Nach „Pakt der Wölfe“ (2001) nimmt sich Filmregisseur Christophe Gans jetzt das französische Märchen „La Belle et la bete“ vor. In seiner Filmadaption toben sich vor allem der Set-Dekorateur und der Kostümbildner aus. Dennoch: „Die Schöne und das Biest“ ist europäisches Märchenfilm-Kino, das sich hinter Hollywood nicht zu verstecken braucht. Filmstart ist am 1. Mai 2014.
Zufall, oder nicht? Als auf der Berlinale 2014 der neue Märchenfilm „Die Schöne und das Biest“ von Christophe Gans gezeigt wird, ist in einer gleichzeitig stattfindenden Berlinale-Retrospektive auch der Klassiker von Jean Cocteau aus dem Jahr 1946 zu sehen. Unter dem Titel „Ästhetik der Schatten. Filmisches Licht 1915-1950“ scheint Cocteaus „La Belle et la bete“ ein kongeniales Beispiel dafür, auf welch meisterhafte Weise mit Licht und Schatten – im Schwarzweiß-Film – gespielt werden konnte. Damals. Vor fast siebzig Jahren.
Um es vorweg zu nehmen: Die Adaption des französischen Regisseurs Christophe Gans erzählt auch auf virtuose Weise das Märchen neu. Es ist aber – um abgewandelt den Titel der Retrospektive zu erwähnen – eine Ästhetik des Erzählens, eine Ästhetik der Farbe und, ja, auch eine Ästhetik der Spezial-Effekte. Trotzdem fügt sich „Die Schöne und das Biest“ nicht in die Reihe der Neuinterpretationen klassischer Märchen made in Hollywood ein, wie Singhs „Spieglein, Spieglein – Die wirklich wahre Geschichte von Schneewittchen“ (2012).
Rahmenhandlung bildet äußeren Ring in „Die Schöne und das Biest“
Kein Wunder. Denn Gans‘ Adaption ist europäisches Märchenfilm-Kino. Aus dem „alten Europa“ – um einen wenig märchenhaften US-amerikanischen Präsidenten zu zitieren. Das zeigt sich im Umgang mit dem Märchen als solchem: Stellt bereits Cocteau in „La Belle et la bete“ einen Prolog an den Anfang, in dem er mit der Eingangsformel „Es war einmal“ betont, dass er ein Märchen erzählt, so nutzt Gans einen ähnlichen erzählerischen Kunstgriff, um Abstand zur fantastischen Anderswelt des Märchens zu schaffen.
Er jongliert mit Raum- und Zeitebenen und bettet das Märchen über „Die Schöne und das Biest“ in eine Rahmenerzählung ein, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts spielt. In dieser wird zwei Kindern als Gute-Nacht-Geschichte das Märchen vorgelesen – das offenbar eng mit der Frame-Story verwoben ist. Am Ende des Films wird sich diese Rahmenhandlung auf märchenhafte Weise mit der aufgeschriebenen Geschichte aus dem Buch verbinden. Fiktion und Wirklichkeit scheinen ein und dasselbe.
Vorlage für Märchenfilm: Kunstmärchen vs. Volksmärchen
In dieser Ästhetik des Erzählens greift Christophe Gans auf klassische bildliche Konzepte zurück. Das Aufschlagen des Buchs mit dem Titel des Märchens, aus dem vorgelesen wird, ist der Einstieg in die Geschichte über „Die Schöne und das Biest“. Illustrationen erwecken mittels Überblendung das Filmbild zum Leben … Ein reicher Kaufmann (André Dussollier) verliert durch einen Sturm seine Handelsflotte. Verarmt müssen er und seine Kinder ihr Zuhause – eine prächtige Stadtvilla – verlassen und in ein kleines Landhaus ziehen.
Regisseur Gans, der mit Sandra Vo-Anh das Drehbuch schreibt, nennt als Vorlage für den Märchenfilm das 1740 entstandene gleichnamige Kunstmärchen von Gabrielle-Suzanne de Villeneuve. Aber auch die kurze – weitaus erfolgreichere – Volksmärchenfassung der Madame Leprince de Beaumont von 1757 lässt sich herauslesen. So treffen im Film die „psychologischen Feinheiten“ (Dessauer) des Kunstmärchens auf die einfache, gestraffte Struktur des Volksmärchens. Letzteres zeigt sich zum Beispiel in der Anzahl der Kinder.
Von tiefer gehenden Charakteren und Mode-Metaphern
Nicht elf, wie bei de Villeneuve, sondern nur sechs Kinder hat der Kaufmann: drei Söhne und drei Töchter. Neu sind die tiefer gehenden Charaktere der Söhne – und zugleich ein Versuch, um die Geschichte dramaturgisch zuzuspitzen. Da ist der Poet Jean-Baptiste (Jonathan Demurger), der Draufgänger Maxime (Nicolas Gob) und das Nesthäkchen Tristan (Louka Meliava). Gute Idee, doch die Jungs bleiben trotzdem blass. Wie die Töchter Anne (Audrey Lamy) und Clotilde (Sara Giraudeau), die Schuten – hutartige Hauben – mit Straußenfedern und steife Halskrausen tragen.
Beides nicht nur Mode-Metaphern für ihren stolzen Charakter, sondern auch ein Verweis auf das Setting der Binnenerzählung: Frankreich um 1800. Belle (Léa Seydoux) trägt dagegen weder Hut noch Halskrause. Sie, die jüngste und schönste Tochter, freundet sich ziemlich schnell mit dem Landleben an und stürzt sich in die Gartenarbeit zwischen Unkraut und – Kürbissen. Voilà! Eine schöne Reminiszenz an Charles Perraults „Cendrillon“, das französische Aschenputtel, dessen Kürbis sich einst in eine vergoldete Kutsche verwandelte.
Symbole im Märchenfilm: Raubtier, Hirsch, Biest
Als der Familienvater erfährt, dass eines seiner Schiffe doch noch den Hafen erreicht hat, macht er sich auf den Weg in die Stadt. Auf dem Rückweg verirrt er sich in einem Schneesturm und findet sich plötzlich an einem geheimnisvollen, morbid wirkenden Ort wieder – ein verlassenes Schloss. Hinter einer wuchtigen zweiflügeligen Holz geschnitzten Eingangstür erwartet ihn (und den Zuschauer) eine menschenleere schaurig-schöne Szenerie, die Set-Dekorateur Thierry Flamand mit viel Sinnhaftigkeit gebastelt hat.
Auffällig sind die vielen Skulpturen von Raubtieren und jagdbaren Beutetieren: Darunter Hirsche, in der christlichen Überlieferung einst Sieger im Kampf des Guten gegen das Böse – und nicht zuletzt Sinnbild für Christus selbst –, hier aber nur als versteinerte leblose Imitation. Und mittendrin das Biest (Vincent Cassel) als reißendes Tier und Schlossherr, lebendig und tot zugleich. Das sind Symbole, visuelle Sinnbilder, in denen bereits das Wesen der Figuren und der erzählerische Kern des Märchens im Film sichtbar werden.
Belle als Rotkäppchen und das Biest als böser Wolf
Gans bleibt damit dem Genre treu und taumelt nicht – wie Hollywood – in eine märchenhafte Action-Fantasie. Dass der Märchenfilm trotzdem im 21. Jahrhundert angekommen ist, zeigt sein amüsantes Faible für Zeitebenen, das vor allem Wert auf historische Konkretisierung legt: So ist die Welt des Biestes in der Spätrenaissance (1600) stehengeblieben. Belle und die ihren sind im Empire (1800) zu Hause. Ablesbar ist das nicht nur an der Kleidung, sondern auch an Kulissen und Requisiten.
Weil ihr Vater im Schlossgarten des Biestes eine rote Rose für Belle pflückt, fordert das Tier sein Leben. Sie reitet anstelle ihres Vaters zum Biest, um für ihn und die Familie zu sterben. Als sie die Zeitreise antritt – in ein rotes Cape gehüllt –, wird ganz nebenbei eine andere Märchenfigur zitiert: Rotkäppchen. Und das nicht nur assoziativ sexuell, wenn das Biest unschwer als wolfsähnlicher Mann zu erkennen ist, sondern eben auch farblich. Die Ästhetik einer Farbdramaturgie wird im Film noch verstärkt, wenn das Tier die schöne Belle nicht tötet, sie dafür umwirbt und vier Kleider in vier unterschiedlichen Farbtönen schenkt:
Rotes Kleid als Beziehungsstatus – ganz ohne Facebook
Creme, grün, blau, rot. Chef-Kostümbildner Pierre-Yves Gayraud will nicht nur über die räumlichen Farben einer Szene, sondern auch über die Farbe der Kleidung Stimmungen erzeugen oder den Charakter verbildlichen. So ist es kein Zufall, dass Belle am Ende ein rotes Kleid trägt, welches den Beziehungsstatus – ganz ohne Facebook – zwischen ihr und dem Biest anzeigt. Allmählich kommt sie hinter das Geheimnis des Schlossherrn, besonders in ihren Träumen, in denen sich das Schicksal des Biestes mosaikartig zusammensetzt.
Belles Albträume rekonstruieren in Rückblenden die Liebesgeschichte eines Prinzen und seiner Frau (Yvonne Catterfeld). Und das an einem Königshof, der dem Schloss ähnelt, in dem sie sich befindet. Vergangenheit und Gegenwart treffen plötzlich aufeinander. Dabei gibt die Vorgeschichte bereits Antworten auf die übergeordneten Konfliktfelder im Märchenfilm: Natur vs. Mensch, Befriedigung vs. Zurückhaltung, Bestrafung vs. Vergebung. Auch wenn deren Umsetzung im Film zum Teil zu einfach erfolgt.
Spezial-Effekte – ein Must-have im Märchenfilm?
Neben einer Ästhetik des Erzählens und der Farbe streift „Die Schöne und das Biest“ auch eine Ästhetik der Spezial-Effekte – in einem märchenhaft-fantastischen Film des 21. Jahrhunderts offenbar ein Must-have. Gut, dass diese Effekte nicht zu sehr um ihrer selbst Willen inszeniert werden, sondern Wunder aus der Vorlage von de Villeneuve zitieren. Zum Beispiel das Geheimnis um die menschenähnlichen Statuen im Schlossgarten oder die kleinen Tiere, die Belle im Palast bedienen und ihr Gesellschaft leisten.
Regisseur Gans konzentriert sich dafür mehr auf eine besondere Konstellation der Figuren, wenn er den beiden Paaren „Belle und Biest“ sowie „Prinz und Prinzessin“ ein drittes gegenüberstellt: die schöne Astrid (Myriam Charleins) und ihr Freund, der aggressive Perducas (Eduardo Noriega). In „Astrid und Perducas“, die bereits zu Beginn integriert werden, spiegelt sich nochmals das Schicksal des Prinzen und der Prinzessin wider. Beide sind auch der erzählerische Schlüssel zu einem Ende, in dem letztlich nur die Rollen getauscht werden.
Gut und Böse existieren weiter. Fast wie im wirklichen Leben.
Drehort: Filmstudios Babelsberg
Literatur:
- de Beaumont, Madame Leprince: Die Schöne und das Tier. Ein Märchen. Aus dem Französischen übersetzt und mit einem Nachwort von Maria Dessauer. Illustriert von Richard Doyle, Frankfurt am Main, 1977
- de Villeneuve, Gabrielle-Suzanne: Die Schöne und das Tier. Aus dem Französischen von Christine Hoeppener. Mit Illustrationen von Irmhild und Hilmar Proft, Berlin, 1981
Sehr hübscher Blog. Und tiefgründig gemacht. Da kann sich manche „Movie-Kritik-Seite“ eine Scheibe abschneiden.
L. Bremer
Danke!