Wie man Prinzessinnen weckt (ČSSR 1977)

Wie man Prinzessinnen weckt (ČSSR 1977) – oder: Von einem Prinzen, der auszog, sich selbst zu finden

Der tschechoslowakische Märchenfilm „Wie man Prinzessinnen weckt“ (auch: „Wie man Dornröschen wachküsst“ oder „Prinzessin Dornröschen“) erzählt augenzwinkernd die Geschichte eines Königssohnes, der nicht so ganz in das Klischee passt.

Gehört „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ (ČSSR/DDR 1973) zu den Märchenfilmen mit einem modernen Frauenbild, so liefert „Wie man Prinzessinnen weckt“ (ČSSR 1977) das filmische Pendant für ein emanzipiertes Männerbild. Nicht ohne Grund: Beide Adaptionen entstehen in der Regie von Václav Vorlíček (1930–2019). Der Filmemacher hält wenig von langweiligen Märchenstrickmustern, in denen aktive Prinzen passive Prinzessinnen erobern und auf ihre Schimmel heben.

Freude: Das Königspaar (Milena Dvorská, Jirí Sovák) mit der kleinen Rosa/Rosentraut / © Barrandov-Filmstudio

Freude: Das Königspaar (Milena Dvorská, Jirí Sovák) mit der kleinen Rosa/Rosentraut / © Barrandov-Filmstudio

Bei Vorlíček verhält sich schon das Aschenbrödel (Libuše Šafránková, 1953–2021) „nicht geduckt, ängstlich und schicksalsergeben, vielmehr behauptet es selbstbewußt und aktiv seine Persönlichkeit“ (Giera 1990, S. 298). So schlüpft es beispielsweise in die Rolle eines Jägers und weiß besser mit Pfeil und Bogen umzugehen, als seine vermeintlichen Geschlechtsgenossen.

„Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ stellt auch männliche Stereotype und patriarchale Strukturen auf den Kopf: Der Prinz (Pavel Trávniček, *1950) emanzipiert sich von seinem Vater, als er ihm im Beisein seiner Räte provokant widerspricht und nicht nur einmal vor der höfischen Etikette flüchtet.

Zwei Prinzen stehen für unterschiedliche Männerbilder

„Wie man Prinzessinnen weckt“ beschreitet diesen Weg noch konsequenter, obwohl die literarische Vorlage „Dornröschen“ dem Königssohn, der die schlafende Schöne aus dem Schlaf erweckt, nur eine blasse Nebenrolle als Retter zubilligt. Die tschechoslowakische Filmversion des bekannten Märchens stellt dem Prinzen nicht nur einen Bruder an die Seite, Dornröschen – die auf den Namen Rosa/Rosentraut hört – lernt beide bereits am Beginn des Märchens kennen.

Brautwerbung: Prinzessin Rosa (Marie Horáková, M.) und ihre Eltern sind gespannt / © Barrandov-Filmstudio

Brautwerbung: Prinzessin Rosa (Marie Horáková, M.) und ihre Eltern sind gespannt / © Barrandov-Filmstudio


Denn: Ein Fluch liegt über dem Königreich der Rosen. An ihrem 17. Geburtstag soll sich Rosa (Marie Horáková, *1959) an einem Dorn stechen und mit dem Königreich in einen ewigen Schlaf fallen. Die Schwester der Königin, die machthungrige Melanie (Libuše Švormová, *1935), die selbst den Thron an sich reißen will, hat ihn ausgesprochen.

Deshalb beschließen die Eltern der Prinzessin – König Rautenstrauch (Jiří Sovák, 1920–2000) und Königin Hortensia (Milena Dvorská, 1938–2009) – sie vor Ablauf ihres 17. Lebensjahres zu verheiraten, sodass Rosa zusammen mit dem Bräutigam ihre gefährliche Heimat verlassen kann.

Der passende Freier ist auch schon in Prinz Georg/Sigismund (Jan Kraus, *1953) gefunden. Der Thronfolger des Reichs der Mitternachtssonne ist allerdings ein eitler Gockel. Zusammen mit seinen Eltern – König Vendelín (Oldřich Velen) und Königin Anna (Stella Zázvorková, 1922–2005) – sowie dem jüngeren Bruder Prinz Jaroslav/Freudenreich (Jan Hrušinský, *1955) – einem schüchternen Musikus – macht er sich auf den Weg ins Königreich der Rosen.

Klassischer Märchenprinz hat ausgedient

Gewiss, Vorlíček bedient in Prinz Georg von Beginn an tradierte Klischees über Märchenprinzen – aber nur, um sie gleichzeitig ironisch zu brechen. „Prinz Georg, ein Mann, der es mit jedem aufnimmt!“ so stellt er sich selbst der Prinzessin vor und verkörpert genau die Eigenschaften, die (bisher) von einem Prinzen erwartet werden: „Er ist neugierig, aktiv, furchtlos, willensstark, durchhaltefähig und wählt immer richtig“ (Wehse 2002, Sp. 1311).

Antipathie: Rosa (Marie Horáková) will nichts von Prinz Georg/Sigismund (Jan Kraus) wissen / © Barrandov-Filmstudio

Antipathie: Rosa (Marie Horáková) will nichts von Prinz Georg/Sigismund (Jan Kraus) wissen / © Barrandov-Filmstudio


Die Märchenfilm-Prinzen der 1970er-Jahre haben es aber schwerer als ihre Kollegen aus den 1950er- oder 1960er-Jahren. Denn nicht nur in der Gegenwart auch im Märchenland geraten klassische Männerbilder ins Wanken.

Zwar kämpft Prinz Georg mutig mit furchterregenden Bären. Doch dass sich unter dem Bärenfell ein Diener befindet und für die staunenswerten Siege des kampflustigen Königssohnes sorgt, wissen alle Beteiligten (auch das Publikum) – bloß Prinz Georg nicht.

Tapferkeit, Stärke, Mut – die Wesenszüge eines klassischen Märchenprinzen werden hier karikiert und ins Lächerliche gezogen. Vorlíček hat sichtlich Spaß daran, dem Bild des Märchenprinzen ein paar Kratzer zu verpassen und es nicht als Identifikationsfigur anzubieten. Vielmehr wird das Augenmerk auf die Entwicklung des anfangs schüchternen Jaroslav gelenkt – als positiv besetzten Anti-Prinzen.

Rosa und Jaroslav harmonieren miteinander

Zwar ist Rosa dem Prinzen Georg versprochen, doch harmoniert sie von der ersten Szene an nur mit Jaroslav: Das kommt bereits in den Kostümfarben zum Ausdruck. Weiß und Silber dominieren die Kleidung der beiden. Im Gegensatz dazu trägt Prinz Georg dunkle Farbtöne. Zudem finden Rosa und Jaroslav – wenn vorerst nicht auf dem konventionellen Weg – musikalisch zueinander, indem beide ein Instrument spielen (Laute, Flöte) und sich in einem abendlichen Konzert von Fenster zu Fenster stimmig ergänzen (Musik: Karel Svoboda).

Svoboda (1938–2007), der schon für „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ und später für den Animationsfilm „Das Märchen von Hans und Marie“ (ČSSR 1980) sowie „Der Salzprinz“ (BRD/ČSSR 1983) die Filmmusik komponiert, produziert auch für „Wie man Prinzessinnen weckt“ wieder routiniert eingängige Melodien.

Ganz in Weiß: Prinz Jaroslav/Freudenreich (Jan Hrušinský) und Rosa (Marie Horáková) / © Barrandov-Filmstudio

Ganz in Weiß: Prinz Jaroslav/Freudenreich (Jan Hrušinský) und Rosa (Marie Horáková) / © Barrandov-Filmstudio


Mitunter wurde das von Musikwissenschaftlern, wie Wolfgang Thiel, aber kritisiert. So sei es bei Svoboda „nicht zu übersehen, daß manche seiner Filmkompositionen in dramaturgischer Hinsicht beliebig austauschbare modische Tanzmusik sind“ (Thiel 1990, S. 406).

Musikalisches Leitmotiv im Märchenfilm

Dass sie dennoch beim Publikum ‚funktionieren’, zeigt sich auch daran, dass das tschechische Plattenlabel Supraphon im Jahr 2010 – also über 30 Jahre nach dem Filmstart – die CD „Film- und Märchenmelodien: Karel Svoboda“ veröffentlicht. Darauf sind fünf kurze Auszüge aus „Wie man Prinzessinnen weckt“ zu hören, gespielt wie im Original vom Filmsinfonieorchester unter der Leitung von Štĕpán Koníček.

Darin ist das sogenannte musikalische Leitmotiv des Märchens – eben eine eingängige Melodie – erkennbar, das variiert wird und sich als wiederkehrendes Stilmittel durch die Filmhandlung zieht. Auch in dem Moment als sich Rosa, wie im Fluch prophezeit, an einer dornigen Rose sticht und in einen tiefen Schlaf fällt.

Anders als zuvor ergreift der vormals passive Jaroslav jetzt die Initiative. Mit seinem Diener Mathias/Matej (Vladimír Menšík, 1929–1988) will er Rosa aus ihrem Schlaf befreien. Was er nicht weiß: Dafür muss er drei Proben bestehen. Doch es sind keine „unlösbar erscheinende[n], oft nur durch Zaubermittel und Helfer zu bewältigend[e] Aufgaben“ (Wehse 2002, Sp. 1313), sondern eher unspektakuläre und reale Prüfungen, die ihm helfen, seine Selbstzweifel zu besiegen.

„Nur tapfer sein, ist nicht genug!“

Einmal überwindet er seine Höhenangst, als er sich trotz Herzklopfen aus einem Turmfenster mehrere Meter in die Tiefe abseilt. Eine andere Herausforderung ist ein Fluss, den der Prinz und sein Diener überqueren wollen. Doch: Jaroslav kann nicht schwimmen. So übt er erst einmal auf dem Trockenen. Am Ende erreicht er sicher das andere Flussufer – schwimmend. Wie schon bei der ersten Prüfung wird der Prinz dabei nicht etwa vorgeführt, vielmehr inszeniert Vorlíček schmunzelnd und mit einem Augenzwinkern Jaroslavs kleine und große Siege über sich selbst.

Trickster: Diener Mathias/Matej (Vladimír Menšík) spielt die Rolle des komischen Begleiters / © Barrandov-Filmstudio

Trickster: Diener Mathias/Matej (Vladimír Menšík) spielt die Rolle des komischen Begleiters / © Barrandov-Filmstudio


Als er und sein Diener das Schloss erreichen und durch einen unterirdischen Gang ins Innere gelangen wollen, dringt Wasser in den Schacht – der Weg zu Rosa scheint versperrt. „Nur tapfer sein, ist nicht genug!“, sagt sich Jaroslav und hebt einen Graben aus, sodass das Wasser abfließen kann. Damit hat er durch Klugheit auch die dritte Aufgabe erfüllt – und dabei weder Feuer speiende Drachen besiegen noch Zweikämpfe mit Rittern austragen müssen, um im Klischee des klassischen Märchenprinzen zu bleiben.

Als Jaroslav am Ende Rosa mit einem Kuss zum Leben erweckt, hat er damit nicht nur die Prinzessin und das Königreich der Rosen erlöst, sondern ist (ganz nebenbei) erwachsen geworden – ein Prinz, der zu sich selbst gefunden hat.

Zwei unterschiedliche Synchronfassungen

Dass das sowohl für die BRD-Synchronfassung (Bavaria Atelier GmbH) als auch die DDR-Synchronfassung (DEFA-Studio für Synchronisation) gilt, stellt niemand in Frage. Allerdings fehlt eine genaue Vergleichsanalyse der beiden Versionen, wie beispielsweise für das Pop-Märchen „Cinderella ’80/’87“ (I/F 1983): Hier zeigt sich, dass sich die westdeutsche Dialogfassung von der ostdeutschen nicht nur in der Länge sondern auch in der Figurenzeichnung unterscheidet.

Ein Grund ist, dass es sich bei dem „Cinderella“-Originalfilm um eine westeuropäische Produktion handelt, die von damaligen osteuropäischen Ländern, wie der DDR, aus ideologischen Gründen nicht eins zu eins synchronisiert wurde. Für „Wie man Prinzessinnen weckt“ ist die Ausgangslage eine andere: Hier handelt es sich um einen osteuropäischen Originalfilm, der wiederum sowohl aus west- als auch ostdeutscher Perspektive übersetzt wurde.

„Wie man Dornröschen wachküßt“: Kommerzieller Titel?

Dabei zeigen sich deutsch-deutsche Unterschiede bereits im übersetzten Originaltitel: „Jak se budí princezny“. Annähernd korrekt in unsere Sprache übertragen, heißt dieser: „Wie man Prinzessinnen weckt“. Als der Märchenfilm am 14. März 1980 in der DDR startet, wird er genauso in den Filmcredits und auf Kinoplakaten beworben (vgl. DEFA-Stiftung).

Als das tschechoslowakische Märchen in der BRD sowohl im Fernsehen in zwei Teilen (ARD; 8. Januar 1980, 17 Uhr; 9. Januar 1980, 16.30 Uhr) als auch am 13. September 1980 im Kino anläuft, trägt es allerdings den Titel „Wie man Dornröschen wachküßt“ beziehungsweise „Prinzessin Dornröschen“.

Verlobungsfeier: Doch Prinzessin Rosa (Marie Horáková, M.) liebt Prinz Georg nicht / © Barrandov-Filmstudio

Verlobungsfeier: Doch Prinzessin Rosa (Marie Horáková, M.) liebt Prinz Georg nicht / © Barrandov-Filmstudio


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Offenbar haben hier Fernsehquoten bezogene und kommerzielle Gründe eine Rolle gespielt, denn der Name „Dornröschen“ im Filmtitel mochte mehr Menschen vor den Bildschirm oder vor die Kinoleinwand locken – so die Annahme. Schließlich gehört das Märchen von der schlafenden Schönen zu den bekanntesten und beliebtesten in Deutschland. Zudem kam am 5. September 1954 eine noch Anfang der 1980er-Jahre populäre finnische Version in die westdeutschen Kinos: „Prinzessin Dornröschen“ (FIN 1951).

Letztlich vergeben Ost und West den Figuren in „Wie man Prinzessinnen weckt“ auch andere Namen: Rosentraut statt Rosa, Sigismund statt Georg usw. Die Frage, ob sich der erwachsen gewordene Freudenreich beziehungsweise Jaroslav in den beiden Dialog-Synchronfassungen unterschiedlich emanzipiert, muss derzeit noch unbeantwortet bleiben. Es wäre aber eine tiefergehende Analyse wert.

Film: „Wie man Prinzessinnen weckt“ (auch: „Wie man Dornröschen wachküsst“ oder „Prinzessin Dornröschen“, ČSSR, 1977, R: Václav Vorlíček). Ist auf DVD erschienen.

Drehorte: u. a.

  • Schloss Konopiště, 256 01 Benešov, Tschechien
  • Telč, Tschechien

Verwendete Quellen:

  • DEFA-Stiftung: Wie man Prinzessinnen weckt (abgerufen: 31.1.2019)
  • Giera, Joachim (1990): Drei Haselnüsse für Aschenbrödel. In: Berger, Eberhard/Giera, Joachim (Hrsg.): 77 Märchenfilme. Ein Filmführer für jung und alt. Berlin, S. 295–298.
  • Prinzessin Dornröschen (FIN 1951). In: Filmdienst. Das Portal für Kino und Filmkultur (abgerufen: 31.1.2019)
  • Prinzessin Dornröschen (ČSSR 1977). In: Filmdienst. Das Portal für Kino und Filmkultur (abgerufen: 31.1.2019)
  • Thiel, Wolfgang (1990): Svoboda, Karel. In: Berger, Eberhard/Giera, Joachim (Hrsg.): 77 Märchenfilme. Ein Filmführer für jung und alt. Berlin, S. 406.
  • Wehse, Rainer (2002): Prinz, Prinzessin. In: Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung. Hrsg. von Rolf Wilhelm Brednich [u. a.]. Bd. 10. Berlin [u. a.], Sp. 1311–1319.


Headerfoto: Prinz Jaroslav (Jan Hrušinský, M.) gesteht Prinzessin Rosa (Marie Horáková) noch nicht seine Liebe / Quelle: Barrandov-Filmstudio

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