Die Neuverfilmung frei nach Wilhelm Hauffs Erzählung ist eine klare Absage an kitschige Schwarzwald-Folklore. Vielmehr erkennt Regisseur Johannes Naber die Zeichen der Zeit und setzt diese ästhetisch wie erzählerisch im „Kalten Herz“ um – flankiert von einer ideenreichen Filmmusik: sphärische Gesänge und ein unheimliches Pfeifen im Walde.
Obwohl ARD und ZDF seit Mitte der 2000er-Jahre Märchen fürs TV-Programm neu verfilmen – bislang sind es über 50 –, starten praktisch keine deutschen Märchenfilme regulär im Kino. Eine Ausnahme ist vielleicht das ambitionierte „Märchen von der Prinzessin, die unbedingt in einem Märchen vorkommen wollte“ (2013, R: Steffen Zacke, D/IT): Kein Film nach einer klassischen Märchenvorlage, sondern die Adaption eines Kinderbuchs von Susanne Straßer. Auch die Sagen-Verfilmung „Krabat“ (2008, R: Marco Kreuzpaintner, D) ist kein Märchenfilm, wenngleich die Geschichte vom Zauberer und Schüler ein populärer Märchen-Erzähltyp ist.
Letzterer ist mit 1,5 Millionen Zuschauern sogar im Kino erfolgreich – aber das ist lang her. Seitdem hat Hollywood das Kino-Märchen neu entdeckt und verfilmt im Akkord die bekannten Geschichten von Rotkäppchen, Schneewittchen & Co. mit neuen Ideen und viel Geld. Umso überraschender ist, dass deutsche Filmemacher einen neuen klassischen Märchenfilm an den Kinokassen starten: „Das kalte Herz“. Die Geschichte vom schwäbischen Romantik-Dichter Wilhelm Hauff über einen armen Köhler, der sein Herz gegen eines aus Stein tauscht, zählt zu den Kunstmärchen, die schon seit den Stummfilmtagen adaptiert werden.
Keine kitschige Schwarzwald-Folklore
Das Besondere an der Erzählung ist, dass sie vor allem an einem bestimmten Ort spielt: im Schwarzwald. Zudem lässt Hauff seine Märchen immer auch „zur irdischen Abenteuergeschichte übergehen. Sie vermischen das Märchenhafte mit Faktischem aus der zeitgenössischen Welt […]“. (Martini) Vielleicht ist dieser fantastische Realismusbezug ein Grund, weshalb Regisseur und Mit-Drehbuchschreiber Johannes Naber sich entschließt, dieses „Kalte Herz“ ein weiteres Mal zu adaptieren. Dass er selbst am Westrand des nördlichen Schwarzwaldes, in Baden-Baden, geboren ist, konnte da nur von Vorteil sein.
Das heißt nicht, dass der 45-Jährige in kitschige Schwarzwald-Folklore abdriftet. Das Gegenteil ist der Fall. Schon in den ersten Filmminuten gibt er die Richtung vor, wenn das Glasmännlein (Milan Peschel) – einer der guten Waldgeister – nicht wie bei Hauff in „einem spitzen Hütlein mit großem Rand, mit Wams und Pluderhöschen und roten Strümpfchen“ auftaucht, sondern mit seiner Körperbemalung eher dem Ureinwohner eines anderen Kontinents ähnelt. Weil das Märchen vom „Kalten Herz“ aber im Schwarzwald des 18. oder 19. Jahrhunderts spielt, wirkt das Glasmännlein doppelt anachronistisch.
Aufstieg vom Kohlenbrenner zum Millionär
Es ist der Vertreter einer Zeit, in der der Mensch noch nicht der einzig wirkliche Feind der Natur war. Doch diese Zeit ist längst Geschichte – auch im Schwarzwald Anfang des 19. Jahrhunderts, in dem die Tannen wegen der Profitgier einiger weniger Menschen fallen müssen. Fast so wie 200 Jahre später im Amazonas-Regenwald Brasiliens. Gewiss, dieser Vergleich scheint etwas übertrieben, dennoch macht er eines deutlich: Der Märchenfilm von 2016 und die Märchenvorlage von 1827 setzen sich beide „mit Faktischem aus der zeitgenössischen Welt“ (Martini) auseinander und wirken damit ausgesprochen zeitgemäß.
Das zeigt sich auch an der Figur des Helden: Peter Munk, gespielt von Frederick Lau. Der 27-jährige Grimme-Preisträger verkörpert schon mit seiner äußeren Erscheinung – roh, derb, rau – genau den Typus eines Antihelden mit all seinen Ambivalenzen. Als Kohlenbrenner befindet sich Peter in der sozialen Gesellschaftsstruktur ganz unten. Dennoch hat er Träume, die allerdings wie Seifenblasen zerplatzen, weil das Umfeld an seinem sozialen Aufstieg gar kein Interesse hat. Das wird Peter nicht nur verbal sondern auch physisch klargemacht. Bei Hauff klingt das nur einmal an, als er von drei Burschen „mit derben Fäusten“ vermöbelt wird, „bis er vor Schmerzen […] erschöpft in die Knie sank.“
Drehort Dorf Gutach entsteht ein zweites Mal im Filmstudio
Im Märchenfilm reihen sich mehrere Szenen aneinander, in denen Gewalt als Mittel eingesetzt wird, um eine bestimmte soziale Ordnung unter allen Umständen zu bewahren. Jeder Verstoß dagegen, zum Beispiel wenn sich Peter in Lisbeth (Henriette Confurius), Tochter des reichen Glasmachers Löbl (Sebastian Blomberg), verliebt, wird hart bestraft. Durchaus können auch hier, wie schon in der Rolle des Glasmännlein, Parallelen zur Gegenwart gezogen werden, wenn Chancengleichheit, also das Recht auf gleiche Lebens- und Sozialchancen, oftmals zu einer hohlen Phrase verkommt.
Neben diesen möglichen Bedeutungen vergisst „Das kalte Herz“ nicht das Märchenhafte, weil es ja zu einem Filmgenre gehört, das immer auch ästhetische Schauwerte produziert. Das zeigt sich meisterhaft an den originalen, aber ebenso nachgebauten Drehorten, wie dem Dorf Gutach, das auf dem Gelände des Studio Babelsberg in Potsdam entstanden ist. Jenes Gutach gibt es im Übrigen wirklich: Auf dem Schwarzwälder Vogtsbauernhof in Gutach, dem ältesten Freilichtmuseum Baden-Württembergs, werden 1977 die Außenaufnahmen für eine WDR-Verfilmung des „Kalten Herz“ (R: Peter Podehl, D) gedreht.
„Das kalte Herz“ zwischen Märchenfilm und Horror-Genre
In der Neuverfilmung von 2016 lässt Kameramann Pascal Schmit zudem eine herrlich düstere und triste Atmosphäre entstehen, wenn er die Bilder in bestimmte Farben taucht. Das erinnert mitunter an Horrorfilme und deren „Ästhetik des Drastischen“ (Moldenhauer), wenngleich Gewalt und einige Splatter-Einstellungen nicht übermäßig zelebriert werden. Dennoch eignet sich „Das kalte Herz“ für diesen Genre-Übertritt, weil es bereits im Märchen um diesen obskuren Tauschhandel geht: ein pochendes Herz gegen eine steinerne Kopie, um endlich sorgenfrei im Reichtum zu leben.
Dabei ist der Holländer-Michel (Moritz Bleibtreu) – einer der bösen Waldgeister – eigentlich eine schlechte Werbung für diesen teuflischen Deal. Er lebt wie ein Einsiedler in einer dunklen Höhle, in der, wie Räucherschinken, schlagende Menschenherzen von der Decke baumeln. Diese gehören den Eliten in der Dorfgemeinschaft, wie dem angesehenen Glasmacher Löbl oder dem reichen Holzhändler Etzel (Roeland Wiesnekker), der bei Hauff noch Ezechiel heißt und dessen Name auf den Israeliten und großen Schriftpropheten zurückgeht. Gut möglich, dass die Drehbuchautoren diesen latenten Antisemitismus nicht teilen wollten und auf Etzel (bedeutet „edel“), den Hunnenkönig aus dem „Nibelungenlied“, zurückgriffen.
Von der Faszination des Bösen: Holländer-Michel
Jetzt pocht in Etzels und Löbls Brust nur noch ein steinernes Herz. Dennoch macht der Holländer-Michel auf Peter einen großen Eindruck. Er lässt sich auf den Teufelspakt ein, auch weil ihm die erfüllten Wünsche des Glasmännleins nicht den erhofften sozialen Aufstieg bringen. Mit seinem neuen kalten Herz glaubt Peter endlich am Ziel zu sein. Der Film zeichnet dabei das Bild einer Figur, die differenziert böse ist und damit umso unberechenbarer: Peter bringt Etzel hinter Gittern, weil der Holzhändler Peters Vater (André M. Hennicke) erschlagen hat. Doch nicht die Blutrache sondern Etzels florierendes Unternehmen und dessen Übernahme ist das Motiv für sein Verhalten.
Auch Peters versuchte Vergewaltigung von Lisbeth zeigt, wie sehr sein kaltes Herz ihn verändert hat. Als sich Lisbeth danach an einem zerbrochenen Handspiegel – ein Geschenk Peters – verletzt, steht das Blut an ihrer Hand symbolisch auch für seinen Missbrauch an ihr. Beide, Peters Vater und Lisbeth, sind darüber hinaus zwei Charaktere, die im Figurenensemble eine besondere Rolle einnehmen. Sie streifen Phänomene wie Seelenwanderung und Wiedergeburt, verleihen dem „Kalten Herz“ neue erzählerische Impulse und gestalten den Märchenfilm damit äußerst facettenreich.
Filmmusik: Sphärische Gesänge und ein Pfeifen im Walde
Apropos facettenreich: Das ist auch eine passende Beschreibung der Filmmusik, die Oliver Biehler komponiert. Der Score ist alles andere als folkloristisch. Bisweilen erinnert die Musik den Kinozuschauer entfernt an Rammstein-Songs. Auftritte des Holländer-Michels werden mit Pfeiftönen untermalt, die Parallelen zum Song „Engel“ von 1997 erkennen lassen. Egal ob Sampling oder nicht: Die Idee ist nicht neu aber gut, einzelnen Figuren bestimmte Melodien oder Instrumente zuzuordnen. Biehlers Kollege, der Filmkomponist Gert Wilden jun., begleitet zum Beispiel in „Die Schneekönigin“ (2014, R: Karola Hattop, BRD/FIN) die Auftritte der Titelfigur mit einem hellen, aber eisig klingenden Soprangesang.
_____________________
Märchenhafte Drehorte: Wo das kalte Herz schlägt
Geld oder Liebe: Das kalte Herz (D 2014)
Das kalte Herz (DDR 1950). Eine Spurensuche zur Geschichte des Märchenfilms
Biehler setzt auf ähnliche Effekte, wenn er ebenso einen weiblichen Gesang integriert, der die Stimmung des Films unterstützt und eine besondere Atmosphäre schafft. Gänzlich anders flankiert er musikalisch weitere Schlüsselszenen im „Kalten Herz“: Es sind die Einstellungen, die das abendliche Dorffest zeigen. Einerseits als Lisbeth mit Peters Gegenspieler Bastian (David Schütter), Sohn von Holzhändler Etzel, tanzt, andererseits als beide jungen Männer um die Wette steppen. Die Figuren begleiten dabei archaische Klänge, die zwischen Hardrock und Stammestänzen zirkulieren. Rammstein und Romantik müssen sich also nicht ausschließen.
Film: „Das kalte Herz“ (2016, R: Johannes Naber, BRD). Kinostart: 20. Oktober 2016.
Drehorte:
- Felsenlabyrinth, 01819 Langenhennersdorf
- Filmstudios Potsdam-Babelsberg, Havelchaussee 161, 14055 Berlin
- Walterhof, Hinterrötenberg 3, 72290 Loßburg-Schömberg
- 42103 Wuppertal (in der Umgebung)
- 72290 Loßburg (in der Umgebung)
- 79859 Schluchsee/Schwarzwald (in der Umgebung)
Literatur:
- Hauff, Wilhelm: Das kalte Herz, in: ders.: Sämtliche Märchen. Mit den Illustrationen der Erstdrucke. Herausgegeben von Hans-Heino Ewers. Stuttgart, 2002
- Martini, Fritz: Wilhelm Hauff, in: Wiese, Benno von (Hrsg.): Deutsche Dichter der Romantik. Ihr Leben und Werk. Unter Mitarbeit zahlreicher Fachgelehrter. Berlin, 1983, S. 550.
- Moldenhauer, Benjamin: Ästhetik des Drastischen: Welterfahrung und Gewalt im Horrorfilm. Berlin, 2016
Headerfoto: Der arme Peter Munk (Frederick Lau) inmitten pochender Herzen / © Weltkino Filmverleih GmbH
Kurz und knapp: meine Familie und ich sind der gleichen Meinung! Furchtbar!
Wir haben uns das singende klingende Bäumchen in der Neuverfilmung angesehen. Leider mussten wir
feststellen, das die Kosten für die Entstehung dieser Neuverfilmung hätten gespart werden können.
Das Märchen war für uns alle furchtbar schlecht. Ein verzauberter Prinz der brummend und mit hoch
erhobenen Armen rumgerannt ist und mit ein paar angeklebten Brusthaaren als Bär gelten sollte, eine Prinzessin die von Anfang an unansehnlich war und auch unglaubwürdig gespielt wurde, Prinzen die
vor dem Schloss ihre Geschenke dargeboten haben und ein Zwerg der mit ein paar Fingerschnipsern
etwas zaubern wollte. Wir haben wirklich zwischendurch immer überlegt ob wir abschalten.
Unser Kommentar: Lasst doch die schönen, alten Märchen wie sie sind und versucht nicht Remakes zumachen die nicht mal annähernd an die Klassiker rankommen. Es muss nicht immer alles modernisiert werden.