US-Comic im „Dritten Reich“: Schneewittchen und die sieben Zwerge (1938–1939)

US-Comic im „Dritten Reich“: Schneewittchen und die sieben Zwerge (1938–1939)

Disneys Zeichentrickfilm von 1937 wird in Nazi-Deutschland nicht gezeigt, aber eine österreichische Kinderzeitung druckt die gleichnamige US-Comic-Serie trotzdem ab. Darüber freuen sich damals auch deutsche Leser.

Sogar der „Film-Kurier“ ist voll des Lobes über Walt Disneys „Snow White and the Seven Dwarfs“. Die wichtigste Filmzeitschrift der gleichgeschalteten NS-Fachpresse spricht am 27. Dezember 1937 von einem „glänzende[n] Ergebnis“ und prophezeit dem farbigen Zeichentrickfilm ein „Weltgeschäft“.

Snow White and the Seven Dwarfs: Bis heute der Zeichentrick-Klassiker par excellence / © Disney. All rights reserved.

Snow White and the Seven Dwarfs: Bis heute der Zeichentrick-Klassiker par excellence / © Disney. All rights reserved.


In mehr als dreijähriger Produktionszeit war der bis dahin erste farbige Animationsfilm in Spielfilmlänge entstanden – und hatte das US-amerikanische Premierenpublikum am 21. Dezember 1937 in Hollywood hellauf begeistert. Auch deutsche Filmkonzerne, wie die Universum Film AG (Ufa) und die Münchener Bavaria Filmkunst GmbH, wittern ein gutes Geschäft und wollen den Film unbedingt in den deutschen Verleih bringen.

Eine Kopie für den „Führer“

Zwar beginnen im Frühsommer 1938 Verhandlungen mit der US-amerikanischen Radio-Keith-Orpheum (RKO) Pictures Inc., die den Verleih von „Snow White and the Seven Dwarfs“ übernimmt. Doch ein Übernahmevertrag kommt vor allem aus politischen Gründen nicht zustande.

Trotzdem wird 1938 eine Kopie des Films auf ausdrücklichen Wunsch des „Führers“ gekauft – denn Hitler schwärmt für Disneys Trickfilme. „Ich schenke dem Führer […] 12 Micky-Maus-Filme […] zu Weihnachten! Er freut sich sehr darüber. Ist ganz glücklich über diesen Schatz!“, schreibt etwa Propagandaminister Joseph Goebbels im Dezember 1937 in sein Tagebuch.

„Papagei“, „Schmetterling“ und „Kiebitz“

Der Papagei – die Kinder-Zeitung / Quelle: Peter Lukasch

Der Papagei – die Kinder-Zeitung / Quelle: Peter Lukasch

So wird „Snow White and the Seven Dwarfs“ erst einmal nicht auf deutschen Kinoleinwänden gezeigt. Doch ein kleiner Schweizer Verlag mit Sitz in Wien sorgt dafür, dass wenigstens Walt Disneys gleichnamige Comic-Serie – auf die der Zeichentrickfilm größtenteils beruht – den Weg in deutsche Kinderzimmer findet.

Der Herausgeber, Verleger und Eigentümer Hans Steinsberg hatte sich in den 1930er-Jahren auf Kinderzeitungen spezialisiert. Diese erscheinen zweimal im Monat im Schweizer Service-Zeitungsverlag (auch: Hellmuth Mielke & Co.) und drucken gezeichnete Bildergeschichten in Farbe ab. Titel wie „Papagei“, „Schmetterling“ und „Kiebitz“ erreichen Auflagen von bis zu 200.000 Exemplaren.

US-Comics fürs deutsche Kinderpublikum

Schmetterling – die bunte Kinderzeitung / Quelle: Peter Lukasch

Schmetterling – die bunte Kinderzeitung / Quelle: Peter Lukasch

Die Bildergeschichten werden oftmals von in Wien ansässigen Zeichnern und Textern produziert. In den späten 1930er-Jahren lässt Steinsberg zusätzlich US-amerikanische Comic-Serien in seinen Kinderzeitungen abdrucken – wohl auch um den Abgang etlicher Stammzeichner nach dem „Anschluss“ Österreichs an das „Deutsche Reich“ am 12. März 1938 auszugleichen.

Die Serien werden allerdings so ausgesucht, dass sie zu den im „Papagei“, „Schmetterling“ und „Kiebitz“ abgedruckten bisherigen Bildergeschichten passen. Zudem werden die US-Comics anders montiert und mit gereimten Textblöcken ergänzt, um den Vertrieb im deutschsprachigen Raum weiterhin zu garantieren.

„Schneewittchen“ im „Kiebitz“

Kiebitz – die bunte Kinderzeitung / Quelle: Peter Lukasch

Kiebitz – die bunte Kinderzeitung / Quelle: Peter Lukasch

Zu den US-Comics, die Steinsberg für seine Kinderzeitungen verwenden möchte, zählt Anfang 1938 auch eine Serie mit dem Titel „Snow White and the Seven Dwarfs“. Diese wurde als Original-Strip von den US-Comic-Autoren Merrill de Maris und Hank Porter konzipiert, die auch am Drehbuch zum gleichnamigen Zeichentrickfilm beteiligt waren.

Die Comic-Serie erscheint in US-amerikanischen Sonntags-Zeitungen in der Zeit vom 12. Dezember 1937 bis zum 24. April 1938 erstmals. Steinsberg gefällt die Bildergeschichte so gut, dass er diese – fast zeitgleich mit den US-Zeitungen – 1938 in der Februar-Ausgabe des „Kiebitz“ startet.

„Mit list’gem Lächeln bietet dann, die Alte ihr den Apfel an“

Die Bildergeschichte „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ erscheint in jetzt insgesamt 22 doppelseitigen Folgen bis zur Januar-Ausgabe 1939. Zuvor sind die Sprechblasen des Original-Strips ins Deutsche übersetzt und ein gereimter Textblock unter jedes Bild gedruckt worden – die in der US-Version freilich fehlten.

Schneewittchen und die sieben Zwerge: Diese Bilder erscheinen im Kiebitz-Heft Nr. 21/1938 / Quelle: Peter Lukasch

Schneewittchen und die sieben Zwerge: Diese Bilder erscheinen im Kiebitz-Heft Nr. 21/1938 / Quelle: Peter Lukasch


So steht in der Schlüsselszene des Grimm’schen Märchens, in der Schneewittchen der vergiftete Apfel angeboten wird: „Mit list’gem Lächeln bietet dann / Die Alte ihr den Apfel an – / und als Schneewittchen ihn so sieht / Bekommt sie darauf Appetit!“ (Bild-Nr. 11, Ausgabe: 1/1939).

Blonder Prinz wird von Königin eingesperrt

Anders als den US-Amerikanern, die neben der Comic-Serie auch den Zeichentrickfilm kennen, kann dem österreichischen und vor allem deutschen Lesepublikum nicht auffallen, dass die Bildergeschichte keineswegs immer der Filmhandlung entspricht.

Schneewittchen und die sieben Zwerge: Diese Bilder erscheinen im Kiebitz-Heft Nr. 1/1939 / Quelle: Peter Lukasch

Schneewittchen und die sieben Zwerge: Diese Bilder erscheinen im Kiebitz-Heft Nr. 1/1939 / Quelle: Peter Lukasch


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So wird in der Comic-Serie der blonde Prinz – im Disney-Film ist er dunkelhaarig – von der bösen Königin in einen Kerker gesperrt, in dem sie zur Abschreckung auch Skelette zum Tanzen bringt. Der Prinz kann sich allerdings aus den Gefängnismauern befreien. Auch eine Traumsequenz, in der Schneewittchen mit dem Prinzen im Sternenhimmel tanzt, wird nur in der Bildergeschichte, aber nicht im Zeichentrickfilm verwendet.

Verspätete deutsche Uraufführung

Verleger Hans Steinsberg muss Mitte 1941 seine drei Kinderzeitungen – darunter auch der „Kiebitz“ – aus kriegswirtschaftlichen Gründen einstellen. Die im Presse-Verlag Saarbrücker Zeitung GmbH seit 1947 erschienene „Kinderpost“ veröffentlicht 1950 noch einmal die Bildergeschichte „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ – nunmehr bereits ohne gereimten Begleittext.

Am 24. Oktober 1950 findet auch die verspätete (west-)deutsche Uraufführung des Zeichentrickfilms von 1937 statt – mit einer österreichischen Synchronisation aus dem Jahre 1938.

Verwendete Quellen:


Headerfoto: Bildergeschichte „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ in „Kiebitz“ (Heft 21/1938, Heft 1/1939) / Quelle: Peter Lukasch

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