Keine – um im Bild zu bleiben – federleicht-fantasievolle Inszenierung ist der ARD hier gelungen. Das liegt weniger an der Story, die mit magischen Federn, sprechendem Tier und Happyend alles bietet, was am Märchen fasziniert. Es sind vielmehr die gestalterischen Elemente im Märchenfilm, die manchmal nicht recht zusammenspielen wollen.
Ist die Ästhetik ursprünglich die Lehre von der sinnlichen Wahrnehmung, so meint sie in Filmanalyse und Filmkritik auch das Zusammenspiel der gestalterischen Mittel, wie Ausstattung, Kameraführung oder Farbgebung. Diese Instrumente der Inszenierung steuern die Aufmerksamkeit des Zuschauers und sind im doppelten Sinn wichtig: einerseits für die erzählte Geschichte, andererseits für mögliche Deutungen. Im Genre Märchenfilm, das wie der Fantasie-, Piraten- oder Historienfilm auch Schauwerte produziert, die „zum Zentrum der Aufmerksamkeit werden können […]“ (Rother/Amann), ist die Ästhetik der Filmbilder umso bedeutsamer.
So können beispielsweise Kostüm und Maske eine Märchenfigur charakterisieren und Lesarten anzeigen: Ein König im schwarzen Hermelinmantel gibt mitunter einen Hinweis, dass er traurig und niedergeschlagen ist („Die Salzprinzessin“). Ein weiblicher Teenager mit Schleifchen im offenen Haar trägt dazu bei, dass die Figur in der Geschichte und im Kopf des Zuschauers als Mädchen, aber noch nicht als junge Frau wahrgenommen wird („Nussknacker und Mausekönig“). Oder der Hochmut eines armen Köhlers, der zum reichen Unternehmer aufsteigt, wird an seiner neuen Frisur, ein adretter, hochgekämmter Seitenscheitel, sichtbar („Das kalte Herz“).
ARD-Märchenfilm entsteht nach Brüder-Grimm-Vorlage
Jedes dieser Beispiele macht deutlich, dass es im Märchenfilm mit gestalterischen Mitteln möglich ist, einen wesentlichen Beitrag zur Ästhetik zu leisten. Dabei gibt es ARD- und ZDF-Adaptionen, die einerseits einen sorgsamen Umgang mit Schauwerten zeigen, andererseits das Potential – das sich gerade im Märchenfilm dafür bietet – nicht immer ausschöpfen. Ein Beispiel ist der Märchenfilm „Die drei Federn“, der für die ARD-Reihe „Auf einen Streich“ produziert wird. Die Vorlage aus den „Kinder- und Hausmärchen“ der Brüder Grimm zählt zu den Zaubermärchen.
Im Kern geht es um eine Tierbraut, eine hässliche Kröte, die sich für den Helden, einen unterschätzten Königssohn, als kluge Helferin erweist. Sie ist es, „die dem Dummling einen wunderbaren Teppich und den schönsten Ring gibt und letztlich zur schönsten Frau wird […]“ (Pöge-Adler). Auslöser der Handlung sind aber die Titel gebenden drei Federn: Ein alter König weiß nicht, welcher seiner drei Söhne ihn beerben soll und bläst die Federn in die Luft. Die jungen Männer sollen dreimal jeweils einer der Federn folgen und eine besondere Aufgabe erfüllen.
Nicht-Zusammenspiel von Kostüm, Requisit und Kulisse
In der Vorlage „Die drei Federn“ bleibt offen, ob diese von einem Wundervogel, wie etwa Phoenix oder Simurg, stammen. Im Film besitzen die Federn des Falken von Fürst Gundolf (Sky du Mont) jene „magische Kraft“ (Fischer), die der Volksglaube der Feder zuschreibt. Der verwitwete Vater ist schon fast 60 Jahre, ein wenig regierungsmüde und möchte die Amtsgeschäfte an den geeignetsten Sohn abgeben. Im Märchenfilm wird der Fürst, wie sollte es anders sein, auf seinem Thronsessel im Thronsaal mit der Kamera festgehalten. Drehort ist der Prunksaal des Wasserschlosses Mitwitz in der Nähe von Kronach (Szenenbild: Günther Gutermann).
Dass das Szenenbild für ARD-Märchenfilme gern die hiesigen Schlösser in Deutschland nutzt, ist kein Geheimnis. Dennoch zeigt sich mitunter, dass sich nicht jeder Raum und nicht jedes Set auch wirklich dafür eignet. Die Folge: ein Nicht-Zusammenspiel von Kostüm, Requisit und Kulisse. So trägt der Fürst eine leicht gemusterte Kleidung, die von Dunkelrot und Gold dominiert wird, wenn er er auf einem dunkelrot gemusterten Thronsessel sitzt, der wiederum vor einem lebensgroßen Gemälde unter einem Baldachin steht. Diese unglückliche Bildkomposition im Thronsaal führt dazu, dass die Kraft dieser Einstellungen gering ist (Kamera: Kay Gauditz).
Szenenbild im Märchenfilm sollte die Story ergänzen
Einerseits sollten Farbe und Muster des Kostüms nicht mit Farbe und Muster des Requisits einhergehen, weil damit die Figur selbst an (visueller) Bedeutung verliert – es sei denn, diese Lesart ist beabsichtigt. Es gibt Kameraeinstellungen, zum Beispiel als der Fürst vor seinem Schloss die Federn in die Luft bläst, dass er gleichsam auf seinem Thronsessel „verschwindet“. Andererseits trägt das lebensgroße Gemälde unter dem Baldachin im Thronsaal dazu bei, dass der Zuschauer abgelenkt wird und sich nicht mehr auf Figuren und Handlung konzentriert.
Ein einfarbiger Hintergrund, zum Beispiel weiß, beige oder schwarz – letzteres um die schwindende Lebenskraft des Fürsten zu demonstrieren –, mit einem Familienwappen würde den Zuschauerblick auf das Eigentliche fokussieren: das Figurenschauspiel. Denn nicht die Story sollte sich dem Szenenbild unterordnen, sondern das Szenenbild sollte die Story ergänzen. Ein gutes Beispiel ist das Gemälde im Fürstengemach, das seine Frau zeigt, die schon verstorben ist. Obgleich die Entstehungszeit des Bildes (19. Jahrhundert) nicht mit der erzählten Zeit (18. Jahrhundert) im Märchenfilm übereinstimmt, so trägt die Interaktion mit dem Requisit (er „spricht“ mit ihr) zur Charakterisierung des Fürsten bei (Requisite: Sascha Kaminski, Bea Kosubek).
Kostümfarben der drei Fürstensöhne signalisieren Unterschiede
Ähnlich gut gelingt die äußerliche Figurenzeichnung der drei Fürstensöhne Gerhard (Emanuel Fitz), Gebhard (Matthias Kelle) und Dummling Gustav (Jannik Schümann). Tragen die Älteren die Mode des Rokoko mit Justaucorps (Gehrock), Spitzenjabot (Krawatte) und Dreispitz (Hut), so zieht sich Gustav nur ein bequemes Hemd und eine einfache Hose an. Er wird als vermeintlicher Versager demnach klar auf der Kostümebene von seinen älteren Brüdern unterschieden (Kostüm: Christoph Birkner). Damit gewinnt Gustav für den Zuschauer eine Authentizität. Es scheint, als würde er sich nichts aus schönen Kleidern machen und eher seiner Tierliebe frönen.
Diese Leidenschaft wird bereits am Anfang zum Erzählmotor, wenn er eine Kröte vor dem Tod bewahrt und damit seinem späteren Glück Vorschub leistet. Neben dem Kostüm sind es auch die Farben, die die Brüder gut kontrastieren: Dunkelblau (Gerhard), Apricot (Gebhard) sowie Weiß (Gustav). Dabei steht die unbunte Farbe Weiß symbolisch im westlichen Kulturkreis auch für Reinheit und Unschuld. Das Dunkelblau, das fast ins Schwarz tendiert, signalisiert den boshaften Charakter von Gerhard. Im hellen Apricot wird die bornierte Fröhlichkeit von Gebhard gegenwärtig. Zudem gelten Blau- und Orangetöne im 18. Jahrhundert als Farben des Adels.
Feinster Teppich, schönster Ring, anmutigste Braut
Alle drei Brüder folgen dreimal den Federn, die der Vater in die Luft bläst. Wird der Flug märchenhaft mit Spezialeffekten und Musik (Jörg Magnus Pfeil, Siggi Mueller) in Szene gesetzt, so vermisst der Zuschauer beim „feinsten Teppich“, den Gustav dem Vater bringt, eine fantasievolle Inszenierung. Das Requisit wirkt fast wie aus dem IKEA-Katalog und wenig inspirierend. Beim Ausrollen des Teppichs im Thronsaal hätten Lichteffekte das Besondere an diesem Stück visuell herausstellen können. Oder: Das Teppichmuster hätte Bezug nehmen können zu einem wichtigen Set des Märchenfilms: dem Wald, zum Beispiel mit golddurchwirkten Blättermotiven, gern auch mit fantasievollen Waldtier-Darstellungen.
Dabei hätte das Requisit einen Bogen gespannt zu dem Ort, an dem Gustav mit Hilfe der Feder erst zu der wundersamen Kröte findet, die ihm den Teppich-Wunsch erfüllt. Der „schönste Ring“, dem die Brüder dem Vater in einer zweiten Aufgabe bringen sollen, wird mithilfe von Lichteffekten weit besser herausgestellt: der Ring glänzt und funkelt märchenhaft. Bei der dritten Aufgabe, in der der Vater von seinen Söhnen fordert, ihm die „schönste Braut des Fürstentums“ zu präsentieren, entfernt sich die Adaption von der Grimmschen Vorlage. Hier führt Drehbuchschreiber Su Turhan eine junge unscheinbare Köhlerin (Kyra Kahre) ein, die Gustav im Wald trifft und in die er sich verliebt.
Zwischen Liebes-Happyend und gerechter Strafe im Märchenfilm
Das verbindet sich sinnhaft mit dem bodenständigen Charakter des Fürstensprosses, der auf Standesunterschiede pfeift. Die hilfreiche Kröte „Itsche“, gesprochen von Jutta Speidel, sorgt dafür, dass sich die Köhlerin in eine Schönheit verwandelt. Trotz des schlüssigen Liebes-Happyends zwischen den beiden wirkt die Köhlerin-Figur dennoch ein wenig abstrakt im Ensemble der Akteure. Ihre Herkunft („aus dem Wald zwischen Schloss und Dorf“) bleibt im Dunkeln. Gut möglich, dass das so intendiert ist, weil sie Barbara (griech./lat.: „fremd, ausländisch“) heißt.
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Am Ende erfüllt Gustav damit auch die dritte Aufgabe des Vaters und darf sich auf den Thron setzen. Seine Brüder, die ihn seit seinen Kindertagen verlachten und mobbten, haben das Nachsehen. Ebenso der Hofmeister Julius (Michael Schönborn), der dem kleinen Gustav zu Beginn sogar ein paar Klapse auf den Hintern verpasst (auch wenn früher Prügel zur Kindererziehung gehören, haben diese in einem Märchenfilm des 21. Jahrhunderts nichts mehr zu suchen). Für alle drei – Julius, Gerhard und Gebhard – ist der Pferdestall ihr neues Zuhause: Ausmisten statt Auslachen! So eine Strafe ist doch viel wirksamer, oder?
Film: „Die drei Federn“ (2014, Regie/Drehbuch: Su Turhan, BRD). Ist auf DVD erschienen.
Drehorte:
- Wasserschloss Mitwitz, Unteres Schloss 5, 96268 Mitwitz
- Fränkisches Freilandmuseum Bad Windsheim, Eisweiherweg 1, 91438 Bad Windsheim
- Forst Steinachtal, 95346 Stadtsteinach
Literatur:
- Fischer, Helmut: Feder, in: Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung. Begründet von Kurt Ranke. Hrsg. von Rolf Wilhelm Brednich zusammen mit Hermann Bausinger, Wolfgang Brückner, Helge Gerndt, Lutz Röhrich und Klaus Roth. Bd. 4, Berlin/New York, 1984, Sp. 933-937.
- Pöge-Alder, Kathrin: Von der Ungleichheit der Partner. Die Tierbraut im Märchen, in: Volkmann, Helga/Freund, Ulrich (Hrsg.): Der Froschkönig … und andere Erlösungsbedürftige. Im Auftrag der Europäischen Märchengesellschaft anlässlich ihrer Frühjahrstagung 1999 in Bad Orb. Baltmannsweiler, 2000, S. 61-71.
- Rother, Rainer/Amann, Caroline: Schauwerte, in: Lexikon der Filmbegriffe (zuletzt geändert am 24.8.2014)
Weiterführende Literatur:
- Shojaei Kawan, Christine: Tierbraut, Tierbräutigam, Tierehe, in: Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung. Begründet von Kurt Ranke. Hrsg. von Rolf Wilhelm Brednich zusammen mit Hermann Bausinger, Wolfgang Brückner, Helge Gerndt, Lutz Röhrich und Klaus Roth. Bd. 13, Berlin/New York, 2010, Sp. 555-565.
Headerfoto: Fürst Gundolf (Sky du Mont) bläst gleich drei Federn in die Luft. Hofmeister Julius (Michael Schönborn) freut sich / © BR/Barbara Bauriedl