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Die Prinzessin auf der Erbse (2010): Liebessymbol im Märchenfilm

Die Prinzessin auf der Erbse (D 2010): Liebessymbol im Märchenfilm

Im ARD-Märchenfilm frei nach Hans Christian Andersen wandelt sich das grüne Gemüse vom profanen Beweismittel zum märchenhaften Symbol echter Liebe.

Mit nur rund 350 Wörtern in der deutschen Übersetzung zählt „Die Prinzessin auf der Erbse“ zu einem der kürzesten Märchen Hans Christian Andersens. Die Geschichte von einem Prinzen, der nur eine „wirkliche Prinzessin“ (Andersen 2012, S. 29) heiraten will und dessen Eltern eine Kandidatin mit Hilfe einer Erbse erfolgreich testen, wird 1837 erstmals veröffentlicht.

Die bildlichen Möglichkeiten einer Verfilmung – „zwanzig Matratzen und zwanzig Eiderdaunenbetten“ (ebd. S. 30), auf denen die Prinzessin zur Probe schläft – erkennen deutsche Regisseure bereits in den 1920er- und 1930er-Jahren. Nicht nur im Kino kompatiblen 35-Millimeter-Format auch als 8-Millimeter-Stummfilm wird „Die Prinzessin auf der Erbse“ deshalb adaptiert, so 1935 in einer Länge von zwölf Minuten vom Berliner Märchenfilm-Produzenten Fritz Genschow.

Bei der ersten deutschen Nachkriegsproduktion führt Alf Zengerling Regie: Seine dramaturgische Bearbeitung von „Die Prinzessin auf der Erbse“ kommt 1953 in die westdeutschen Kinos. Anders als Genschow versucht Zengerling das kurze Märchen Film adäquat auszufabulieren.

Weshalb sind die Prinzessinnen „nicht ganz richtig“?

Zwar kommt der Märchenfilm auf eine Länge von 37 Minuten, doch das Ergebnis ist unbefriedigend: Das Drehbuch (Lieselotte Trebst) macht nicht den Versuch, aus der Vorlage heraus neue erzählerische Akzente zu setzen. Vielmehr wird im Märchenfilm ein aufgesetzt wirkender Handlungsstrang eingefügt, der zudem die Hauptfiguren – Prinz und Prinzessin – außen vor lässt.

Die Prinzessin auf der Erbse (1953) / Quelle: maerchenfilm.info

Die Prinzessin auf der Erbse (1953) / Quelle: maerchenfilm.info


Und das, obwohl Andersens Vorlage so viele spannende Fragen aufwirft: Weshalb sind die Prinzessinnen, die der Prinz in der ganzen Welt trifft, „nicht ganz richtig“ (ebd. S. 29)? Warum steht plötzlich dieses Mädchen vor dem Schlosstor und gibt sich als Prinzessin aus? Und weshalb wird gerade eine grüne Erbse als Beweismittel für einen Abstammungstest genutzt?

ARD-Adaption setzt neue Akzente

Diese Fragen haben sich zum Glück die Autoren Nicolas Jacob und Olaf Winkler gestellt, als sie 2010 das Drehbuch zu einer neuen ARD-Adaption von „Die Prinzessin auf der Erbse“ schreiben. Märchenfilmerfahrung haben beide bereits, weil sie 2009 für das ARD-„Rapunzel“ den Manuskriptstoff verfassen. Auf dem Regiestuhl sitzt bei beiden Filmen Regisseur Bodo Fürneisen.

Fürneisen, der schon in der DDR Hans Falladas Kunstmärchen „Die Geschichte vom goldenen Taler“ (1984) kongenial umsetzt und auch im Klassiker „Die Weihnachtsgans Auguste“ (1987) Regie führt, will die fehlende Logik des Märchens – anhand einer Erbse eine Prinzessin erkennen – durch neue Leitmotive ersetzen.

Erbse wird schon am Anfang in Handlung integriert

Auf die Erbse verzichten Regisseur und Drehbuchautoren dennoch nicht, vielmehr wird diese bereits weitaus früher in die Filmhandlung eingeführt – so wie sich der Prinz (Robert Gwisdek) und die Prinzessin (Rike Kloster) schon in der Exposition kennenlernen.

Kloster Chorin: Im Wirtschaftshof entstehen Szenen, die im Waisenhaus spielen / © Waltraud Seitz/pixelio.de

Kloster Chorin: Im Wirtschaftshof entstehen Szenen, die im Waisenhaus spielen / © Waltraud Seitz/pixelio.de


Allerdings verläuft das erste Treffen anders als geplant: Die Prinzessin ist von ihren Eltern in eine Kutsche gesetzt worden, die sie zum König (gespielt von Roberts Vater: Michael Gwisdek) des Nachbarreichs bringen und dessen Sohn sie heiraten soll.

Doch die eigenwillige junge Frau („Ich heirate doch nicht irgendeinen Prinzen!“) flieht und findet inkognito in einem Waisenhaus Unterschlupf, das von der Barmherzigen Schwester (Renate Richter) geleitet wird. Dort trifft sie den Prinzen, der ebenso inkognito ist und mit einem Tischler (Peter Zimmermann) Reparaturen für das Waisenhaus vornimmt.

Königskinder pfeifen auf Erwartungen

Prinz und Prinzessin vereint hier nicht nur ihre Anonymität, auch die Motive ihres Verhaltens ähneln einander: Erwartungen seitens ihrer Eltern wollen beide partout nicht erfüllen. Die Prinzessin sträubt sich gegen eine Verbindung mit einem ihr unbekannten Mann.

Und der noch kindlich-naive Prinz flüchtet sich regelmäßig in die Werkstatt eines einfachen Tischlers, in der er – weitab von seiner standesgemäßen Verantwortung als Thronfolger – ihm sinnvoll erscheinende handwerkliche Tätigkeiten verrichtet, die einem sozialen Zweck dienen. Sein Vater ahnt nichts davon.

Inkognito: Tischlergeselle (Robert Gwisdek) und einfaches Mädchen (Rike Kloster) / © rbb/Arnim Thomaß

Inkognito: Tischlergeselle (Robert Gwisdek) und einfaches Mädchen (Rike Kloster) / © rbb/Arnim Thomaß


Zudem hat er bislang vergeblich nach einer Braut gesucht: „Ich will jemanden heiraten, den ich liebe!“, so sein Standpunkt, der aber die Staatsräson völlig außer Acht lässt. Das macht beide – Prinz und Prinzessin – im Figurenensemble auch zu Parallelfiguren.

Beim ersten Zusammentreffen von Prinz (= Tischlergeselle) und Prinzessin (= einfaches Mädchen) wird die Erbse nicht als Beweismittel – wie bei Andersen –, sondern als Symbol der aufkeimenden Liebe eingebunden: Als die Prinzessin an die Waisenkinder Erbsen zum Naschen verteilt, verwehrt sie dem Prinzen zunächst eine, weil er sich diese erst ‚verdienen’ soll.

Machtbesessene Schwester des Königs

Damit erweitert das Autoren-Duo Jacob/Winkler geschickt die eigentliche Bedeutung der Erbse als ein Zeichen für Fruchtbarkeit und Kindersegen. Dennoch rückt eine Liebesheirat der beiden erst einmal in weite Ferne: Der König verlangt, dass sein Sohn endlich zur Vernunft kommen soll („Du bist Prinz, du kannst nicht einfach machen, was du willst!“).

Machtgierige Königs-Schwester und willfähriger Helfer: Iris Berben und David C. Bunners / © rbb/Arnim Thomaß

Machtgierige Königs-Schwester und willfähriger Helfer: Iris Berben und David C. Bunners / © rbb/Arnim Thomaß


Zudem erinnert ihn der Vater daran, dass nur er als sein Sohn das Land schützen kann – vor der machtbesessenen Schwester (Iris Berben) des Königs, die als negativer Charakter neu in die Märchenhandlung aufgenommen wird.

Neue Erbfolge und Soldatenhandel

Denn: An seinem siebzigsten Geburtstag muss der König abdanken. Hat der Prinz bis dahin keine Braut gefunden, fällt die Krone der Schwester zu. Dass dann schlimme Zeiten für das Land anbrechen, zeigt folgendes Beispiel:

Um mehr Geld in die Staatskasse zu spülen, will die Schwester des Königs Bauern als Soldaten verkaufen: „Die werden überall gebraucht und bringen gutes Geld!“ Ein kluger und zudem historisch verbürgter Verweis auf den sogenannten Soldatenhandel im 18. Jahrhundert, bei dem deutsche Fürsten ihre Untertanen für viel Geld an andere Staaten verhökern.

Friderizianisches Rokoko als Filmsetting

Mit diesem Verweis wird das Märchen historisch konkretisiert und ins 18. Jahrhundert verlegt – in die Epoche des friderizianischen Rokoko, in dem auch einer der Drehorte des Märchenfilms entsteht: Schloss Mosigkau (1752 bis 1757).

Kostümfarbe: Das Schwarz verweist auch auf seinen bösen Charakter (David C. Bunners) / © rbb/Arnim Thomaß

Kostümfarbe: Das Schwarz verweist auch auf seinen bösen Charakter (David C. Bunners) / © rbb/Arnim Thomaß


Der Hofjunker (David C. Bunners) als willfähriger Helfer der Königs-Schwester passt sich ebenso exakt in die gut durchdachte und (farblich) durchkomponierte Bilderwelt ein. Er soll dafür sorgen, dass die Prinzessin nicht gefunden wird. Doch kurz vor dem siebzigsten Geburtstag des Königs steht plötzlich ein klatschnasses Mädchen vor dem Schlosstor.

Mädchen wird auf die Probe gestellt

Der Prinz erkennt sein Mädchen wieder – mit dem er noch vor wenigen Tagen fliehen wollte, sich aber wegen seines kranken Vaters dagegen entschieden hat. Das Ende des Märchenfilms greift zum Teil den Schluss Hans Christian Andersens auf – fabuliert aber stumpfe Motive der Vorlage gekonnt aus.

Schloss Mosigkau: Das Rokokoschloss südwestlich von Dessau ist einer der Drehorte / © Werner Anders/pixelio.de

Schloss Mosigkau: Das Rokokoschloss südwestlich von Dessau ist einer der Drehorte / © Werner Anders/pixelio.de


Die Prinzessin behauptet, eine wirkliche Prinzessin zu sein. Die Schwester des Königs nutzt ihre letzte Chance, eine Heirat zu verhindern und doch noch auf den Thron zu gelangen. Sie will das junge Mädchen auf eine Probe stellen – mit Hilfe einer Erbse.

Nur wer – wie sie selbst – überempfindlich ist, kann eine richtige Prinzessin sein. Die Überempfindlichkeit der Schwester des Königs und ihre Rückenschmerzen werden zuvor logisch in die Handlung integriert, zum Beispiel als sich der König am Anfang über eine hohe Matratzen-Rechnung mokiert.

Liebe ‚beweist’ königliche Abstammung

Seine Schwester hofft mit Hilfe der vielen Matratzen, endlich schmerzlos zu schlafen. Diese setzt sie nun ein, um ihren Plan zu verwirklichen. Das Mädchen muss in der Nacht auf einem Matratzen-Berg schlafen, unter dem eine kleine Erbse liegt – von der das Mädchen und auch der Prinz aber nichts wissen.

Schlüsselszene: Die Prinzessin (Rike Kloster) auf dem Matratzen-Berg / © rbb/Arnim Thomaß

Schlüsselszene: Die Prinzessin (Rike Kloster) auf dem Matratzen-Berg / © rbb/Arnim Thomaß


Nur wenn es diese kleine Erbse spürt und die Nacht schlaflos zubringt, beweist das seine königliche Abstammung – so der Plan der Königs-Schwester. Doch keine drückende Erbse, sondern die Liebe zwischen Prinz und Prinzessin ‚beweist’ am Ende die Abstammung des Mädchens.
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Die Schwester des Königs wird mit dem Hofjunker aus dem Schloss gejagt. Die Matratzen werden den Kindern im Waisenhaus gespendet, denen der Prinz als Tischlergeselle neue Kinderbetten gezimmert und sich damit schon damals die Erbse der Prinzessin ‚verdient’ hat.

Film: „Die Prinzessin auf der Erbse“ (BRD, 2010, R: Bodo Fürneisen). Ist auf DVD erschienen.

Drehorte:

  • Kloster Chorin, Amt Chorin 11a, 16230 Chorin
  • Schloss Diedersdorf, Kirchplatz 5-6, 14979 Großbeeren
  • Schloss Mosigkau, Knobelsdorffallee 3, 06847 Dessau-Roßlau
  • Schlosspark Petzow, Fercher Straße, 14542 Werder (Havel) OT Petzow

Verwendete Literatur: Andersen, Hans Christian: Die Prinzessin auf der Erbse. In: Ders.: Sämtliche Märchen. Vollständige Ausgabe. Aus dem Dänischen von Thyra Dohrenburg. Mit Illustrationen von Vilhelm Petersen und Lorenz Frølich. Mannheim, 2012, S. 29f.

Headerfoto: Die Prinzessin auf der Erbse (2010): König (Michael Gwisdek), Prinzessin (Rike Kloster) und Prinz (Robert Gwisdek) / Foto: rbb/Arnim Thomaß