Archiv für den Monat: Mai 2025

Die kluge Bauerntochter (D 2009): Die Titelheldin (Anna Maria Mühe) heiratet den König (Maxim Mehmet) / © MDR/Sandy Rau

Märchenhafte Drehorte: Wo die kluge Bauerntochter den König heiratet

Männer haben Angst vor schlauen Frauen. Auch im Märchen. Dabei profitiert das starke Geschlecht von weiblicher Cleverness. Warum, das erzählen vier Verfilmungen – gedreht in Schlössern und Studios.

Als die Brüder Grimm vor 200 Jahren fünfzig Märchen für ihre sogenannte „Kleine Ausgabe“ (1825) der „Kinder- und Hausmärchen“ auswählen, nehmen sie auch „Die kluge Bauerntochter“ auf.

Darin ist die Heldin die Tochter eines armen, aber kreuzehrlichen Bauern: Sie schafft es mit ihrer Klugheit, den Vater aus dem Gefängnis zu holen. Bekanntlich löst sie ein kniffliges Rätsel des Königs, der völlig baff ist und sie heiratet.

„Das Liebste und Beste mitnehmen“

Doch wie das so ist: Männer bekommen bei klugen Frauen oft Minderwertigkeitskomplexe. Auch im Märchen. Als sie den König öffentlich vorführt – er hatte eine wirklich dumme Entscheidung getroffen – wirft er sie aus dem Schloss. Sie dürfe aber „das Liebste und Beste mitnehmen“. Und das ist ihr Mann, dem sie zuvor einen starken Schlaftrunk verabreicht.

Die kluge Bauerntochter (1966): Der DDR-Illustrator Hans Baltzer bebildert das Märchen / Quelle: Grimm-Bilder Wiki

Die kluge Bauerntochter (1966): Der DDR-Illustrator Hans Baltzer bebildert das Märchen / Quelle: Grimm-Bilder Wiki

Als der König im Bauernhaus erwacht und hört, dass sie ihn mitgenommen hat, „stiegen [ihm] die Tränen in die Augen, und er sagte: ‚Liebe Frau, du sollst mein sein und ich dein’ […]“ (Grimm 1980, S. 60). Und sie versöhnen sich wieder.

Ende gut, alles gut? Nicht ganz, denn obgleich das Märchen zu den schönsten Liebesgeschichten gehört, ist es verhältnismäßig wenig als Spielfilm adaptiert. Liegt’s auch an den vielen Regisseuren und wenigen Regisseurinnen im Märchengenre? Denn im Hinblick auf Handlungsorte bietet „Die kluge Bauerntochter“ durchaus klassische Schauplätze wie Schlösser und Katen.

Barockgarten Großsedlitz/Heidenau: „Die kluge Bauerntochter“ (D 2009)

Die aktuell letzte Verfilmung gehört zu den Märchen, die die ARD für ihre Reihe „Auf einen Streich“ aussucht. Es ist bereits in der zweiten Staffel dabei, die an Weihnachten und zum Jahreswechsel 2009/2010 gesendet wird. Auf dem Regiestuhl sitzt Wolfgang Eißler („Das singende, klingende Bäumchen“, 2016), aber das Drehbuch schreibt eine kluge Frau: Gabriele Kreis. Das Szenenbild verortet Kai Varduhn im 18. Jahrhundert. Gedreht wird im Sommer 2009.

Die kluge Bauerntochter (D 2009): Schloss Wernigerode ist von außen zu sehen / © andi-h/pixelio.de

Die kluge Bauerntochter (D 2009): Schloss Wernigerode ist von außen zu sehen / © andi-h/pixelio.de

In der Eröffnungssequenz ist Schloss Wernigerode (Harz) in einer Panoramaeinstellung zu sehen: ursprünglich eine mittelalterliche Burg, ab dem 19. Jahrhundert ein Historismus-Schloss, das mehrere Baustile imitiert. Hier residiert – in der Außenansicht, denn die Innenaufnahmen finden im Schloss Waldenburg (Sachsen) statt – der junge König (Maxim Mehmet): Er interessiert sich mehr für Astronomie als fürs Heiraten, was Königinmutter (Sunnyi Melles) ärgert.

Schloss Wernigerode steht in Großsedlitz

Doch es kommt noch besser: Der Schlosspark befindet sich weder in Wernigerode noch in Waldenburg sondern im Barockgarten Großsedlitz (Sachsen). So wird z. B. mittels Computeranimation das Schloss Wernigerode hinter eine elegante Doppeltreppe in Großsedlitz montiert, gerade als eine neue Heiratskandidatin, Prinzessin Eulalia (Nikola Kastner), vorfährt.

Die kluge Bauerntochter (D 2009): Die Titelfigur kommt weder bekleidet noch nackt, weder reitend noch fahrend, weder im noch außerhalb vom Weg in den Barockgarten Großsedlitz / © MDR/Sandy Rau

Die kluge Bauerntochter (D 2009): Die Titelfigur kommt weder bekleidet noch nackt, weder reitend noch fahrend, weder im noch außerhalb vom Weg in den Barockgarten Großsedlitz / © MDR/Sandy Rau

Drehort für das Dorf, in dem der Bauer (Falk Rockstroh) und seine kluge Tochter (Anna Maria Mühe) leben, ist das Deutsche Landwirtschaftsmuseum bzw. das Freilichtmuseum auf Schloss Blankenhain (Sachsen). Beider baufällige Hütte ist offenbar eine Neukonstruktion, die in Mittelsachsen entsteht. Hübsch ist die Idee der Bauerntochter mit dem Dachgarten darauf, den – wie alle Drehorte – Kameramann Armin Franzen fotografiert. Eben dieses Gärtlein ist es auch, das der König mit seinem Fernrohr entdeckt und von dem Mädchen erfährt …

Drehorte: u. a.

  • Barockgarten Großsedlitz, Parkstraße 85, 01809 Heidenau
  • Deutsches Landwirtschaftsmuseum Schloss Blankenhain, Am Schloss 7, 08451 Crimmitschau
  • Schloss Waldenburg, Peniger Straße 10, 08396 Waldenburg
  • Schloss Wernigerode, Am Schloss 1, 38855 Wernigerode

Film: „Die kluge Bauerntochter“ (BRD, 2009, R: Wolfgang Eißler). Ist auf DVD erschienen.

Fernsehstudio: „Die kluge Bauerntochter“ (BRD/CH 1977)

In den 1980er- und 1990er-Jahren scheint das Märchen von Kino und Fernsehen vergessen. Nur die DEFA, das staatliche Filmstudio der DDR, dreht einen Puppentrickfilm („Die kluge Bauerntochter“, 1983, R: Monika Anderson), der am 9. März 1984 in den Lichtspielhäusern startet.

Zuvor Ende der 1970er-Jahre verfilmt das Schweizer Fernsehen die Geschichte. Regie führt der Deutsche Rudolf Jugert (1907–1979). Er begann bereits in den 1940er-Jahren an der Seite von Helmut Käutner (1908–1980) als Regie-Assistent, drehte dann später selbst viele Kino- und Fernsehfilme. Ab 1971 adaptiert er sieben Grimm’sche Märchen, darunter auch „Die kluge Bauerntochter“, für das Heinz Bothe-Pelzer (1916–2015) das Drehbuch schreibt.

Soziale Gegensätze, handgemalte Leinwände

Das halbstündige Fernsehspiel läuft am 27. März 1977 erstmalig im Schweizer Fernsehen für die deutsche und rätoromanische Schweiz (SF DRS). Es hält sich nah an die Grimmvorlage, ist aber auch vom Zeitgeist geprägt, wie erotisch aufgeladene Szenen und ein Schlagerlied („Ach, hätt’ ich einen Liebsten“) der Titelfigur (Susanne Beck) zeigen: Dass sie sich darin einen König (Heinz Trixner) zum Mann wünscht, nimmt dem Märchen allerdings seinen besonderen Reiz.

Das Fernsehspiel entsteht komplett im Studio. Die Bauten, die sich an verschiedenen Kunstepochen orientieren, übernimmt Heinrich Mager. Die Schauplätze, darunter Thronsaal und Bauernhaus, zeigen sinnfällig die sozialen Gegensätze an. In Szenen, die „im Freien“ spielen, werden handgemalte Leinwände als Hintergrund verwendet: Sie zeigen aber viel Himmel und wenig Landschaft und sorgen nur für etwas Atmosphäre.

Drehort: Fernsehstudio

Film: „Die kluge Bauerntochter“ (BRD/CH, 1977, R: Rudolf Jugert). Ist auf VHS erschienen.

Theater der Freundschaft/Berlin: „Die kluge Susanne“ (DDR 1973)

Am 11. März 1972 feiert „Die kluge Susanne“ von Heinz Kahlau (1931–2012) im Ostberliner Theater der Freundschaft seine Premiere. Das Stück geht auf „Die kluge Bauerntochter“ zurück. Die Titelrolle spielt in der von Mirjana Erceg (1945–2023) inszenierten Fassung Monica Bielenstein, den König mimt Manfred Struck. Gut ein Jahr später sendet das Fernsehen eine Aufzeichnung (20.4.1973).

Die kluge Susanne (DDR 1973): Ein Foto von der Uraufführung am 11. März 1972 / © Deutsche Fotothek/Abraham Pisarek

Die kluge Susanne (DDR 1973): Ein Foto von der Uraufführung (1972) / © Deutsche Fotothek/Abraham Pisarek

Kahlau beginnt das Stück mit zwei konkurrierenden (Wandertheater-)Truppen und deren clownesken Chefs Tom (Hans Oldenbürger) und Tim (Rüdiger Sander, 1941–2012). Beide wollen jeweils das Märchen vor dem Publikum aufführen, merken aber, dass es allein nicht geht und erzählen es gemeinsam.

Bunte Bauklötze, bewegliche Schachfiguren

Die Ausstattung besorgt Otto Kähler (1910–1991). Der Rezensent der „Berliner Zeitung“, Joachim Scholz, lobt damals den „Spielcharakter“ des Bühnenbilds: „Mit bunten Bauklötzern in Bühnenformat und sehr beweglichen Schachfiguren, die zugleich Thron und Turm hergeben, wird eine Märchenwelt geschaffen, die nur soviel ‚Realität’ bietet, wie man zum Anregen und Entfalten der Phantasie braucht.“

Die kluge Susanne (DDR 1973): Tom und Tim bei der Premiere (1972) / © Deutsche Fotothek/Abraham Pisarek

Die kluge Susanne (DDR 1973): Tom und Tim bei der Premiere (1972) / © Deutsche Fotothek/Abraham Pisarek

Dagegen meint die „Neue Zeit“, dass sich bei aller „Theatralik, Spiellust und Einfallsreichtum“ dennoch „Sinngehalt und Verständlichkeit des dargebotenen Märchens ziemlich verflüchtigten.“ Das Theater der Freundschaft, eine der wichtigsten Spielstätten für Kinder und Jugendliche in der DDR, behält es bis 1980 auf dem Spielplan, z. B. als Gastspiel im Pionierpalast „Ernst Thälmann“. Und auch im TV wird die Aufzeichnung wiederholt (12.1.1975, 2.8.1976).

Aufnahmeort: Theater der Freundschaft (heute: Theater an der Parkaue), Parkaue 29, 10367 Berlin

Aufführung: „Die kluge Susanne“ (DDR, 1973, Fernsehregie: Horst Netzband). Ist noch nicht auf DVD/Blu-ray erschienen.

Filmstudio/Potsdam-Babelsberg: „Wie heiratet man einen König“ (DDR 1969)

Eine der schönsten Verfilmungen des Märchens ist die DEFA-Produktion „Wie man einen König heiratet“ von Regisseur Rainer Simon. Das Drehbuch schreibt er zusammen mit Günter Kaltofen (1927–1977). Der Märchenfilm entsteht im Sommer 1968, zum Großteil auf dem Freigelände des VEB DEFA-Filmstudio in Potsdam-Babelsberg.

Denn der damals 27-jährige Simon möchte die Handlung „sehr vital und ursprünglich“ inszenieren. Und: „Ich glaube, eine zu starke Stilisierung könnte leicht zu einer Sterilisierung des Märchens führen.“ (Neue Zeit, 4.8.1968). Der Jung-Regisseur spielt damit womöglich auf seinen Kollegen Walter Beck (1929–2024) an, der zuvor in der Atelierproduktion „König Drosselbart“ (1965) das „bewußt in Szene gesetzte Artifizielle des Märchenmilieus“ (Mihan 1990, S. 58) vorzieht.

Westfassade der thüringischen Wartburg

Szenenbildner Hans Poppe (1928–1999) und Jochen Keller verorten die Geschichte etwa im 16. Jahrhundert. Ihre (Neu-)Bauten und Arrangements erinnern an Bauernbilder des flämischen Malers Pieter Bruegel (um 1525/1530–1569) oder an Gemälde Albrecht Dürers (1471–1528). Beispielsweise das schmale Fachwerkhäuschen an einem Weiher, in dem Vater (Sigurd Schulz) und Tochter (Cox Habbema, 1944–2016) leben (vgl. Rader 2021, S. 143).

Wie heiratet man einen König (DDR 1969): Die Wartburg (r.) dient als Vorbild / © Maik Grabosch/pixelio.de

Wie heiratet man einen König (DDR 1969): Die Wartburg (r.) dient als Vorbild / © Maik Grabosch/pixelio.de


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Der König (Eberhard Esche, 1933–2006) residiert dagegen in einer Burg, die sich architektonisch an der Westfassade der thüringischen Wartburg (Eisenach) orientiert – hier allerdings um eine Freitreppe ergänzt (vgl. ebd. S. 144), die Kameramann Claus Neumann (1938–2017) auch aus der Vogelperspektive fotografiert.

Drehort: u. a. VEB DEFA Studio für Spielfilme, 1502 Potsdam-Babelsberg, August-Bebel-Straße 26–53

Film: Wie heiratet man einen König (DDR, 1969, R: Rainer Simon). Ist auf DVD/Blu-ray erschienen.

Weiterer Film: Die kluge Bauerntochter (DDR, 1960, R: Wolfgang Bergner, Animationsfilm)

Verwendete Quellen:

  • Brüder Grimm: Die kluge Bauerntochter. In: Kinder- und Hausmärchen. Ausgabe letzter Hand mit den Originalanmerkungen der Brüder Grimm. Mit einem Anhang sämtlicher, nicht in allen Auflagen veröffentlichter Märchen und Herkunftsnachweisen hrsg. von Heinz Rölleke. Stuttgart: Reclam, 1980, Bd. 2, S. 57–60.
  • Die kluge Bauerntochter (BRD/CH 1977). In: Filmportal (abgerufen: 24.5.2025)
  • Die kluge Susanne (DDR 1973): In: Fernsehen der DDR. Online-Lexikon der DDR-Fernsehfilme, Fernsehspiele und TV-Inszenierungen (abgerufen: 24.5.2025)
  • H. U.: Possenspiel zwischen bunten Bauklötzen. In: Neue Zeit 28 (1972), Nr. 64, 15.3.1972, S. 4.
  • – lle: Gangster, Palmen und Fontänen: Als Zaungast bei Nachtaufnahmen der DEFA. In: Neue Zeit 24 (1968), Nr. 183, 4.8.1968, S. 6.
  • Mihan, Angelika: König Drosselbart (1965). In: Berger, Eberhard/Giera, Joachim (Hrsg.): 77 Märchenfilme. Ein Filmführer für jung und alt. Berlin: Henschel, 1990, S. 56–59.
  • Rader, Corinna Alexandra: Wie heiratet man einen König, DEFA 1969. „Das ist ja fast nur Wahrheit“. In: Dies.: Von wahren Kunstwelten. Szenographie im DEFA-Märchenfilm. Weimar: VDG, 2021, S. 141–146.
  • Scholz, Joachim: Märchen mit Clownerie? Zur jüngsten Premiere im Theater der Freundschaft. In: Berliner Zeitung 28 (1972), Nr. 74, 14.3.1972, S. 6.


Headerfoto: Die kluge Bauerntochter (D 2009): Die Titelheldin (Anna Maria Mühe) heiratet den König (Maxim Mehmet) / © MDR/Sandy Rau