Archiv für den Monat: März 2016

Schneeweißchen und Rosenrot / Rotkäppchen / Das gestohlene Gesicht / Trompeten-Anton / © Icestorm/LITERA

Peter M. Gotthardt: Musik für Märchenfilme und ein Hörspiel

Filmmusik und Märchen = Chor der Violinen? Ja, aber nicht nur. Das gilt zumindest für den Komponisten Peter M. Gotthardt. Die Musiklegende des Ostens schaut 2016 auf eigene „50 Jahre Filmmusik“ zurück. Dazu bringt Gotthardt eine Auswahl seiner Kompositionen auf CD heraus u. a. „Musik für Märchenfilme“. Und auch sein einziges Märchenhörspiel „Rotkäppchen“ (LITERA) von 1978 feiert in diesem Jahr ein Comeback bei cbj audio.

Peter M. Gotthardt / © Privat

Peter M. Gotthardt / © Privat

„Ein Lob der Filmmusik, der richtigen. Ein Lob der, die zum Bild stimmt“, meint der Komponist Peter M. Gotthardt und weiß auch, dass Filmgenres mitunter zur musikalischen Typisierung, zum Klischee neigen. Der heute 74-Jährige schreibt in einer Zeitspanne von 50 Jahren für über 500 Filme und Hörspiele die Musik, darunter für DDR-Klassiker wie „Die Legende von Paul und Paula“ (1973). Dabei spielt er souverän die Klaviatur der einzelnen Genres in puncto Film- und Hörspielmusik: vom Krimi über die Dokumentation bis zum Märchen.

Für Gotthardt heißt Krimi aber nicht nur spannungstreibende Musik. Ebenso reduziert er Märchen- oder Liebesfilme nicht nur auf romantische Streicherklänge. Diesen Klischees stellt er sich gern entgegen. Sicher, er nutzt bestimmte musikalische Formen, die sich in den verschiedenen Filmgenres etabliert haben, dennoch überrascht er den Zuschauer und Zuhörer immer wieder aufs Neue. Das zeigen jetzt noch einmal zwei CD-Neuheiten: „Musik für Märchenfilme“ (amicord) und „Grimms Märchen Vol. 3“ (cbj audio).

Schneeweißchen und Rosenrot: Filmmusik aus DEFA-Märchen

© Icestorm

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Mit seinem Album „Musik für Märchenfilme“ versucht Gotthardt, eine Lücke zu schließen: Allzu selten wurde und wird der Soundtrack von deutschen Märchenfilmen auf CD oder als MP3-Download veröffentlicht. Wenige Ausnahmen sind die Compilation „Märchenland. Musik aus den DEFA-Märchenfilmen“ (2003) oder der Soundtrack für die ARD-Märchen „Des Kaisers neue Kleider“ (2010) und „Aschenputtel“ (2011), den die Komponisten Michael Klaukien und Andreas Lonardoni als MP3 anbieten. Enjott Schneider veröffentlicht seine ARD-Filmmusik für „König Drosselbart“, „Der Froschkönig“ (beide 2008) und „Die Gänsemagd“ (2009) hingegen auf CD. Hier klicken, mehr erfahren und reinhören.

Wie auch Gotthardt, der seiner „Musik für Märchenfilme“ ein 16-seitiges Booklet mit Szenenfotos beilegt. Auf dem Album sind acht Kompositionen, die zwischen 1967 und 1996 entstehen und 2015 digitalisiert sowie gemastert werden. Darunter ist auch die Musik zu einem der bekanntesten und mit 3,2 Millionen Kinozuschauern erfolgreichsten DDR-Märchenfilme: „Schneeweißchen und Rosenrot“ (1979). Die über 13-minütige Einspielung des altehrwürdigen DEFA-Sinfonieorchesters von 1978 unter Leitung von Manfred Rosenberg ist eines der CD-Highlights.

Das gestohlene Gesicht: Soundtrack für DDR-Animationsfilm

© Icestorm

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Dass Gotthardt ebenso im Märchen-Animationsfach zu Hause ist, beweist er mit Trailern für die Sandmännchen-Serie „Licht und Schatten“ (1983) und der Fantasy-Geschichte „Smaragdenstadt“ (1996). Bereits 1979 schreibt er die Musik zu „Das gestohlene Gesicht“ (1984). Der DDR-Zeichentrickfilm, frei nach dem Märchen „Die Kristallkugel“, wird 1985 beim Festival „Goldener Spatz“ in Gera ausgezeichnet: sowohl mit dem Hauptpreis der erwachsenen Fachjury als auch mit dem Ehrenpreis der Kinderjury.

Dass daran auch Gotthardts stimmige Filmmusik ihren Anteil hat, steht außer Frage. Gleichzeitig zeigt das Beispiel, dass er Erwachsene und Kinder, Groß und Klein mit seinen Kompositionen begeistern will und kann. Gotthardt sieht sich dabei in der Tradition eines anderen großen Komponisten: Sergej Prokofjew – und zitiert diesen im CD-Booklet von „Musik für Märchenfilme“ mit den klugen Worten, „dass man Musik für Kinder ebenso gewissenhaft komponieren sollte wie für ‚Erwachsene‘ – nur besser.“

Gegenwarts-Märchen: Kinderchor und elektronische Musik

© Icestorm

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Das spürt der Hörer auch bei der Musik für Gegenwarts-Märchen wie „Blumen für den Mann im Mond“ (1975). Es ist ein Film für alle, „die in der Phantasie mehr als bloße Einbildung sehen […] [und] mit Spannung der Mischung aus Märchen und Alltag folgen.“ (König/Wiedemann/Wolf) Gotthardt verbindet diese Grundidee lustig mit einem Kinderchor. Im DDR-Fernsehfilm „Trompeten-Anton“ (1981) bewirkt der Titelheld dagegen unglaubliche Wunder, wenn er mit seinem Instrument den magischen silbernen Ton trifft.

Da öffnen sich wie von Geisterhand Zimmertüren oder ein defekter Fahrstuhl setzt sich wieder in Bewegung. Gotthardt kombiniert die Töne des Blechblasinstruments mit elektronischen Klängen, um das Märchenhafte musikalisch vom Alltag zu unterscheiden. Es ist zugleich eine Zeit, in der er weniger für fantastische Filme komponiert und seine Arbeit größtenteils Produktionen widmet, die sich einerseits Historischem zuwenden, andererseits ausschließlich in der Gegenwart spielen – ohne Ausflüge in das Reich der Fantasie.

Rotkäppchen: Klänge für einziges Märchenhörspiel

Auch deshalb ist sein Album „Musik für Märchenfilme“ vor allem ein Querschnitt aus den 1970er- und frühen 1980er-Jahren, das rückblickend Beachtung verdient. Zu dieser Zeit entsteht ebenso die Musik zu seinem einzigen Märchenhörspiel: „Rotkäppchen“. Es erscheint 1978 bei LITERA, dem ehemaligen DDR-Schallplattenlabel. Erzählt wird das Grimmsche Märchen, das auf Single veröffentlicht wird, von Gunter Schoß („Geschichte Mitteldeutschlands“, MDR). Regie führt damals Barbara Plensat.

© amicord

© amicord


Peter M. Gotthardt – 50 Jahre Filmmusik (CD 5)
„Musik für Märchenfilme“
Länge: 44:34 Minuten
Titel: „Schneeweißchen und Rosenrot“ (1979), „Blumen für den Mann im Mond“ (1975), „Der tapfere Schulschwänzer“ (1967) u. a.
Booklet: 16 Seiten mit Fotos und Bildern aus dem Zyklus „Peter Gotthardt – 50 Jahre Filmmusik“
Label: amicord (VÖ: 01.04.2016)

Im Frühjahr 2016 bringt das Label cbj audio das Hörspiel „Rotkäppchen“ und 29 weitere Märchen von LITERA in drei CD-Boxen unter dem Titel „Grimms Märchen“ neu heraus – genau zu dem Zeitpunkt, an dem Peter M. Gotthardt nach 50 Jahren Filmmusik Bilanz zieht und parallel seine CD „Musik für Märchenfilme“ veröffentlicht. Das könnte auf Zufall beruhen. Vielleicht ist es aber auch eine dieser wunderbaren Fügungen, die uns im Märchenfilm oder Märchenhörspiel ja oft begegnen und manchmal ebenso in der Wirklichkeit.

© cbj audio

© cbj audio


Grimms Märchen Vol. 3
CD 1: Rotkäppchen, Der Wolf und die sieben Geißlein, Die goldene Gans, Tischlein deck dich / CD 2: Die Bremer Stadtmusikanten, Das blaue Licht, Sechse kommen durch die Welt / CD 3: Der Hase und der Igel, Rumpelstilzchen, Der Frieder und das Katherlieschen
Länge: 3 Std. 28 Minuten
Booklet: nein
Label: cbj audio (VÖ: 21.03.2016)

Literatur: König, Ingelore/Wiedemann, Dieter/Wolf, Lothar (Hrsg.): Zwischen Marx und Muck. DEFA-Filme für Kinder. Berlin, 1996, S. 209.

Headerfotos: DVD-Cover „Schneeweißchen und Rosenrot“ (1979) / Single-Cover „Rotkäppchen“ (1978) / DVD-Cover „Zeichentrickspaß hoch 4“ mit „Das gestohlene Gesicht“ (1984) / DVD-Cover „Trompeten-Anton“ (1981) / © Icestorm/LITERA

Der Beitrag wurde am 4. April 2022 aktualisiert.