Theater, Kino und Fernsehen geben dem Grimmmärchen einen Popularitätsschub, von dem es bis heute profitiert – egal ob es auf der Bühne oder an (Außen-)Drehorten entstanden ist.
Die Geschichte war ursprünglich in Soldatenkasernen zu Hause und handelt – wen wundert’s – von geringem Kriegssold, schöner Prinzessin, lustigem Trinkgelage und ganz viel Gold. Doch der Reihe nach: Ein Ex-Soldat will sich am geizigen König rächen, weil der ihn schlecht entlohnte.
Mit fünf Verbündeten – einem Bäumeausreißer, Scharfschützen, Nasenlochbläser, Läufer mit abgeschnalltem Bein sowie Mann mit Frosthütchen – wandert er erst durch die „ganze Welt“, geht dann zum Herrscher, lässt den Sprinter mit der Königstochter um die Wette laufen (wobei der Schütze eine Schummelei der Prinzessin vereitelt) und bekommt sie zur Frau.

Sechse kommen durch die ganze Welt (1907): Otto Ubbelohde zeichnete das Märchen / Quelle: Grimm-Bilder Wiki
Doch die Tochter wehrt sich gegen den dahergelaufenen Heiratskandidaten und schmiedet mit ihrem Vater einen Mordplan, bei dem die Sechse während eines großen Gelage umkommen sollen. Dank des Frosthütchen-Mannes misslingt aber das Vorhaben.
Am Ende kauft der König seine Tochter frei, wobei der Soldat ausmacht: gegen „so viel, als mein Diener tragen kann“ (Brüder Grimm 1980, S. 374). Da schleppt der Starke alle Schätze des Herrschers hinweg. Der Versuch des Königs, den Sechsen ihren Reichtum wieder abzujagen, vereitelt letztlich der Bläser.
Zeitraffer und Windmaschine
Die Geschichte steht seit 1819 in den „Kinder- und Hausmärchen“ der Brüder Grimm, ist aber anfangs selten verfilmt. Vielleicht lag’s an den Sechsen selbst, deren übernatürliche Künste den Trickspezialistinnen und -spezialisten mitunter Kopfzerbrechen bereitet haben mögen. (Obgleich der Wettlauf schon in den Anfangsjahren der Kinematografie mit dem Zeitraffer umsetzbar war und der Bläser von der Windmaschine unterstützt worden wäre.)
Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wird das Märchen von Theater, Kino und Fernsehen entdeckt. Was kaum verwundert, bietet es doch mit Wald, (Windmühlen-)Landschaft sowie Schloss ein paar klassische Handlungsorte, die auf Szenenbild und Ausstattung einzahlen. Das fand zuletzt auch die ARD, die das Märchen – wenn auch spät – im Rahmen ihrer Reihe „Auf einen Streich“ verfilmte.
Marmorpalais/Potsdam: „Sechse kommen durch die ganze Welt“ (D 2014)
Der Held ist hier kein Soldat, sondern ein talentierter, aber armer Musikus namens Jasper (Rafael Gareisen). Der hat sich in die Prinzessin Ella (Laura Maria Heid) verliebt. Und sie in ihn. Wenn da nicht ihr Vater König Wilbur (Ex-„Tatort“-Hauptkommissar: Sebastian Bezzel) wäre. Der residiert im berühmten Marmorpalais im Neuen Garten in Potsdam, das das Architektenduo von Gontard (Gebäude) und Langhans (Innenausstattung) Ende der 1780er-Jahre entwarf.
Die Innenaufnahmen entstanden im Berliner Schloss Friedrichsfelde, das Ende des 18. bzw. Anfang des 19. Jahrhunderts sein frühklassizistisches Aussehen erhielt. Szenenbildner Oliver Munck versieht die Räume mit menschlichen Schachfiguren, einer Mini-Golfanlage und großen Spielwürfeln, denn der Herrscher ist zerstreuungssüchtig. Zudem sehen Diener und Soldaten wie Spielkarten aus (Kostümbild: Petra Neumeister). Alles wirkt ein wenig wie im Reich der ebenso despotischen Herzkönigin aus Lewis Carrolls „Alice im Wunderland“.

Sechse kommen durch die ganze Welt (2014): König (Sebastian Bezzel) und Tochter (Laura Maria Heid) vorm Marmorpalais / © rbb/Daniela Incoronato
Sechse kommen durch die ganze Welt (2014): Innenaufnahmen entstanden in Friedrichsfelde / © marctwo/pixelio.de
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Sechse kommen durch die ganze Welt (D 2014) – oder: Die glorreichen Sieben
Als Jasper beim König um Ellas Hand anhält, landet er im Verlies – Drehort war die Zitadelle Spandau, eine mittelalterliche Festung im Berliner Bezirk Spandau. Dort trifft er Lukas „den Starken“ (Anton Rubtsov) und die „Hexe“ Flora (Alissa Wilms) – und flieht mit den beiden. Auf ihrer Wanderung schließen sich Markus „der Läufer“ (Maximilian Gehrlinger), Benjamin „der Schütze“ (Emil Reinke) und Lisa „die Eisige“ (Nicole Mercedes Müller) an. Drehbuchschreiber David Ungureit setzt damit auf ein modernes, geschlechtlich austariertes Ensemble.
Und: Alle Sechs ecken mit ihren außergewöhnlichen Fähigkeiten im Land König Wilburs an und werden ausgegrenzt. Damit wirkt die Geschichte in sich geschlossener im Vergleich zur Grimm’schen Vorlage. Während der Dreharbeiten, die zwischen dem 3. Juni und 25. Juni 2014 stattfanden, filmte man auch im Potsdamer Schlosspark Marquardt mit seinen verschlungenen Wegen und hügeligen Grasflächen nebst Schlänitzsee.
Drehorte: u. a.
- Marmorpalais, Im Neuen Garten 10, 14469 Potsdam (Außenaufnahmen)
- Schloss Friedrichsfelde, Am Tierpark 125, 10319 Berlin (Innenaufnahmen)
- Schloss und Park Marquardt, Hauptstraße 14, 14476 Potsdam OT Marquardt
- Zitadelle Spandau, Am Juliusturm 64, 13599 Berlin
Film: „Sechse kommen durch die ganze Welt“ (BRD, 2014, R: Uwe Janson). Auf DVD erschienen.
Theater der Freundschaft/Berlin: „Sechse kommen durch die ganze Welt“ (DDR 1972)
Es war eine Programmtradition in der DDR, dass das eine oder andere Bühnenmärchen später als Aufzeichnung im Fernsehen lief. So auch bei „Sechse kommen durch die ganze Welt“, das am 5. Oktober 1972 seine Premiere im Ostberliner Theater der Freundschaft feierte (im Rahmen der alljährlich im Herbst stattfindenden „Berliner Festtage“) und 1974 im DDR-Fernsehen gezeigt wurde. Das Drehbuch schrieb Christian Noack, ein Mathematiker an der Ostberliner Humboldt-Universität, der damit sein Debüt als Bühnenautor gab (vgl. Buder 1972, S. 4).
(Noack gründete 1972 an der Uni auch das legendäre Laien-Puppentheater [vgl. To 1975, S. 5], schrieb Stücke wie z. B. „Der kleine Prinz“, ein Spiel mit Puppen und Menschen nach Saint-Exupéry, stieg zum renommierten Autor auf und wurde eines der prägenden Gesichter des Amateur-Puppenspiels in der DDR.)
Wie später in der ARD-Verfilmung hat auch bei Noack jeder der Sechse (schlechte) Erfahrungen mit dem gern Krieg führenden König (Dieter Schaarschmidt) gemacht: Der Läufer (Lutz Dechant), einst im Kampf verwundet, wurde vom Herrscher aus der Armee geworfen. Der Frostige (Gert Hänsch) musste als Zauberer am Hofe dienen. Und der Bläser (Heinz Schröder) wurde verstoßen, weil seine Frau (Monica Bielenstein) Afrikanerin ist (vgl. Wendlandt 1972, S. 4).

Sechse kommen durch die ganze Welt (1972): Minimalistisches Bühnenbild / © Deutsche Fotothek/Abraham Pisarek

Sechse kommen durch die ganze Welt (1972): Abstrakt wirkendes Schloss / © Deutsche Fotothek/Abraham Pisarek
Offenbar eine Anspielung auf die Schwarze US-Bürgerrechtlerin Angela Davis, die in ihrer Heimat von 1970 bis 1972 unschuldig im Gefängnis saß und in der DDR zur Ikone des Widerstands wurde – obwohl gleichzeitig von der SED-Führung vereinnahmt (vgl. Lorenz 2020). Zudem kommen die Sechs von verschiedenen Kontinenten bzw. gehören unterschiedlichen indigenen Völkern an: der Soldat (Helmut Geffke) als Europäer (!), der Läufer als Indianer und der Horcher (Rainer Büttner) als Chinese.
Die Kritik lobte denn auch die „zeitnahe Abwandlung der poetischen Vorlage“ sowie den „Charakter des Internationalen“, aber ebenso „eine Fülle einprägsamer Bühnenarrangements“ (Wendlandt 1972, S. 4; Buder 1972, S. 4), wie den modernen Triumphwagen, auf dem der König mit lorbeerbekränztem Stahlhelm steht. Oder eine sich drehende Erdkugel, die die „ganze Welt“ spiegele (Bühnenbild: Otto Kähler).
Aufnahmeort: Theater der Freundschaft (heute: Theater an der Parkaue), Parkaue 29, 10367 Berlin
Aufführung: „Sechse kommen durch die ganze Welt“ (DDR, 5.10.1972, R: Mirjana Erceg). Noch nicht auf DVD/Blu-ray erschienen.
Schloss Moritzburg/Sachsen: „Sechse kommen durch die Welt“ (DDR 1972)
Kurz vor der Uraufführung des Theaterstücks lief der DEFA-Märchenfilm in den DDR-Kinos an (Start: 18.8.1972). Regie führte der ‚junge Wilde’ Rainer Simon, damals 31 Jahre und bereits mit „Wie heiratet man einen König“ (1969) Genre-erprobt. Er inszenierte die Geschichte als „Parabel auf die Gegenwart“ (Schenk 2007, S. 84) und versah sie mit subversiven ideologiekritischen Zügen, die auf die Situation in der DDR anspielten und nachdenklich stimmten.
Die offizielle Kritik machte dagegen punktuell eine „schwermütige, unzufriedenmachende Tendenz“ aus, die den Märchenfilm durchziehe, mit Figuren, die „mißmutig und traurig“ seien (Novotny 1972, S. 6) – wie den Jäger (Jürgen Gosch), den Fiedler (Christian Grashof) oder den Soldaten (gespielt vom Tschechen Jiří Menzel, der in der Heimat wegen seines Engagements während des Prager Frühlings kurzzeitig mit einem Berufsverbot belegt worden war),
Sechse kommen durch die Welt (1972): Schloss Moritzburg (Aufnahme von 2008) / © marge simpson/pixelio.de
Sechse kommen durch die Welt (1972): Der Leuchtturm (Aufnahme von 2024) ist im Wettrennen zu sehen / © Uwe Wattenberg/pixelio.de
Dennoch: „Die Wahl der Außendrehorte und die Art und Weise ihrer Inszenierung“, so die Kulturwissenschaftlerin Corinna Rader, „provoziert beim Publikum ein Erkennen“ (Rader 2021, S. 190) – das auf den (beabsichtigten) Gegenwartsbezug einzahlt und sich gegen eine allzu märchenhafte Entrücktheit stellt. Dazu gehört z. B. das Elbsandsteingebirge in der damaligen Grenzregion zwischen DDR und ČSSR, in der der Fiedler zum Soldaten stößt.

Sechse kommen durch die Welt (1972): Die Verfilmung ließ das Wort „ganze“ weg und schränkte so die (DDR-)Märchenwelt ein / © MDR/Progress
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Oder die 1803 erbaute Borner Bockwindmühle, im heutigen Landkreis Potsdam-Mittelmark, auf deren Stufen der Oberhofmeister (Berthold Schulze) das Wettrennen mit Prinzessin Bella Mirabella (Margit Bendokat) verkündet. (Die Mühle wurde am 13. November 1972 – wenige Monate nach den Dreharbeiten – durch den Orkan „Quimburga“ beschädigt, der über ganz Europa hinwegfegte.) Weitere Drehorte waren das „Aschenbrödel“-Schloss Moritzburg und das Fasanenschlösschen, unweit von Dresden, sowie der Rehgarten im Schloss Sanssouci bei Potsdam.
Drehorte: u. a.
- Bockwindmühle Borne, Gruboer Straße, 14806 Bad Belzig OT Borne
- Elbsandsteingebirge
- Elsholz, 14547 Beelitz OT Elsholz
- Falkenrehde, 14669 Ketzin/Havel OT Falkenrehde
- Fasanenschlösschen, Fasanerie, 01468 Moritzburg
- Langerwisch, 14552 Michendorf OT Langerwisch
- Leuchtturm Moritzburg, Fasanerie 3, 01468 Moritzburg
- Saarmund, 14558 Nuthetal OT Saarmund
- Schloss Moritzburg, Schlossallee 1, 01468 Moritzburg
- Sputendorf, 14532 Stahnsdorf OT Sputendorf
- Park Sanssouci, Hauptallee, 14469 Potsdam
- VEB DEFA Studio für Spielfilme, 1502 Potsdam-Babelsberg, August-Bebel-Straße 26–53
Film: „Sechse kommen durch die Welt“ (DDR, 1972, R: Rainer Simon). Auf DVD und Blu-ray erschienen.
Weitere Verfilmungen:
- „Sechse kommen durch die ganze Welt“ (Zeichentrickfilm, DDR, 1958, R: Lothar Barke)
- „Sechse kommen durch die ganze Welt“ (Puppentrickfilm, BRD, 1983, R: Peter Podehl, aus der Reihe: „Hallo Spencer“, NDR)
Verwendete Quellen:
- Brüder Grimm: Sechse kommen durch die ganze Welt. In: Kinder- und Hausmärchen. Ausgabe letzter Hand mit den Originalanmerkungen der Brüder Grimm. Mit einem Anhang sämtlicher, nicht in allen Auflagen veröffentlichter Märchen und Herkunftsnachweisen hrsg. von Heinz Rölleke. Stuttgart: Reclam, 1980, Bd. 1, S. 369–375.
- Buder, Horst: Sechs ist eine gute Zahl. Märchenpremiere im Theater der Freundschaft. In: Neue Zeit 28 (1972), Nr. 240, 10.10.1972, S. 4.
- Lorenz, Sophie: »Schwarze Schwester Angela« – Die DDR und Angela Davis. Kalter Krieg, Rassismus und Black Power 1965–1975. Bielefeld: transcript, 2020
- Novotny, Ehrentraut: Der siegreichste König aller Zeiten wird besiegt. Neuer DEFA-Märchenfilm: „Sechse kommen durch die Welt“. In: Berliner Zeitung 28 (1972), Nr. 234, 24.8.1972, S. 6.
- Rader, Corinna Alexandra: Sechse kommen durch die Welt (1972). Dies.: Von wahren Kunstwelten. Szenographie im DEFA-Märchenfilm. Weimar: VDG, 2021, S. 190–197.
- Schenk, Ralf: Sechse kommen durch die Welt. In: Friedrich, Andreas (Hrsg.): Filmgenres. Fantasy- und Märchenfilm. Stuttgart: Reclam, 2007, S. 84–88.
- Scholz, Joachim: Märchenspiel mit tieferer Bedeutung. Zur Premiere von „Sechse kommen durch die ganze Welt“. In: Berliner Zeitung 28 (1972), Nr. 282, 11.10.1972, S. 6.
- To: Das Spiel mit den Puppen. Berufs- und Laienkünstler im Gedankenaustausch. In: Neue Zeit 31 (1975), Nr. 58, 10.3.1975, S. 5.
- Wendlandt, K. J.: Des Bläsers Frau ist eine Afrikanerin. „Sechse kommen durch die ganze Welt“ von Christian Noack im Theater der Freundschaft. In: Neues Deutschland 27 (1972), Nr. 280, 9.10.1972, S. 4.
- [o. A.]: Erfolgreicher Märchenfilm. In: Berliner Zeitung 28 (1972), Nr. 261, 20.9.1972, S. 6.
Headerfoto: Markus „der Läufer“ (Maximilian Gehrlinger, v.l.n.r.), Lukas „der Starke“ (Anton Rubstov), „Hexe“ Flora (Alissa Wilms), Musikus Jasper (Rafael Gareisen), Benjamin „der Schütze“ (Emil Reinke), Lisa „die Eisige“ (Nicole Mercedes Müller) / © rbb/Daniela Incoronato