Archiv für den Monat: April 2025

Julia (Katarína Krajčovičová) findet sich in einer neuen Welt wieder. Kann sie mithilfe von Juraj (Ladislav Bédi) den Fluch brechen? / © RTVS/Mayo Hirc

Magische Zeitreise: Die drei goldenen Dukaten (SK/CZ 2023)

Die tschechisch-slowakische Produktion ist kein klassischer Märchenfilm, eher ein Mystery-Thriller für Kinder – der dunkle Geheimnisse und unerklärliche Phänomene enträtselt. Ganz ohne Scully und Mulder.

Man schreibt das Jahr 1600. Die schöne Júlia wird von ihrer bösen Tante Žofia verbannt und mit einem Fluch belegt. Nur wenn sie jemanden findet, der einen ihrer drei Golddukaten weder ausgibt noch behält, wird sie erlöst. 300 Jahre später trifft das Mädchen auf den einfachen Schafhirten Juraj: Er hilft Júlia, die zudem mit den Tücken der modernen Welt kämpft, den Bann zu brechen – was gelingt. Beide verlieben sich und heiraten am Ende.

Schon der 2021 entstandene Märchenfilm „Wie man keine Prinzessin heiratet“, eine tschechisch-deutsch-slowakische Koproduktion, spielte seinerzeit mit dem populären Zeitreise-Motiv: Hier beamen sich zwei Königskinder dank einer Schicksalsuhr aber nur 25 Jahre zurück, um eine Weissagung zu torpedieren.

In „Die drei goldenen Dukaten“ richtet sich der Blick nun in die Zukunft, wie z. B. in der Fantasykomödie „Verwünscht“ (USA 2007). Prallt aber hier die klassische Disney-Märchenwelt auf das New York des 21. Jahrhunderts, inklusive einem parodistischen Spiel mit der eigenen Film- und Studiovergangenheit (vgl. Kurwinkel 2018, S. 364f.), so wird Júlia ins Jahr 1900 versetzt – was ebenso einem Kulturschock beikommt.

Wenige klassische Märchenmotive

Allerdings treten in der tschechisch-slowakischen Fernsehproduktion nur einige wenige klassische Märchenmotive auf, wie z. B. Verwandlung und Fluch. Vielmehr reizt die Filmemacherinnen Mariana Čengel Solčanská (Regie) und Zuzana Líšková (Drehbuch) das Verbinden unterschiedlicher historischer Epochen im Zeitreise-Film: hier die Renaissance um 1600, dort der Epochenumbruch um 1900 – mit seinen technischen, kulturellen, aber auch politischen Neuerungen.

Denn: „In der Kontrastierung der Zeitmodi Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft werden zumeist auch Reflexionen über den Zustand der jeweiligen Gegenwart und der in ihr lebenden Gesellschaft möglich […]“ (Juhnke/Kaczmarek).

Großen Anteil an der Filmidee hat auch der slowakische Regisseur Stanislav Párnický („Dornröschen“, BRD/ČSSR/F 1990). Er starb allerdings am 31. März 2023, kurz vor Drehbeginn. Zur Erinnerung ist der Film ihm gewidmet.

Märchenfilm-Drehort Arwaburg

Märchenhaft ist nichtsdestotrotz die Eröffnungssequenz in „Die drei goldenen Dukaten“, obwohl sie sich in der Ausstattung wiederum historisch konkreter Vergangenheit bedient: der Renaissance.

Freude an Glanz, Pracht und Sinnesfreude durchziehen die farbenfrohen Bilder vom Hof der jungen, gerechten, noch unverheirateten Schlossbesitzerin Júlia (Katarína Krajčovičová). Dazwischen fachsimpeln Gelehrte mit weißer Halskrause und Barett auf dem Kopf, ob die Erde nun um die Sonne kreist oder umgekehrt (Giordano Bruno, †1600).

Renaissance-Mode: Kostümbildnerin Lucia Šedivá kleidet die Schauspiel-Crew historisch ein / © RTVS/Mayo Hirc

Renaissance-Mode: Kostümbildnerin Lucia Šedivá kleidet die Schauspiel-Crew historisch ein / © RTVS/Mayo Hirc


Zwangsheirat: Mikuláš (Marek Lupták), Žofia (Jana Hubinská), Júlia (Katarína Krajčovičová) / © RTVS/Mayo Hirc

Zwangsheirat: Mikuláš (Marek Lupták), Žofia (Jana Hubinská), Júlia (Katarína Krajčovičová) / © RTVS/Mayo Hirc


Drehort Beckov: Im Hintergrund ist die Burgruine zu sehen, in der Júlia verwünscht wurde / © RTVS/Mayo Hirc

Drehort Beckov: Im Hintergrund ist die Burgruine zu sehen, in der Júlia verwünscht wurde / © RTVS/Mayo Hirc


Drehort und Schauplatz ist die bekannte Arwaburg (Orava), die schon in „König Drosselbart“ (BRD/ČSSR 1984) ihren großen Auftritt hatte: Hier zahlt sie wieder mit ihrer imposanten Architektur nebst wuchtigen Eingangstoren und pittoresken Innenhöfen auf das Genre ein.

Dagegen residiert Júlias verarmte, hinterlistige Tante Žofia (Jana Hubinská) in der Ruine der westslowakischen Burg Beckov, die zur erzählten Zeit des Films noch intakt war: als Festung und luxuriöser Herrschaftssitz (Szenenbild: Branislav Mihálik). Als sich Júlia weigert, ihren Cousin Mikuláš (Marek Lupták) zu heiraten, den sie nicht liebt, rächt sich Žofia an ihrer Nichte.

„Eine pferdelose Kutsche“

Auch der Schafhirte Juraj (Ladislav Bédi) möchte nur ein Mädchen zur Frau, das er wirklich liebt („Ich kann meinem Herzen keine Vorschrift machen“) – und nicht die reiche, aber hochmütige Wirtstochter Katka (Lesana Krausková). Júlia und Juraj werden so noch vor ihrer ersten Begegnung als Parallelfiguren angelegt, obwohl sie eigentlich Kontrastfiguren sind: Denn beide trennen nicht nur der soziale Stand (Adel, Bauernschaft) sondern auch drei Jahrhunderte.

Katarína Krajčovičová (Júlia): Die 26-Jährige ist im slowakischen Fernsehen oft in Serien zu sehen / © RTVS/Mayo Hirc

Katarína Krajčovičová (Júlia): Die 26-Jährige ist im slowakischen Fernsehen oft in Serien zu sehen / © RTVS/Mayo Hirc


Diese Unterschiede werden, wie in den meisten Zeitreise-Filmen, humoristisch ausgekostet (z. B. Juraj über Júlias Kleidung: „Sind Sie etwa aus dem Zirkus entlaufen?“ oder Júlia über ein Automobil: „eine pferdelose Kutsche“). Sie berühren aber zumeist tiefgehende gesellschaftliche Fragen, wie über Bildung (Júlia zu Juraj: „Bürgerliche [wie er] brauchen nichts zu wissen!“) oder Herkunft („Du bist schon ein hübscher Junge. […] Schade, dass du ein gewöhnlicher Hirte bist“).

Sehnsuchtsort Amerika

Vor diesem Hintergrund werden im Jahr 1900 zugleich die größeren Möglichkeiten für den Einzelnen sichtbar, die sich besonders in Juraj spiegeln – und auch seine Träume und Wünsche.

Er ist als Unterprivilegierter zur Schule gegangen, hat Lesen, Schreiben, Rechnen gelernt. Mehr noch: In seiner Hütte stapeln sich Bücher, an den Wänden hängen technische Zeichnungen von Maschinen. Überdies ist er Erfinder, hat sich elektrisches Zimmerlicht gebastelt – und einen Elektrozaun, der seine Schafe schützt. Sein großes Ziel ist Amerika („Wir leben hier noch so, wie es früher üblich war. Und in der Welt geschehen große Dinge“).

Ladislav Bédi (Juraj): Bislang spielte der 28-Jährige eher am Theater, z. B. in

Ladislav Bédi (Juraj): Bislang spielte der 28-Jährige eher am Theater, z. B. in „Pressburger Fight Club“ (2023) / © RTVS


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Freilich mag das mitunter konstruiert anmuten (‚tüftelnder Hirte’), doch das klassische Volksmärchen gibt den Drehbuchschreiberinnen recht, weil es immer auch über „ausgleichende Glücksentwürfe angesichts einer kärglichen Wirklichkeit“ (Freund 2005, S. 158) erzählt.

Jurajs Erfindungen bewirken nichts

Kritisch ist anzumerken, dass Jurajs Leidenschaft für technischen Fortschritt (er fährt auch Fahrrad) nicht sinnhaft in die eigentliche Geschichte eingebunden ist.

(Ein gelungenes Filmbeispiel ist hier „Dornröschen“, D/AT 2008: Der Prinz begeistert sich ebenso für Technik. Er versucht via Heißluftballon – der im 18. Jahrhundert erfunden wird – ins Schloss der Prinzessin zu gelangen. Denn das ist von einer undurchdringbaren Dornenhecke umgeben.)

Dornröschen (D/AT 2008): Der Prinz baut einen Ballon, um in den Schlosshof zu fliegen / © PROVOBIS Film GmbH

Dornröschen (D/AT 2008): Der Prinz baut einen Ballon, um in den Schlosshof zu fliegen / © PROVOBIS Film GmbH


Jurajs Erfindungen helfen ihm z. B. nicht, Júlias Bann zu brechen oder sie am Ende aktiv aus dem Kerker des Gutsbesitzers Blažej (Jozef Vaida) zu befreien. Denn der Verwalter – der im Figurenensemble als Gegenspieler aufgebaut ist – residiert unrechtmäßig auf dem Schloss, das eigentlich Júlia seit 300 Jahren gehört. Er gibt sich als Herrscher aus und lebt auf Kosten der Dorfbevölkerung (Drehort ist das Freilichtmuseum Orava).

Der gar nicht so böse Gutsverwalter

Dennoch kommt seine Boshaftigkeit nicht glaubhaft herüber. Dabei genügt es nicht, den Gutsbesitzer nur aus der Untersicht zu filmen (Kamera: Ivan Finta), um ihn bedeutend und mächtig erscheinen zu lassen. Auch die düsteren Klänge, die bei seinem ersten Auftritt zu hören sind (Musik: Ĺubica Čekovská), halten im weiteren Verlauf nicht das, was sie versprechen.

Verhaftung: Gutsbesitzer Blažej (Jozef Vaida, Mitte) wird im Schloss festgenommen / © RTVS/Mayo Hirc

Verhaftung: Gutsbesitzer Blažej (Jozef Vaida, Mitte) wird im Schloss festgenommen / © RTVS/Mayo Hirc


Vielmehr bleibt die Figur blass und harmlos. Dabei wäre es wichtig, „auch attraktivere Formen des Bösen zu erfassen“ (Hanspach 1987, S. 48), d. h. dem Niederträchtigen solche charakterlichen Züge zu verleihen, dass der Konflikt (Blažej ↔ Dorfgemeinschaft, Blažej ↔ Júlia) an Schärfe und Spannung gewinnt und das Mitgefühl des Publikums für die Unterdrückten herausfordert.

Der gute und fortschrittliche Lehrer

Größeres Augenmerk legt der Film dagegen auf einen seiner Gegenspieler, den guten, aufgeklärten, fortschrittlichen Lehrer (Juraj Hrčka) – ähnlich im Märchenfilm „Als ein Stern vom Himmel fiel“ (CZ/D/SK 2020).

Lehrer (Juraj Hrčka) und Júlia (Katarína Krajčovičová): Sein Fahrrad ist ein Geschenk von Juraj / © RTVS/Mayo Hirc

Lehrer (Juraj Hrčka) und Júlia (Katarína Krajčovičová): Sein Fahrrad ist ein Geschenk von Juraj / © RTVS/Mayo Hirc


In „Die drei goldenen Dukaten“ setzt er sich aktiv dafür ein, dass auch ärmere Kinder (wie vor Jahren Juraj) zur Schule gehen können und etwas lernen – und widerspricht öffentlich dem Gutsbesitzer, der das süffisant kommentiert („Früher konnten diese dreckigen Bauern nicht schreiben, und sie konnten noch viel weniger lesen. Und, hat ihnen was gefehlt“?).

Doch der ebenso geschichtskundige Lehrer hilft dem nicht an Märchen glaubenden Juraj auch, hinter Júlias Geheimnis zu kommen („Willst du Fakten oder Märchen?“). Dabei vermischt sich Historiografie (Buchchronik ihrer Familie) mit unerklärlichen, übersinnlichen Phänomenen (Was ist vor 300 Jahren wirklich passiert? Und wie kann es sein, dass Júlia überhaupt noch lebt?).

Zwischen Zeitreise und Mystery

Das gehört allerdings nicht zum Plot von klassischen Zeitreise-Filmen: Sie bedienen – wie oben beschrieben – einerseits humoristische Einfälle, andererseits komplexe Fragestellungen, die sich aus den unterschiedlichen Zeitmodi ergeben. Auch handelt es sich um keinen Märchenfilm, weil sich das Genre nicht selbst hinterfragt.

Zarte Liebesbande: Júlia (Katarína Krajčovičová) und Juraj (Ladislav Bédi) kommen sich näher / © RTVS/Mayo Hirc

Zarte Liebesbande: Júlia (Katarína Krajčovičová) und Juraj (Ladislav Bédi) kommen sich näher / © RTVS/Mayo Hirc


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Das erzählerische Konzept geht vielmehr in Richtung Mystery-Genre, in dem paranormale und mysteriöse Begebenheiten die Geschichte auslösen und am Ende sogar ein Mord geplant wird. Nur, dass die Handlung nicht in der Gegenwart spielt, wie z. B. „Akte X – Die unheimlichen Fälle des FBI“ (USA 1993–2002, 2016–2018), sondern in einem slowakischen Bergdorf im Jahr 1900.

Film: „Die drei goldenen Dukaten“ (SK/CZ, 2023, R: Mariana Čengel Solčanská). Ist bis 18. Mai 2025 in der ZDF-Mediathek abrufbar. Hier klicken

Drehorte:

  • Burg Beckov, Beckov 180, 916 38 Beckov, Slowakei
  • Burg Orava (auch: Arwaburg), Hrad 1, 027 41 Oravský Podzámok, Slowakei
  • Filmstudios Rozhlas a televízia Slovenska (RTVS), Mlynská dolina, 841 04 Bratislava, Slowakei
  • Freilichtmuseum Orava, Zuberec 850, 027 32 Zuberec, Slowakei

Verwendete Quellen:

  • Freund, Winfried: Märchen. Köln: Dumont, 2005
  • Hanspach, Beate: Märchen – man weiß sie und liebt sie. Zur Entwicklung des Märchenfilms in der DDR. In: Brandt, Gabi/Ried, Elke: Vom Zauberwald zur Traumfabrik. Dokumentation zur Fachtagung des „Kinder- und Jugendfilmzentrums in der BRD“ zum Thema „Märchen und Film“ vom 1.–5.12.1986 in Remscheid. München: 1987, S. 44–52.
  • Juhnke, Karl/Kaczmarek, Ludger: Zeitreise I: Vorgeschichte/Zeitreise II: Dramaturgie. In: Lexikon der Filmbegriffe. Hrsg. u. a. von Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (abgerufen: 29.4.2025)
  • Kaczmarek, Ludger: mystery film: Typologie. In: Lexikon der Filmbegriffe. Hrsg. u. a. von Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (abgerufen: 29.4.2025)
  • Kurwinkel, Tobias: Von 7 Zwergen, grünen Ogern und einer Prinzessin auf dem Times Square. In: Dettmar, Ute/Pecher, Claudia Maria/Schlesinger, Ron (Hrsg.): Märchen im Medienwechsel – Zur Geschichte und Gegenwart des Märchenfilms. Unter Mitarbeit von Martin Anker. Stuttgart: Metzler, 2018, S. 359–371.
  • [o. A.]: Das Märchen von den drei goldenen Dukaten. In: Radio Slovakia International (vom: 5.1.2024, abgerufen: 28.4.2025)


Headerfoto: Julia (Katarína Krajčovičová) findet sich in einer neuen Welt wieder. Kann sie mithilfe von Juraj (Ladislav Bédi) den Fluch brechen? / © RTVS/Mayo Hirc