Wer träumt nicht von einem sorgenfreien Leben: Im Märchenfilm vom „Tischlein deck dich, Esel streck dich, Knüppel aus dem Sack“ wird gezeigt, wie das aussehen könnte – und an welchen (Dreh-)Orten die dafür nötigen Wunderdinge zu finden sind.
Ein unscheinbares Tischchen, das sich selbst „mit einem saubern Tüchlein […] und Gesottenem und Gebratenem“ deckt. Ein gewöhnlicher Esel, der pure Goldstücke speit. Und ein Knüppel, welcher „lustig auf dem Rücken“ der Leute herumtanzt, „dass sie sich acht Tage lang nicht regen und bewegen können“. Doch erst beim Aussprechen einer bestimmten festgelegten Formel zeigen diese drei wunderbaren, übernatürlichen Dinge ihre Zauberkraft im Märchen vom „Tischchendeckdich, Goldesel und Knüppel aus dem Sack“.
Die Grimm’sche Geschichte, die bereits 1812 in der Erstauflage der „Kinder- und Hausmärchen“ erscheint, wird 1845 von Ludwig Bechstein bearbeitet und leicht verändert unter dem Titel „Tischlein deck dich, Esel streck dich, Knüppel aus dem Sack“ veröffentlicht.
Der niederländische Folklorist Jurjen van der Kooi sieht die Populärität und Beliebtheit des Märchens vor allem darin, dass hier der Wunsch „armer und machtloser Menschen nach materieller und sozialer Sicherheit“ mit viel Humor und Witz erfüllt wird: Drei einfache, aber fleißige Brüder erlangen Wundergaben. Zwei von ihnen verlieren diese vorübergehend durch einen habgierigen Wirt. Am Ende wird seine Bösartigkeit durch ausgleichende Gerechtigkeit bestraft – und die Brüder triumphieren.
Dass das Märchen schon früh vom Film entdeckt wird, liegt wohl auch an den drei Zaubergaben, die tricktechnisch schon damals umgesetzt werden können. Ulf Diederichs („Die Märchen der Weltliteratur“) hat herausgefunden, dass der Schriftsteller Paul Ernst bereits in den 1910er-Jahren ein Filmszenario verfasste, „indem er Animationseffekte beschrieb, etwa wie auf dem Tischtuch sich die Suppe von selbst auftut“. Als das Märchen Anfang der 1920er-Jahre für das deutsche Stummfilmkino dann wirklich adaptiert wird, sind es solche und andere Wunderszenen, die das Publikum mitreißen.
Schlitz (Vogelsbergkreis): Märchenfilmdreh in romantischer Burgenstadt
1921 wird „Tischlein deck dich“ als Stummfilm von der Kulturabteilung der Universum-Film AG (Ufa) aufwändig produziert. Regisseur Wilhelm Prager dreht dafür Szenen im Schlitzerland – eine Gegend rund um die hessische Kleinstadt Schlitz im heutigen Vogelsbergkreis. Die malerische Landschaft und das historische Stadtbild mit Fachwerkhäusern und Burgen bieten perfekte Märchenfilmkulissen. Drehbuchautor Johannes Meyer zaubert aus der Vorlage Ludwig Bechsteins eine humorvolle Adaption mit herrlich ironischen Seitenhieben.
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Märchenhafte Drehorte: Wo sich Hänsel und Gretel im Wald verirren
Märchenhafte Drehorte: Wo sich die Gänsemagd verliebt
Märchenhafte Drehorte: Wo Zwerg Nase vom bösen Zauber erlöst wird
Ein Schneiderehepaar (Erwin Kopp, Sofie Pagay) schickt seine drei Söhne in die weite Welt hinaus. Nacheinander treffen der Lange (Carl Geppert), der Dicke (Fritz „Krümelchen“ Neumann-Schüler) und der Dumme (Emil Birron) auf ein Waldmännchen (Paul Walker), bei dem sie Arbeit verrichten – und zum Dank ein Wundertischchen, einen Zauberesel und einen Knüppel erhalten. Ein listiger Wirt – den Regisseur Prager selbst spielt – stiehlt jedoch Tisch und Esel. Der (gar nicht) Dumme lässt den Knüppel zur Strafe auf dem Rücken des Wirts tanzen und kehrt mit allen Geschenken nach Hause.
Film: „Tischlein deck dich, Eselein streck dich, Knüppel aus dem Sack“ (D, 1921, R: Wilhelm Prager). Ist noch nicht auf VHS oder DVD erschienen. Hier klicken und den Filmanfang sehen.
Drehort: 36110 Schlitz (Vogelsbergkreis)
Chemnitz: „Tischlein deck dich“ (1925) – ein Kurz-Stummfilm?
In den 1910er- und 1920er-Jahren zählt der Märchenfilm zu den produktivsten Filmgenres. Leider sind aus diesen Jahrzehnten die wenigsten Filme erhalten geblieben. Aber wir kennen einige Titel und Namen von Firmen, die damals Märchen adaptiert haben. Zu ihnen gehört der Chemnitzer Filmproduzent Curt Puhlfürst. Laut der Seite Chemnitzgeschichte.de hat seine Firma auch Märchenfilme (teils in Dia-Streifen-Form) hergestellt beziehungsweise verliehen, darunter „Hans im Glück“ (1925), „Hänsel und Gretel“ (1925), „Frau Holle“ (1925) – und ebenso „Tischlein deck dich“ (1925).
Alle Titel sind laut Filmportal.de sogenannte Einakter, also Kurzfilme, die damals auf eine Filmrolle passen und zwischen 100 und 261 Meter lang sind. Das entspricht einer Filmlänge von ca. vier bis neun Minuten. „Tischlein deck dich“ soll mit 140 Metern ca. fünf Minuten dauern. Ob diese und andere Adaptionen als Schauspieler- oder Animationsfilme hergestellt sind, ist bislang nicht bekannt. Auch nicht, wer bei diesem Märchen auf dem Regiestuhl saß – außer bei „Hänsel und Gretel“: Alfred Zeisler und Victor Abel. Zeisler war zuvor Regieassistent beim Kultfilm „Der müde Tod“ (D, 1921, R: Fritz Lang). Ein vielversprechender Ausgangspunkt für weitere Recherchen rund um „Tischlein deck dich“. The story continues.
Film: „Tischlein deck dich“ (D, 1925, R: [unbekannt]). Ist noch nicht auf VHS oder DVD erschienen.
Drehort: vermutlich Chemnitz (Sachsen)
Lanke (bei Berlin): Bäuerliches Dorfidyll im Märchenfilm der 1930er-Jahre
Als das Märchen 1938 erstmals als Tonfilm für das Kino adaptiert wird, entscheiden sich Regisseur Alfred Stöger und Drehbuchschreiber Guido K. Brand für die Fassung der Brüder Grimm. Darin lebt ein Schneider mit seinen drei Söhnen – und einer sprechenden Ziege, die allerdings lügt und behauptet, von den Söhnen nicht gut versorgt zu werden. Aus Zorn darüber jagt der Vater seine Kinder aus dem Haus. Jeder erlernt in der Fremde ein Handwerk und geht bei einem Schreiner, einem Müller und einem Drechsler in die Lehre.Werden die Handwerksstuben mit viel Liebe zum Detail im Studio nachgebaut, so fährt die Filmcrew für Außenaufnahmen ins kleine Dorf Lanke nordöstlich von Berlin – das versteckt zwischen Kiefern- und Buchenwäldern liegt – und in den Harz. Zudem schafft es Produzent Hubert Schonger, einen der populärsten Schauspieler des „Dritten Reichs“ für den Märchenfilm zu verpflichten: Paul Henckels („Die Feuerzangenbowle“, D, 1944, R: Helmut Weiss) ist in der Rolle des Vaters Schneidermeister Zwirn zu sehen.
Film: „Tischlein deck Dich, Esel streck Dich, Knüppel aus dem Sack!“ (D, 1938, R: Alfred Stöger). Ist noch nicht auf VHS oder DVD erschienen.
Drehort: 16359 Lanke
Wannsee/Zehlendorf (West-Berlin): „Tischlein deck dich“ (1956) ohne Prädikat
Die Vorlage der Brüder Grimm setzt im Juli 1956 auch Märchenfilmregisseur Fritz Genschow um. Da seine Produktionsfirma ohnehin ihren Sitz in Westberlin hat, werden die Innen- und Außenaufnahmen für den 79-minütigen Streifen in Berlin-Wannsee gedreht. Genschow schreibt das Drehbuch – gemeinsam mit seiner Ex-Frau Renée Stobrawa. Beide übernehmen im Film auch eine Rolle. Obwohl das Märchen erstmals in Farbe verfilmt wird, moniert die Kritik die „unendlich vielen Volkslieder“ (Brüne), die in der Adaption zu hören sind.
Gesungen werden diese vom Berliner Mozart-Chor, einem der ältesten Jugendchöre der Hauptstadt. Doch das kann die Filmbewertungsstelle (FBW) auch nicht überzeugen. Die Verfilmung erhält kein Prädikat. Im Hinblick auf die Drehorte verweist das staatliche Gremium zum Beispiel darauf, „daß die meisten Szenen vor Häusern spielen, die in diesem Jahrhundert [dem 20. Jahrhundert] gebaut sind“. Für die FBW „ein Beweis für die mangelnde Sorgfalt“ (Kempe) in der Gestaltung des Märchenfilms.
Film: „Tischlein deck dich“ (BRD, 1956, R: Fritz Genschow). Ist auf VHS und DVD erschienen.
Drehorte: 14109 Berlin-Wannsee, 14163 Berlin-Zehlendorf
Bayern (BRD): „Tischlein deck dich“ (1956) – Prädikat: „wertvoll“
Zeitgleich produziert die westdeutsche Schongerfilm einen „Tischlein-deck-dich“-Märchenfilm. Drehort ist das beschauliche Bayern. Hier hat die Produktionsfirma auch ihren Sitz. Drehbuchautor Konrad Lustig verwendet in seinem Skript sowohl Ideen der Brüder Grimm als auch Ludwig Bechsteins: Das Märchen wird von einem Waldmann (Alfons Teuber) erzählt, bei dem die drei Schneidersöhne ein Handwerk erlernen – Vorbild ist das „kleine Männlein“ aus der Bechsteinvorlage. Zudem hat die Grimm’sche Ziege ihren Auftritt.
Gedreht wird die Adaption im Sommer 1956 mit dem Farbfilmverfahren Agfacolor – wie auch die Genschow-Verfilmung. Doch im Gegensatz zu ihr erhält der Schonger-Märchenfilm das Prädikat „wertvoll“. Ein Grund: Ausgesuchte Drehorte wie malerische Bergwiesen, mythische Wälder und urige Dorfszenerien entführen das Publikum in eine typische Märchenwelt. Die „etwas hausbackene Pädagogik“ (Filmdienst) gerät dadurch ein wenig in den Hintergrund. Und noch eine Randnotiz: Fritz Wepper („Um Himmels Willen“, ARD) spielt als Schneidersohn Michel mit der grünen Kappe hier eine seiner ersten Kinorollen.
Film: „Tischlein deck dich“ (BRD, 1956, R: Jürgen von Alten). Ist auf VHS und DVD erschienen.
Drehort: Bayern
Berlin-Adlershof (DDR): „Tischlein deck dich“ (1966) als Fernsehspiel
Obgleich das DDR-Filmstudio DEFA das Märchen im Jahr 1970 nur als Trick- aber nicht als Schauspieler-Märchenfilm adaptiert, inszeniert Mitte der 1960er-Jahre der Deutsche Fernsehfunk (DFF) die Geschichte als Fernsehspiel. Aber: Kein Geringerer als DEFA-Autor Günter Kaltofen (u. a. „Schneewittchen“, 1961 und „König Drosselbart“, 1965) verfasst das Drehbuch. Er erweitert das Figurenensemble mit einer vierköpfigen Räuberbande, zwei Bäuerinnen und einem Handwerker. Der böse Wirt (Fritz-Ernst Fechner) spielt allerdings auch hier eine Rolle.Selbst wenn die Drehorte im Fernsehstudio nachgebaut sind (Szenen-/Bühnenbild: Reinhard Welz), so sorgt nicht zuletzt ein (dressierter) Esel für echte Märchenatmosphäre. Premiere hat das Märchenfernsehspiel am 25. Dezember 1966. Dabei ist das Datum nicht zufällig gewählt: Seit 1955 zeigt erst das Fernsehzentrum (FZ) in Berlin-Adlershof und ab 1956 der DFF an jedem Weihnachtsfest ein neu inszeniertes Märchen. Ein Jahr zuvor war es „Das Räubermärchen“ (DDR, 1965, R: Ursula Görner) nach einer Geschichte von Karel Čapek. Die sogenannten „Weihnachtsmärchen“ von ARD und ZDF sind demnach keine Erfindung des 21. Jahrhunderts.
Film: „Tischlein deck dich“ (DDR, 1966, R: Gisela Schwarz-Marell). Ist noch nicht auf VHS und DVD erschienen.
Drehort: 12489 Berlin-Adlershof
Freilichtmuseum Detmold: ARD-Filmdreh zwischen historischen Windmühlen
Auch ein ARD-Märchenfilm für die „Auf-einen-Streich“-Reihe verwendet einzelne Motive der Brüder Grimm (die Ziege) sowie Ludwig Bechsteins („der Dumme“) und kombiniert diese mit neuen Ideen: So wird auch hier der dritte und jüngste Sohn Max (Remo Schulze) anfangs als Tolpatsch verkannt, doch ist er es, der mit seinem Lohn (dem Knüppel aus dem Sack) die Geschenke seiner Brüder erfolgreich von einem diebischen Wirtsehepaar (Christine Neubauer, Michael Brandner) zurückfordern kann.
Vorher lässt ihn Drehbuchautor David Ungureit aber noch einige Abenteuer bestehen, in denen er sich erfolgreich gegen Räuber (zum Beispiel Ingo Naujoks) zur Wehr setzt. Gedreht wird der Märchenfilm auf dem Gelände des Freilichtmuseums Detmold. Regisseur Ulrich König nutzt die Hofanlagen aus dem 19. Jahrhundert mit ihren Fachwerkhäusern und die historischen Windmühlen, um das Märchen von den drei Brüdern und ihrer Wanderschaft detailgetreu ins Bild zu setzen – wie zu Lebzeiten der Brüder Grimm und Bechsteins.
Film: „Tischlein deck dich“ (D, 2008, R: Ulrich König). Ist auf DVD erschienen.
Drehort: LWL-Freilichtmuseum Detmold, Westfälisches Landesmuseum für Volkskunde, 32760 Detmold
Verwendete Quellen:
- Bechstein, Ludwig: Tischlein deck dich, Esel streck dich, Knüppel aus dem Sack. In: Sämtliche Märchen. Vollständige Ausgabe der Märchen Bechsteins nach der Ausgabe letzter Hand unter Berücksichtigung der Erstdrucke. Mit 187 Illustrationen von Ludwig Richter. Mannheim, 2011, S. 171–178.
- Brüder Grimm: Tischchendeckdich, Goldesel und Knüppel aus dem Sack. In: Kinder- und Hausmärchen. Ausgabe letzter Hand mit den Originalanmerkungen der Brüder Grimm. Mit einem Anhang sämtlicher, nicht in allen Auflagen veröffentlichter Märchen und Herkunftsnachweisen hrsg. von Heinz Rölleke. Stuttgart, 1980, Bd. 1, S. 195–205.
- Brüne, Klaus: 6000 Filme. Kritische Notizen aus den Kinojahren 1945–58. Düsseldorf, 1959, S. 428.
- Chemnitzgeschichte: Curt Puhlfürst. (abgerufen: 24.6.2020)
- Diederichs, Ulf: Tischchendeckdich. In: Who’s who im Märchen. München, 1995, S. 338–340.
- Fernsehen der DDR: Tischlein deck dich (DDR, 1966, R: Gisela Schwarz-Marell). (abgerufen: 24.6.2020)
- Filmdienst: Tischlein deck dich (BRD, 1956, R: Jürgen von Alten). (abgerufen: 24.6.2020)
- Filmportal: Filmografie Curt Puhlfürst. (abgerufen: 24.6.2020)
- Filmportal: Tischlein deck dich (BRD, 1956, R: Fritz Genschow). (abgerufen: 24.6.2020)
- Filmportal: Tischlein deck dich (BRD, 1956, R: Jürgen von Alten). (abgerufen: 24.6.2020)
- Kempe, Fritz: Brief der Filmbewertungsstelle der Länder der BRD vom 19.9.1956 an die Hamburg-Film GmbH. In: Nachlass Fritz Genschow, 1.2.4 Diverse Unterlagen mit Filmbezug. FBW 1957–1960. Deutsches Filminstitut, Frankfurt/Main.
- Kooi, Jurjen van der: Tischleindeckdich. In: Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung. Begründet von Kurt Ranke. Hrsg. von Rolf Wilhelm Brednich zusammen mit Hermann Bausinger, Wolfgang Brückner, Helge Gerndt, Lutz Röhrich und Klaus Roth. Bd. 13. New York/Berlin, 2010, Sp. 676–682.
Headerfoto: Tischlein deck dich (BRD, 1956, R: Fritz Genschow): Peter (Wolfgang Draeger, 2. v. r.) erhält ein Zaubertischlein zum Lohn von seinem Meister / © Medienproduktion und Vertrieb Genschow
Dieser Beitrag wurde am 24. Juni 2020 aktualisiert.