Der DEFA-Streifen „Schneeweißchen und Rosenrot“ zählt mit 3,2 Millionen Kinozuschauern zu den zehn erfolgreichsten DDR-Märchenfilmen. Daran hat auch die teils klassische, teils moderne Filmmusik ihren Anteil – geschrieben von Peter M. Gotthardt. Im Interview verrät der populäre Filmkomponist, warum sich Blockflötenquartett und Rockband in einem Märchen-Soundtrack optimal ergänzen können.
Bekannt ist Peter M. Gotthardt vor allem wegen seiner legendären Musik zum DDR-Kultfilm „Die Legende von Paul und Paula“ (1973). Dabei hat der 1941 in Leipzig geborene Filmkomponist für über 500 Filme die Musik verfasst. Sein Soundtrack zum Märchenfilm „Schneeweißchen und Rosenrot“ (1979) – in der Regie von Siegfried Hartmann – ist einer davon. Autor Ron Schlesinger hat Peter M. Gotthardt in seinem Haus am Rande von Berlin getroffen und mit ihm das Rad der Filmmusikgeschichte ein paar Jahre zurückgedreht.Herr Gotthardt, „Schneeweißchen und Rosenrot“ hatte am 6. Juli 1979 – vor 35 Jahren – im Erfurter Panorama-Palast Premiere. Waren Sie dabei?
Ja klar, das habe ich mir nicht nehmen lassen. Wir sind zusammen von Ost-Berlin in die Bezirksstadt Erfurt gefahren. Ich kann mich an einige „Premieren-Fahrten“ – so nannten wir das – erinnern. Auch an diese. Die erste Aufführung eines Films ist ja immer eine Art Feuerprobe. Wie wird das Publikum drauf reagieren? Das ist doch wahnsinnig interessant.
Und wie hat’s den Kindern gefallen?
Die fanden es toll. Solche Knoppaugen hatten sie.
„Schneeweißchen und Rosenrot“ war Ihr erster klassischer Märchenfilm. Hatten Sie vorm Komponieren ein bisschen Muffensausen?
Warum sollte ich? Es ging um Film, es ging um Fantasie. Und ich habe mir immer die Naivität fürs Komponieren bewahrt. Nein, ich hatte wirklich nie Berührungsängste, was das Genre betrifft.
Wie komponieren Sie Filmmusik?
Das ist von Film zu Film verschieden. Es kommt auch darauf an, in welcher Phase ich dazu gebeten werde. Mit Regisseur Heiner Carow („Die Legende von Paul und Paula“) verband mich eine richtige Freundschaft und berufliche Kontinuität: zehn Jahre, fünf Spielfilme. Er hat mich oft schon geholt, als das Drehbuch noch geschrieben wurde. Das fand ich gut, weil es manchmal Situationen gibt, wo ich sage: Lass doch die Sprechdialoge weg. Das schaffen deine Bilder allein. Ich mach dir die Musik dazu und die Wirkung ist umso größer.
Genau. Regisseur Siegfried Hartmann hatte „Schneeweißchen und Rosenrot“ schon abgedreht. Ich habe den fertigen Film zum ersten Mal nach dem Feinschnitt gesehen. Da wurde dann nichts mehr verändert. So musste ich mich getreu an die Bilder im Film halten. Ich hatte keine Chance zu sagen: Ach, hier könnte man doch … Oder: Drehe doch noch einmal diese Szene nach … Nein, das gab’s nicht. Auf der anderen Seite muss ich sagen: Er hat mich dann einfach machen lassen, was ich wollte. Was auch ein Vorteil ist. Es gibt nicht viele Regisseure , die dem Komponisten so viel Vertrauen entgegenbringen.
Der Märchenfilm spielt im Mittelalter. Haben Sie sich zuvor mit Musik aus dieser Zeit beschäftigt?
Es gibt Filme, für die ich große Aufwendungen betreibe, um mich thematisch vorzubereiten. Das habe ich bei „Schneeweißchen und Rosenrot“ nicht gemacht – weil ich sicher war, dass ich mir die dafür nötige Naivität und Fantasie bewahrt habe. Eine kindliche Naivität, um eine märchenhafte Filmmusik komponieren zu können. Trotzdem wird man heraushören, dass ich durch die Wiener Klassik erzogen worden bin – Haydn, Mozart, Beethoven. Und in der Tat: Die Anfangsmusik in „Schneeweißchen und Rosenrot“ ist von Mozart inspiriert.
In dieser setzen Sie Flöten ein.
Das ist sogar ein ganzes Blockflötenquartett: Tenor-, Alt-, Sopranblockflöte und Sopranino.
Wieso haben Sie sich gerade dafür entschieden?
Blockflötenquartett war für mich – damals – Ausdruck von kindgemäßer, traditioneller Musik. Im Gegensatz zum Streichquartett, das eher philosophischen Charakter trägt. Wie es der Zufall wollte, hat Karl Butthoff – Oboe und Englisch Horn im DEFA-Sinfonieorchester – zu dieser Zeit einen Blockflöten-Kreis geleitet. Mit diesen Musikern wurde dann das Flötenquartett mit Orchester live aufgenommen, es gab ja noch keine Mehrspurtechnik.
Richtig, aber nicht nur die. Ich habe eine vierköpfige Rockband für die Musik zu „Schneeweißchen und Rosenrot“ eingesetzt, darunter E-Gitarre, Bass-Gitarre, Fender-Rhodes Piano – eine Art elektromechanisches Klavier – und Schlagzeug. Ja, der Gitarrensound spielte in diesem Film eine große Rolle. Das hatte ganz private Gründe.
Sie bezeichnen sich selbst als altmodisch, was Filmmusik betrifft. Die Rockband bestätigt das Gegenteil.
Das mag sein. Einerseits war es mir wichtig, der Naivität des Blockflötenquartetts einige elektronische Klänge entgegenzusetzen. Das gab mir der Film vor. Andererseits hatte ich am Beginn meiner Laufbahn, also Mitte der 1960er-Jahre, noch Vorurteile gegenüber elektronischen Instrumenten. Ich empfand diese – damals – als seelenlos, im Gegensatz zu den Naturinstrumenten. Habe aber ganz schnell begriffen, dass das nicht stimmt. (lacht) Und dann später auch in „Schneeweißchen und Rosenrot“ eingesetzt, zum Beispiel für die Welt des Berggeistes.
Was ist Ihnen beim Komponieren einer Filmmusik besonders wichtig?
Ich habe zum Ärger vieler Regisseure, aber auch zur Freude einiger mir wichtiger Regisseure, den Ehrgeiz, einen Film vom Anfang bis zum Ende musikalisch zu betreuen und einen musikalischen Bogen zu spannen. So erkennt man in „Schneeweißchen und Rosenrot“ die Melodie der Titelmusik an verschiedenen Stellen des Märchenfilms wieder, zum Beispiel wenn die Mädchen in einer Szene durch den Wald wandern und ein Lied singen. Es zitiert den Anfang. Es spannt einen Bogen. Das schafft Identität. Das ist mir wichtig.
Ein Kritiker hat einmal gesagt, dass die Partitur von „Schneeweißchen und Rosenrot“ eine Mischung aus romantischer Märchenmusik und James Last ist. Stört Sie das?
Wäre ich nie drauf gekommen. Ich habe James Last nie bewusst gehört, aber ich habe auch keine Probleme damit, wenn jemand so einen Vergleich zieht.
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Märchenhafte Drehorte: Wo Schneeweißchen und Rosenrot zu Hause sind
Peter M. Gotthardt: Musik für Märchenfilme und ein Hörspiel
Schauen Sie heute noch Märchenfilme?
Hin und wieder, wenn ich beim Zappen mit der TV-Fernbedienung hängenbleibe. Einer der neuen Märchenfilme ist mir in Erinnerung geblieben: „Die Prinzessin auf der Erbse“ von Regisseur Bodo Fürneisen. Die Filmmusik hat Rainer Oleak geschrieben. Er hat sich, wie nur wenige, den Weg von der Technik zur Musik schwer erarbeitet und beherrscht nun beides. Und er geht heute anders an diese Aufgabe als ich 1978 mit „Schneeweißchen und Rosenrot“: Er setzt alle Klangmittel ein, mit denen ein Kind heute täglich konfrontiert wird. Wenn Märchen, dann träumt er, wenn Grusel, dann richtig gruselig. Da befindet er sich mit Sergej Prokofjews musikalischem Märchen „Peter und der Wolf“ in bester Gesellschaft. Wenn das kein Kompliment ist …
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Gotthardt.
Peter M. Gotthardt – 50 Jahre Filmmusik (CD 5)
„Musik für Märchenfilme“
Länge: 44:34 Minuten
Titel: u. a. „Schneeweißchen und Rosenrot“ (1979), DEFA-Sinfonieorchester, Leitung: Manfred Rosenberg, 13:31 Minuten
Booklet: 16 Seiten mit Fotos und Bildern aus dem Zyklus „Peter Gotthardt – 50 Jahre Filmmusik“
Label: amicord (VÖ: 01.04.2016)
Headerfoto: Schneeweißchen und Rosenrot (DDR 1979): Julie Jurištová (l.) und Katrin Martin spielen die Titelfiguren. Hans-Peter Minetti übernimmt die Rolle des Berggeists / © MDR
Dieser Beitrag wurde am 4. April 2022 aktualisiert.