Der tschechoslowakische Märchenfilm „Wie man Prinzessinnen weckt“ (1977) erzählt augenzwinkernd die Geschichte eines Königssohnes, der nicht so ganz in das Klischee passt.
Gehört „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ (ČSSR 1974) zu den Märchenfilmen mit einem modernen Frauenbild, so liefert „Wie man Prinzessinnen weckt“ (ČSSR 1977) das filmische Pendant für ein emanzipiertes Männerbild. Nicht ohne Grund: Beide Adaptionen entstehen in der Regie von Václav Vorlíček. Der Filmemacher hält wenig von langweiligen Märchenstrickmustern, in denen aktive Prinzen eher passive Prinzessinnen erobern und auf ihre Schimmel heben.

Freude: Das Königspaar (Milena Dvorská, Jirí Sovák) mit der kleinen Prinzessin Rosa / © Barrandov-Filmstudio
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Die Entdeckung der männlichen Körperlichkeit im Märchen
Bei Vorlíček verhält sich schon das Aschenbrödel (Libuše Šafránková) „nicht geduckt, ängstlich und schicksalsergeben, vielmehr behauptet es selbstbewußt und aktiv seine Persönlichkeit“ (Giera 1990, S. 298). So schlüpft es beispielsweise in die Rolle eines Jägers und weiß besser mit Pfeil und Bogen umzugehen, als ihre vermeintlichen Geschlechtsgenossen. „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ stellt auch männliche Stereotype und patriarchale Strukturen auf den Kopf: Der Prinz (Pavel Trávniček) emanzipiert sich von seinem Vater, als er ihm im Beisein seiner Räte provokant widerspricht und nicht nur einmal vor der höfischen Etikette flüchtet.
Zwei Prinzen stehen für unterschiedliche Männerbilder
„Wie man Prinzessinnen weckt“ beschreitet diesen Weg noch konsequenter, obwohl die literarische Vorlage „Dornröschen“ dem Königssohn, der die schlafende Schöne aus dem Schlaf erweckt, nur eine blasse Nebenrolle als Retter zubilligt. Die tschechoslowakische Filmversion des bekannten Märchens stellt dem Prinzen nicht nur einen Bruder an die Seite, Dornröschen – die im Film auf den Namen Rosa hört – lernt beide bereits am Beginn des Märchens kennen.

Brautwerbung: Prinzessin Rosa (Marie Horáková, M.) und ihre Eltern sind gespannt / © Barrandov-Filmstudio
Denn: Ein Fluch liegt über dem Königreich der Rosen. An ihrem 17. Geburtstag soll sich Rosa (Marie Horáková) an einem Dorn stechen und mit dem Königreich in einen ewigen Schlaf fallen.
Deshalb beschließen die Eltern der Prinzessin, sie vor Ablauf ihres 17. Lebensjahres zu verheiraten, sodass Rosa zusammen mit dem Bräutigam ihre gefährliche Heimat verlassen kann. Der passende Freier ist auch schon in Prinz Georg (Jan Kraus) – einem eitlen Gockel – gefunden. Zusammen mit seinen Eltern und dem jüngeren Bruder Prinz Jaroslav (Jan Hrušinský) – einem schüchternen Musikus – macht er sich auf den Weg ins Königreich der Rosen.
Klassischer Märchenprinz hat ausgedient
Gewiss, Vorlíček bedient in Prinz Georg von Beginn an tradierte Klischees über Märchenprinzen – aber nur, um sie gleichzeitig ironisch zu brechen. „Prinz Georg, ein Mann, der es mit jedem aufnimmt!“ so stellt er sich selbst der Prinzessin vor und verkörpert genau die Eigenschaften, die (bisher) von einem Prinzen erwartet werden: „Er ist neugierig, aktiv, furchtlos, willensstark, durchhaltefähig und wählt immer richtig“ (Wehse 2002, Sp. 1311).

Antipathie: Prinzessin Rosa (Marie Horáková) will nichts von Prinz Georg (Jan Kraus) wissen / © Barrandov-Filmstudio
Die Märchenfilm-Prinzen der 1970er-Jahre haben es aber schwerer als ihre Kollegen aus den 1950er- oder 1960er-Jahren. Denn nicht nur in der Gegenwart auch im Märchenland geraten klassische Männerbilder ins Wanken.
Zwar kämpft Prinz Georg mutig mit furchterregenden Bären. Doch dass sich unter dem Bärenfell ein Diener befindet und für die staunenswerten Siege des kampflustigen Prinzen sorgt, wissen alle Beteiligten (auch der Zuschauer) – bloß Prinz Georg nicht. Tapferkeit, Stärke, Mut – die Wesenszüge eines klassischen Märchenprinzen werden hier karikiert und ins Lächerliche gezogen. Vorlíček hat sichtlich Spaß daran, dem Bild des Märchenprinzen ein paar Kratzer zu verpassen und es nicht als Identifikationsfigur anzubieten. Vielmehr wird das Augenmerk auf die Entwicklung des anfangs schüchternen Jaroslav gelenkt – als positiv besetzten Anti-Prinzen.
Rosa und Jaroslav harmonieren miteinander
Zwar ist Rosa dem Prinzen Georg versprochen, doch harmoniert sie von der ersten Szene an nur mit Jaroslav: Das kommt bereits in den Kostümfarben zum Ausdruck. Weiß und Silber dominieren die Kleidung der beiden. Im Gegensatz dazu trägt Prinz Georg dunkle Farbtöne. Zudem finden Rosa und Jaroslav – wenn vorerst nicht auf dem konventionellen Weg – musikalisch zueinander, indem beide ein Instrument spielen (Laute, Flöte) und sich in einem abendlichen Konzert von Fenster zu Fenster stimmig ergänzen (Musik: Karel Svoboda).

Ganz in Weiß: Prinz Jaroslav (Jan Hrušinský) und Prinzessin Rosa (Marie Horáková) / © Barrandov-Filmstudio
Erst als sich Rosa wirklich an einer dornigen Rose sticht und in einen tiefen Schlaf fällt, ergreift der vormals passive Jaroslav die Initiative. Mit seinem Diener Mathias (Vladimír Menšík) will er Rosa aus ihrem Schlaf befreien. Was er nicht weiß: Dafür muss er drei Proben bestehen. Doch es sind keine „unlösbar erscheinende[n], oft nur durch Zaubermittel und Helfer zu bewältigend[e] Aufgaben“ (Wehse 2002, Sp. 1313), sondern eher unspektakuläre und reale Prüfungen, die ihm vor allem helfen, seine Selbstzweifel zu besiegen.
„Nur tapfer sein, ist nicht genug!“
Einmal überwindet er seine Höhenangst, als er sich trotz Herzklopfen aus einem Turmfenster mehrere Meter in die Tiefe abseilt. Eine andere Herausforderung ist ein Fluss, den der Prinz und sein Diener überqueren wollen. Doch: Jaroslav kann nicht schwimmen. So übt er erst einmal auf dem Trockenen. Am Ende erreicht er sicher das andere Flussufer – schwimmend. Wie schon bei der ersten Prüfung wird der Prinz dabei nicht etwa vorgeführt, vielmehr inszeniert Vorlíček schmunzelnd und mit einem Augenzwinkern Jaroslavs kleine und große Siege über sich selbst.

Trickster: Diener Mathias (Vladimír Menšík) spielt die Rolle des komischen Begleiters / © Barrandov-Filmstudio
Als er und sein Diener das Schloss erreichen und durch einen unterirdischen Gang ins Innere gelangen wollen, dringt Wasser in den Schacht – der Weg zu Rosa scheint versperrt. „Nur tapfer sein, ist nicht genug!“, sagt sich Jaroslav und hebt einen Graben aus, sodass das Wasser abfließen kann. Damit hat er durch Klugheit auch die dritte Aufgabe erfüllt – und dabei weder Feuer speiende Drachen besiegen noch Zweikämpfe mit Rittern austragen müssen, um im Klischee des klassischen Märchenprinzen zu bleiben.
Als Jaroslav Rosa mit einem Kuss zum Leben erweckt, hat er damit nicht nur die Prinzessin und das Königreich der Rosen erlöst, sondern ist (ganz nebenbei) erwachsen geworden – ein Prinz, der zu sich selbst gefunden hat.
Film: „Wie man Prinzessinnen weckt“ (auch: „Wie man Dornröschen wachküsst“, ČSSR, 1977, R: Václav Vorlíček). Ist auf DVD erschienen.
Drehorte: u. a.
- Schloss Konopiště, 256 01 Benešov, Tschechien
- Telč, Tschechien
Verwendete Quellen:
- Giera, Joachim (1990): Drei Haselnüsse für Aschenbrödel. In: Berger, Eberhard/Giera, Joachim (Hrsg.): 77 Märchenfilme. Ein Fimführer für jung und alt. Berlin, S. 295–298.
- Wehse, Rainer (2002): Prinz, Prinzessin. In: Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung. Hrsg. von Rolf Wilhelm Brednich [u. a.]. Bd. 10. Berlin [u. a.], Sp. 1311–1319.
Headerfoto: Prinz Jaroslav (Jan Hrušinský, M.) gesteht Prinzessin Rosa (Marie Horáková) noch nicht seine Liebe / Quelle: Barrandov-Filmstudio