteste Hexe in den Körper von Amalindis schlüpfen, um wieder jung zu werden. Gemeinsam mit Tanka macht sich Zottel auf den gefährlichen Weg zur Rettung der Schwester. Dabei trifft das Duo auf den Hexenjäger Bero (Jürgen Vogel), der allerdings mehr Angst als Verstand hat. So kämpft das Trio anfangs mit vier statt sechs Fäusten gegen die böse Hexenmacht. Am Ende sorgt Bero mit seinen magischen Kräften dann doch noch für ein Happyend.

Wer war der erste schwarze Prinz im Märchenfilm?

Dass der 31-jährige Hoffmann als Prinz Tanka erstmals „mit dem Rollenklischee des Königssohns in deutschen Märchenfilmen bricht“ (Kurtz 2020), stimmt allerdings nicht. Hier waren andere schneller.

"Die Salzprinzessin" (2015): Prinzessin Amélie (Leonie Brill) trifft Prinz Thabo (Elvis Clausen, li.) / © WDR/Kai Schulz

„Die Salzprinzessin“ (2015): Prinzessin Amélie (Leonie Brill) trifft Prinz Thabo (Elvis Clausen, li.) / © WDR/Kai Schulz


Bereits vor fünf Jahren freite ein schwarzer Prinz (Elvis Clausen) um die Hand einer weißen Königstochter (Leonie Brill): In „Die Salzprinzessin“ (D 2015, R: Zoltan Spiradelli) ist Prinz Thabo auf Studienreise in Europa und sucht nach Fossilien sowie seltenen Mineralien. Dabei trifft er im Wald auf die Titelfigur, Prinzessin Amélie, die wie er sich für Naturwissenschaften interessiert. Beide verlieben sich und heiraten am Ende.

"Die Salzprinzessin" (2015): Prinz Thabo (Elvis Clausen) heiratet Prinzessin Amélie (Leonie Brill) / © WDR/Kai Schulz

„Die Salzprinzessin“ (2015): Prinz Thabo (Elvis Clausen) heiratet Prinzessin Amélie (Leonie Brill) / © WDR/Kai Schulz


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Die Salzprinzessin (D 2015) – und der schwarze Prinz

Und auch die DDR überraschte einst in einem ihrer letzten DEFA-Märchenfilme mit einem schwarzen Prinzen: Pierre Bliß (später: Sanoussi-Bliss) in „Verflixtes Mißgeschick!“ (DDR 1989, R: Hannelore Unterberg), der hier ebenso eine weiße Königstochter (Silvia Mißbach) ehelichen soll beziehungsweise möchte.

„Verflixtes Mißgeschick!“ (1989): Prinz (Pierre Bliß) und Prinzessin (Silvia Mißbach) / © DEFA-Stiftung/Dieter Jaeger


In der Geschichte frei nach Samuil Marschak spielt er allerdings einen exaltierten, dümmlichen Königssohn, der als ‚Prinz von Bouillon’ schon im Namen der Lächerlichkeit preisgegeben wird. Zudem erinnert sein Kostüm an einen orientalischen Königssohn, obgleich er hörbar mit französischem Akzent (inklusive falscher Grammatik) spricht – demnach eine stereotype Darstellung des Fremden, Exotischen, heute auch als Rassismus bekannt.

Weiße, deutsche Märchenfilmwelt

Prinz Tanka („Die Hexenprinzessin“) ist demnach der erste oder einer der ersten schwarzen Prinzen im deutschen Märchenfilm, der keine Klischeebilder bedient, als positive Identifikationsfigur aufgebaut ist und dessen Herkunft respektive Nicht-Weißsein – im Unterschied zu Prinz Thabo („Die Salzprinzessin“) – ausdrücklich nicht thematisiert wird, zum Beispiel, dass er sich auf einer Studienreise in Europa befindet.

Dass sowohl „Die Hexenprinzessin“ als auch „Die Salzprinzessin“ und „Verflixtes Mißgeschick!“ auf keine Grimm’schen Märchen zurückgehen – die auch mit (deutscher) Tradition behaftet sind –, mag ein Grund gewesen zu sein, sich hier erstmals vom weißen Märchenprinzen zu verabschieden. Der Bruch scheint weniger drastisch und skeptischen, konventionellen Stimmen besser vermittelbar.

Schwarze Hauptrollen: „Jim Knopf“ und „Berlin Alexanderplatz“

Zudem ist der deutsche Film in den letzten Jahren ohnehin diverser geworden. So wurde zum Beispiel im Kinderfilm-Genre Michael Endes Buch über den schwarzen Jungen Jim Knopf zuletzt zweimal als Schauspielerfilm adaptiert: „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ (D 2018) und „Jim Knopf und die Wilde 13“ (D 2020, beide R: Dennis Gansel). Der Brite Solomon Gordon spielt in beiden Verfilmungen die Titelrolle.

"Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer" (2018): Solomon Gordon und Henning Baum / © Ilze Kitshoff/Warner Bros

„Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ (2018): Solomon Gordon und Henning Baum / © Ilze Kitshoff/Warner Bros

"Berlin Alexanderplatz" (2020): Mieze (Jella Haase) und Francis (Welket Bungué) / © Entertainment One Germany

„Berlin Alexanderplatz“ (2020): Mieze (Jella Haase) und Francis (Welket Bungué) / © Entertainment One Germany


Und im Frühjahr 2020 sorgte die Literaturverfilmung „Berlin Alexanderplatz“ (D/NL 2020, R: Burhan Qurbani) für Aufsehen. Die Hauptrolle des Franz Biberkopf, der hier Francis heißt, übernahm der in Deutschland lebende guinea-bissauisch-portugiesische Schauspieler Welket Bungué. Döblins Klassiker wird hier als Geschichte einer Migration erzählt.

Setting und Bildgestaltung erinnern an „Game of Thrones“

So weit ist der deutsche beziehungsweise öffentlich-rechtliche Märchenfilm noch nicht. Das Fantasy-Genre, dem „Die Hexenprinzessin“ nahe steht, kann aber Brücken für mehr Vielfalt bauen, über die junge Filmemacher wie Ngo The Chau jetzt gehen. Allerdings hinterlässt gerade das Fantasy-Fach, das mit der TV-Serie „Game of Thrones“ (USA 2011–2019) weltweit nochmals einen Popularitätsschub erhielt, auch beim ZDF-Märchenfilm deutliche Spuren. Das gilt besonders für Setting und Bildgestaltung. Eintönigkeit macht sich breit.

Hübsche Opfergabe: Die Hexen halten Prinzessin Amalindis (Zoë Pastelle Holthuizen) gefangen / © ZDF/Conny Klein

Hübsche Opfergabe: Die Hexen halten Prinzessin Amalindis (Zoë Pastelle Holthuizen) gefangen / © ZDF/Conny Klein


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Der süße Brei (D 2018): Quality-TV im Märchenfilmgenre?

In „Der süße Brei“ (2018, R: Frank Stoye), „Schneewittchen und der Zauber der Zwerge“ (2019) und „Die Hexenprinzessin“ (2020) regiert hier wie dort eine austauschbare Mittelalter-Szenerie – mit protzigen Burgen, hier sind es Schloss Bouzov und die Ruine der gotischen Höhenburg Bezděz in Tschechien, und urigen (Märchen-)Wäldern. Die Drehorte sind zwar gekonnt in Szene gesetzt, aber die Vielfalt, die in der Besetzungsliste ihren Widerhall findet, fehlt in den Settings dieser letzten drei Adaptionen.

Hexenprinzessin Charlotte Krause singt Titelsong „Home“

Dafür hat der ZDF-Märchenfilm in technischer Hinsicht (Visuelle Effekte: Tomas Markl) an Boden gut gemacht – und braucht sich hinter ähnliche US-amerikanische Produktionen wie „Maleficent – Die dunkle Fee“ (USA 2014, R: Robert Stromberg) oder das Sequel „Maleficent 2: Mächte der Finsternis“ (USA 2019, R: Joachim Rønning) nicht zu verstecken. Wenn auch die Spezialeffekte hier und da ein wenig dick aufgetragen sind, und die Hexen nur so durch die Lüfte jagen und ihre Zauberkräfte einsetzen.

Die große Liebe: Zottel (Charlotte Krause) und Prinz Tanka (Jerry Hoffmann) verstehen sich gut / © ZDF/Conny Klein

Die große Liebe: Zottel (Charlotte Krause) und Prinz Tanka (Jerry Hoffmann) verstehen sich gut / © ZDF/Conny Klein


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Wie die Filmmusik im ARD-Märchen Geschichten miterzählt

Flankiert werden diese und andere Bilder letzlich von der Musik des Komponisten-Duos Michael Beckmann – bis 1990 Bassist bei „Rainbirds“ („Blueprint“) – und Tom Stöwer. Der Mix aus Heavy Metal und Alternative Rock harmoniert überraschend gut mit der Story. Zudem steuert die Hexenprinzessin selbst den Titelsong „Home“ bei. Klingt verdammt nach Ami Lee von der US-Band „Evanescence“. Pst, muss ja keiner wissen.

Film: „Die Hexenprinzessin“ (D/CZ, 2020, R: Ngo The Chau). Erscheint in der ZDF-Filmreihe „Märchenperlen“.

Drehorte: u. a.

  • Schloss Bouzov, Bouzov 8, 783 25 Bouzov, Tschechien
  • Burg Bezděz, Bezděz 144, 472 01 Doksy, Tschechien

Verwendete Quellen:

  • Kurtz, Andreas: „Ein Prinz der anderen Art“. In: Berliner Zeitung, 11.12.2020, S. 11.
  • Presseportal: Märchenperle „Die Hexenprinzessin“ in ZDFneo (abgerufen: 13.12.20)
  • Scherf, Walter: Zottelhaube. In: Ders.: Das Märchenlexikon. Zweiter Band L – Z. München, 1995. Sonderausgabe 2007. S. 1450–1454.


Headerfoto: Die Hexen sind nicht mehr fern: Zottelhaube (Charlotte Krause), Prinz Tanka (Jerry Hoffmann) und Bero (Jürgen Vogel) / © obs/ZDFneo/Conny Klein