US-Regisseur Bill Condon, bekennender Musical-Fan, hat das Disney-Zeichentrickmärchen „Die Schöne und das Biest“ von 1991 jetzt mit Schauspielern verfilmt: Das Ergebnis ist ein über zweistündiges Märchen-Musical mit schönen Bildern, bekannten Stars und kleinen schwulen Momenten. Kinostart in Deutschland ist am 16. März 2017.
Das Konzept scheint so einfach wie genial: Man nehme einen Animations-Märchenklassiker. Verfilme das Drehbuch noch einmal mit Schauspielern statt Zeichentrickfiguren. Und starte den Realfilm erneut in den Kinos. Voilà! Nach „Cinderella“ (1950), „Alice im Wunderland“ (1951) und „Dornröschen“ (1959) hat Disney jetzt „Die Schöne und das Biest“ (1991) wiederentdeckt und als Schauspielerfilm auf die Kinoleinwand gebannt. Damals, vor gut 25 Jahren, erreicht der Original-Zeichentrickfilm Platz eins in den Kino-Jahrescharts. Allein in Deutschland sind fast 5,2 Millionen zu Tränen gerührt, als das Mädchen Belle den in ein Biest verzauberten Prinzen erlöst.
Dabei kann diese Mach’s-noch-einmal-Idee nicht nur marketingtechnisch klug sein. Disneys Schauspieler-Remake „Maleficent – Die dunkle Fee“ (2014) zeigt das gut: Der Animations-Vorläufer „Dornröschen“ (1959) erzählt über die Königstochter Aurora, die von der bösen Fee Malefiz verflucht wird, sich an einer Spindel sticht und in einen 100-jährigen Schlaf fällt. Dagegen interessiert sich die Realverfilmung von 2014 weniger um Prinzessin Aurora, sondern beantwortet die Frage, warum Fee Malefiz so schlecht drauf ist. Dabei entwickelt der Schauspielerfilm ein kluges Psychogramm dieser Märchenfigur – was nicht allen gefällt. „Zu düster“, so die Kritik.
Filmidee geht auf Rokoko-Märchen zurück
Die Realverfilmung „Die Schöne und das Biest“ (2017) ist bei weitem nicht so revolutionär und bedient ganz im Gegenteil eher konservative Botschaften. Andererseits traut sich Disney auch ein wenig und zeigt damit, dass Drehbuchautoren und Regisseur Bill Condon („Gods and Monsters“, „The Twilight Saga“) im 21. Jahrhundert angekommen sind. Die Idee sowohl für den Animations- als auch für den Realfilm geht auf das 1740 entstandene französische Kunstmärchen „Die Schöne und das Tier“ von Gabrielle-Suzanne de Villeneuve zurück. Auch die von Madame Leprince de Beaumont zurecht gestutzte Volksmärchenfassung von 1757 lässt sich herauslesen.
In beiden Vorlagen lebt ein Kaufmann mit seinen elf bzw. sechs Kindern, je zur Hälfte Töchter und Söhne, in Reichtum und Wohlstand. Eines Tages verirrt sich der Vater auf einer Geschäftsreise und gelangt zu einem Palast. Dort bedroht ihn ein sprechendes Ungeheuer mit dem Tod, weil er einen Rosenzweig für seine jüngste Tochter, die Schöne, bricht. Das Tier lässt ihn nur unter der Bedingung frei, dass er eine von seinen Töchtern schickt, um für ihren Vater zu sterben. Die Jüngste opfert sich, verliebt sich in das Ungeheuer und erlöst es von seiner Tiergestalt.
Autoren lassen sich von „La belle et la bête“ inspirieren
Disneys Drehbuchschreiber verfahren mit dem Stoff ähnlich frei wie seinerzeit Madame Leprince de Beaumont. So lebt Belle (Emma Watson) allein mit ihrem Vater Maurice (Kevin Cline) im Dorf Villeneuve – der Name ist eine Hommage an die erste Märchendichterin. Zudem lassen sich die Disney-Autoren von Jean Cocteaus Verfilmung „La belle et la bête“ (F 1945) inspirieren. Schon dieser populäre Märchenfilm erweitert sein Figurenensemble damals mit einem Verehrer, dem nichtsnutzigen schönen Avenant (Jean Marais). Er umschwirrt Bella in ihrem Zuhause wie eine Motte das helle Licht.
Bei Disney ist es ein Dorf-Schönling (Luke Evans), der Belle ständig Avancen macht, ihr aber seltsam fremd bleibt. Das lässt sich bereits an seinem Vornamen ablesen: Gaston (dt.: der Fremde). Beide, Belle und Gaston, werden als Kontrastfiguren aufgebaut: hier die kluge, belesene, wissbegierige Belle, dort der dumme, unbelesene, selbstverliebte Gaston. Mit dieser Strategie der Kontraste werden einerseits die zwei Figuren charakterisiert, andererseits erzeugt dieses ungleiche Paar Konflikte, stellt verschiedene Wertvorstellungen gegenüber und macht auf Grundfragen des Films aufmerksam, z. B. was wahre Schönheit bedeutet.
Gaston und LeFou: unglücklich verheiratetes Ehepaar
Dass dabei die Komik nicht vergessen wird, zeigt eine Nebenfigur, die bereits 1991 über die Kinoleinwand wirbelt: LeFou (Josh Gad), übersetzt: der Dummkopf. Dennoch täuscht sein Name, denn dumm ist er nicht. Zuvorderst spielt LeFou „die Rolle des Clowns oder komischen Begleiters“ (Vogler) seines Herrn Gaston und ist damit ein klassischer Trickster – einer der Archetypen in der Welt der Märchen. Gaston und LeFou erinnern an ein „unglücklich verheiratetes Ehepaar“, so Josh Gad in einem Interview augenzwinkernd über seine und Luke Evans‘ Rolle.
Optisch zitieren beide zudem das Roman-Figurenpaar Don Quichotte (lang und schlank) und Sancho Pansa (kurz und dick) von Cervantes. Neu in „Die Schöne und das Biest“ ist, dass sich LeFou eher effeminiert verhält, also mit einer typisch weiblichen Mimik, Gestik und Körperhaltung glänzt. Damit kontrastiert LeFou wiederum herrlich mit Gaston, dessen typisch männliches Auftreten den Gegenpol dazu bietet. Für den offen schwulen Regisseur Bill Condon ist LeFou der „nette, exklusive schwule Moment in einem Disney-Film“ (Bartels). Gutes Zielgruppenmarketing!
Schwarze, Schwule und die Sache mit dem Kreuz
Wobei es richtigerweise sogar zwei schwule Momente gibt, wenn einer der Dorf-Musketiere (männlich, markant, stark) plötzlich verwirrt über eigene sexuelle Neigungen ist. Dennoch gab es im Vorfeld nur große Aufregung um LeFou, an der sich besonders russische Duma-Abgeordnete („Schwulen-Propaganda“), aber auch christlich-konservative Kreise beteiligten. Was überrascht, denn der Film positioniert sich in Sachen Religion bereits übereifrig während der epischen Eröffnungssequenz (Kamera: Tobias A. Schliessler) mit fast allen Hauptfiguren, über 150 Statisten, mehr als 100 Tieren, 28 Wagen und unzähligen Requisiten.
Dazu gehört auch ein schwarzer Priester, der vor einem Heiligen Kreuz gefilmt wird und damit durchaus billigen religiösen Symbolismus bedient. Apropos schwarze Figuren: Im Gegensatz zu Disneys Realfilm „Cinderella“ (2015), in dem eine wichtige Helferfigur von einem Schwarzen gespielt wird, bleibt der Priester in seiner Rolle nahezu bedeutungslos. Schade. Überdies rückt in „Die Schöne und das Biest“ wiederholt das Motiv der Familie in den Vordergrund. Einerseits steckt das bereits in der literarischen Vorlage, wenn sich die Tochter für den Vater opfert. Andererseits wird das Motiv verstärkt, wohl auch, weil in den USA die Familie einen hohen symbolischen Wert besitzt und für Tradition und Moral steht: „[…] the task of defining what American family is is integral to the very task of defining America itself.“ (Albers/Grundmann)
Intakte und kaputte Eltern-Kind-Beziehungen
Die US-Produktionsfirma Walt Disney Pictures bedient dieses Grundverständnis wiederum in ihren Filmen, besonders in denen, die für ein Familienpublikum inszeniert werden. Das zeigt sich bei einer Reihe von intakten und kaputten Eltern-Kind-Beziehungen in „Die Schöne und das Biest“. Wenn die Neuverfilmung Antwort darauf geben will, warum ein schöner Prinz (Dan Stevens) launisch und überheblich ist und dafür in ein Ungeheuer verwandelt wird, so wird sein Verhalten mit dem frühen Tod eines Elternteils begründet: In einer Rückblende steht der kleine Prinz verstört am Bett seiner sterbenden Mutter.
Das Zeitalter der Psychoanalyse verlangt vernünftige Begründungen (Trauma, Bindungsangst) im Märchenfilm, um die sich das eigentliche Märchen nicht kümmert. Dieser kaputten Mutter-Kind-Beziehung steht eine höchst intakte gegenüber: die Haushälterin Madame Pottine (Emma Thompson) und ihr Sohn Tassilo (Nathan Mack). Sie leben im Palast des Prinzen. Als er mit einem Fluch belegt wird, verwandeln sich beide, wie auch alle anderen Bewohner, in sprechende Haushaltsgegenstände. Aus Pottine und Tassilo werden Teekanne und Teetässchen – wobei sich die Mutter vorbildlich um ihren Sohn kümmert und ein idealisiertes Bild abgibt.
„The Sound of Music“ und „La La Land“
Die zentrale Liebesgeschichte zwischen Belle und dem verzauberten Prinzen und ihre langsam wachsende emotionale Bindung gerät fast aus dem Blickfeld. Dabei will „Die Schöne und das Biest“ nicht nur Familien- oder Liebesfilm, sondern vor allem ein Musikfilm sein. Bereits im Original-Animationsklassiker von 1991 singen und tanzen die Zeichentrickfiguren, was die Leinwand hergibt. Dafür gewinnt Disney seinerzeit zwei Oscars für den „Besten Song“ und „Besten Originalsoundtrack“. Die Neuverfilmung geht diesen musikalischen Weg weiter. Und wäre für „Die Schöne und das Biest“ nicht schon 2015 die letzte Klappe gefallen, man könnte meinen, dass sich das Märchen im Erfolg des US-Filmmusicals „La La Land“ (2016) sonnen möchte.
Zugleich verbeugt sich das Märchenfilm vor dem Goldenen Musical-Zeitalter in Hollywood, wie „The Sound of Music“ (USA 1965) mit Hauptdarstellerin Julie Andrews als Novizin Maria. Regisseur und Musical-Experte Bill Condon spielt hier mit visuellen Zitaten und inszeniert Belle – wie seinerzeit Regisseur Robert Wise seine Maria – in märchenhaft kitschig-schönen Bildern. Dabei verortet Szenenbildnerin Sarah Greenwood den Disney-Realfilm im Frankreich des 18. Jahrhunderts. Die Geschehenszeit spannt damit einen Bogen zur Entstehungszeit des Märchens.
Farbdramaturgie im Kostümbild
Einer der Geschehensorte, das Dorf Villeneuve, entsteht zwar im Studio, ist aber von der kleinen 255-Seelen-Gemeinde Conques inspiriert, die heute als eines der schönsten Dörfer Frankreichs gilt. Der Palast orientiert sich vor allem am französischen Rokoko. Zugleich wird die Wirkung des Fluchs offenbar, den auch das Schloss trifft – und es verändert: „Wir wollten zeigen, wie es nach der Verzauberung immer weiter wächst und sich ausdehnt, […]“, so Greenwood. Das wird z. B. an der Architektur sichtbar, wenn sich um glatte Säulen wilde Lianen aus Stein ranken und sich des Schlosses bemächtigen.
Kostümbildnerin Jacqueline Durran lehnt sich mit ihren Entwürfen ebenso an das Rokoko an. Belles gelbes Kleid, das sie im Ballsaal des Schlosses trägt, als sie mit dem Biest tanzt, ist für Durran eine besondere „Hommage an den Animationsfilm“. Dabei sind weniger Schnitt und Material, sondern seine Farbe so bemerkenswert – vor allem im Zusammenspiel mit dem in Blau gekleideten Biest. Gelb und Blau stehen sich hier als Ergänzungsfarben gegenüber. Und: „Als Farbe des Lebens kontrastiert zu Gelb Blau, die Farbe des Todes“ (Marschall). Belle erweckt das Biest wieder zu neuem Leben.
Märchenfilm für Visual-Effects-Fans
Dass das Mädchen dabei von sogenannten Sidekicks unterstützt wird, die die Handlung vorantreiben, ist eines von Disneys Erfolgsrezepten. In „Die Schöne und das Biest“ helfen Kerzenleuchter Lumière (Ewan McGregor), Kaminuhr von Unruh (Ian McKellen), Madame de Garderobe (Audra McDonald), Staubwedel Plumette (Gugu Mbatha-Raw) sowie das Cembalo Maestro Cadenza (Stanley Tucci) der Heldin – in der Hoffnung, dass Belle endlich diejenige ist, die das Herz des Biests erobert. Dank dieser vielen computergenerierten Gegenstände, die in realen Kulissen spielen, ist dieser Disney-Märchenfilm auch für Visual-Effects-Fans ein Erlebnis.
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MEHR ZUM THEMA
Ästhetik im Märchenfilm: Die Schöne und das Biest (F 2014)
Weibliche Perspektiven: Die feuerrote Blume (UdSSR 1978)
Film: „Die Schöne und das Biest“ (2017, Regie: Bill Condon, USA)
Drehort: Shepperton Studios, Shepperton, Surrey TW17, UK, u. a.
- Bühne H mit 890 Quadratmetern: verwunschener Wald
- Studiogelände mit 2.700 Quadratmetern: Dorf Villeneuve
Literatur:
- Albers, Thies/Grundmann, Matthias: Familie im Film – Die Familie im filmischen Wandel, in: Schroer, Markus (Hrsg.): Gesellschaft im Film. Konstanz. 2007, S. 90.
- Bartels, Gunda: Der erste Disney-Film mit einer schwulen Figur, in: Tagesspiegel, 6.3.2017
- Marschall, Susanne: Farbe im Kino. Marburg, 2009, S. 68.
- Vogler, Christopher: Die Odyssee des Drehbuchschreibers. Über die mythologischen Grundmuster des amerikanischen Erfolgskinos. 6., aktualisierte und erweiterte Auflage. Aus dem Amerikanischen von Frank Kuhnke. Frankfurt a. M., 2010, S. 151f.
Headerfoto: Belle (Emma Watson) tanzt mit dem Biest (Dan Stevens) / © 2016 Disney Enterprises inc. All Rights Reserved.