Der tschechoslowakische Märchenfilm gilt vielen als Action-Abenteuer mit spektakulären Kampfszenen. Dabei ist es vor allem die Geschichte über einen jungen Mann auf der Suche nach sich selbst.
Schon eine erste Verfilmung des Märchens „Prinz Bajaja“ findet das einhellige Lob der Kritik in Ost und West: Gemeint ist Jiří Trnkas (1912–1969) abendfüllender Puppentrickfilm (ČSR 1950). Zwar schrieb der tschechische Regisseur die Vorlage von Božena Němcová (1820–1862) ein wenig um (aus dem Prinzen wird der „arme Dorfbursche Bajaja“, dem die Prinzessin am Ende in sein „einfaches bäuerliches Vaterhaus“ folgt).
Doch die Animation der Puppen, die „solch intensives Leben atmen“, sowie Farbgebung und Musik, wiegen die weltanschaulichen Eingriffe elegant auf. Als der Streifen in der DDR anläuft, meint der Rezensent der „Neuen Zeit“ zu Recht: „Wer jung ist oder sich jugendlichen Sinn bewahrt hat, sieht ihn sich an“.
(Das gilt im Übrigen auch für die aktuelle Ausstellung „Trnka – Die Geschichte einer Legende“, 21.5.–31.8.2025, in der Prager Galerie „Villa Pellé“, in der „Prinz Bajaja“ erwähnt wird.)
„Prinz Bajaja“ (1971) von Antonín Kachlík

DVD-Cover / Quelle: Icestorm
Dennoch: Das Genre entwickelt sich weiter, z. B. wird „mehr Aufmerksamkeit auf die Figuren und das Milieu“ verwendet. Die tschechische Filmwissenschaftlerin Maria Benešová meint damit „psychologisch kompliziertere Gestalten, die dadurch dramatischer, dynamischer wurden, deren Individualität besser durchgezeichnet war“ (Benešová 1990, S. 271). Zudem wird das Filmstudio neu strukturiert. So entsteht 1970 eine dramaturgische Gruppe für den Kinder- und Jugendfilm, die auch die Anforderungen an das Genre steigen lassen (vgl. Strobel 1982, S. 12).
Damals reicht der wegen seines Engagements im „Prager Frühling“ mit einem Berufsverbot belegte František Pavlíček (1923–2004) unter dem Namen von Eva Košlerová (1932–2011) das Drehbuch für „Prinz Bajaja“ ein (vgl. Retzlaff 2018, S. 240). Regisseur Antonín Kachlík (1923–2022) ist ebenso am Filmskript beteiligt. Die Komödie, der Kriminal-, Jugend- und Abenteuerfilm sind eigentlich seine Lieblingsfächer (vgl. Reichow 1990, S. 388f.). Da verwundert es kaum, wenn er die Geschichte ein wenig anders erzählt als Božena Němcová.
Warum heißt der Prinz Bajaja?
Bei ihr hat der Prinz noch einen Zwillingsbruder. Weil dieser aber bevorzugt wird, reitet er auf seinem sprechenden klugen Pferd in die Welt. Es rät ihm, als unscheinbarer stummer Diener in einem Königsschloss zu arbeiten. Da das einzige Wort, was er spricht, wie ba-ja-ja klingt, nennen ihn dort alle nur Bajaja (wobei die letzte Silbe belohnt wird).

Prinz Bajaja (1971): Der vermeintliche Gärtner (Ivan Palúch) und sein Zauberpferd / Quelle: Cinema.de
Doch das Reich wird von drei Drachen bedroht, die nacheinander die drei Töchter des Königs fordern. Mit Hilfe seines Pferds tötet Bajaja – unerkannt in Ritterrüstung – erst die Drachen und besiegt später ein feindliches Heer, das dem König den Krieg erklärt hatte. Erst bei einem Ritterturnier, das Bajaja gewinnt, gibt er sich zu erkennen und heiratet die jüngste Königstochter.
Der Märchenfilm hält sich zwar an dieses erzählerische Grundgerüst, lässt aber einzelne Züge weg (nur eine statt drei Töchter, sich wiederholende Drachenkämpfe, Sieg übers feindliche Heer) und setzt zugleich neue Akzente.
Ivan Palúch (1940–2015): erst Prinz, dann Bettler
Jene „psychologisch kompliziertere[n] Gestalten“ aber, die Maria Benešová auffallen, scheinen bereits in der Eingangssequenz ihre Entsprechung zu finden: Ein junger Mann schaut ernst, nachdenklich, fast ein wenig entrückt in die Ferne; die Kamera zeigt ihn dabei fünf Sekunden lang ganz nah in einer Großaufnahme. Eine untypische Eröffnung für einen Märchenfilm, bedient sich das Genre doch oftmals Panoramaeinstellungen, in denen Landschaften oder Schlösser zu sehen sind.

Prinz Bajaja (1971): Der Königssohn (Ivan Palúch) im ungewöhnlichen Establishing Shot / Quelle: Cinema.de
Es ist der damals 30-jährige Schauspieler Ivan Palúch (1940–2015), den die Kamera hier in der Titelrolle von „Prinz Bajaja“ filmt. Einige Jahre zuvor hat er im hochgelobten Mittelalter-Epos „Marketa Lazarova“ (ČSSR 1967) auf sich aufmerksam gemacht. Nach dem Ende des „Prager Frühlings“ fällt der Slowake – wie Pavlíček – jedoch in Ungnade, weil er den Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts kritisiert und muss um Aufträge betteln.
„Prinz Bajaja“ kann als letzter großer Film gelten, in dem er mitspielt. Das Drehbuch lässt die Vorgeschichte mit Eltern und Zwillingsbruder weg; hier ist der Held nur ein junger, einsamer Prinz, der seine Burg verlässt, um das Glück zu suchen.
Christopher Vogler: Held, Mentor, Schatten
Eine alte, weise Frau warnt ihn vor Gefahren („Der Weg zur Hölle ist mühelos, denn er führt niemals bergauf; doch der Weg ins Paradies […] ist steil und hart“); hingegen erzählt ihm ein alter, weißhaariger Mann vom König, dessen nunmehr einzige Tochter einen Drachen heiraten muss. Das will der Prinz verhindern. Beide, Alte und Alter, sind aber keine Mentoren im klassischen Sinn (nach Drehbuchautor und Hollywood-Berater Christopher Vogler), die dem Prinzen helfen.
Diese Rolle übernimmt das weiße, mit leichtem Nachhall (= Magie) sprechende Pferd, das er vor den Misshandlungen eines neu ins Figurenensemble aufgenommenen Schwarzen Ritters (Fero Velecký, 1934–2003) und seiner Kumpane befreit. Deutlich tritt bereits hier die Farbsymbolik auf, die den ganzen Film durchzieht: Denn Weiß steht für Göttlichkeit, Reinheit, Unschuld – Schwarz dagegen für Dunkelheit, Bedrohung, Tod.

Prinz Bajaja (1971): Der schwarze Ritter (Fero Velecký, M.) mit seinen Helfershelfern / Quelle: Cinema.de

Prinz Bajaja (1971): Drehort Schloss Hrubá Skála (Aufnahmedatum: 14.10.2006) / Quelle: Hejkal/Wikimedia Commons
Die Figur des schwarzen Ritters ist überdies mit der Selbstfindung des Prinzen von Beginn an eng verwoben. Er verfolgt ihn wie ein finsterer „Schatten“ (ein weiterer bekannter Märchencharakter nach Vogler), ist sein Gegenspieler.
Zum ersten, wenn der Ritter später als einer der drei Freier auftaucht und um die Hand der schönen Prinzessin Slavěna (Magda Vášáryová) anhält. Zum zweiten, wenn er sich als vermeintlicher Sieger im Drachenkampf präsentiert (obgleich Bajaja unerkannt in Rüstung das Untier tötet, aber davon reitet). Und zum dritten, wenn er im Ritterturnier gegen den eigentlichen Drachentöter (Bajaja) den Kürzeren zieht – das im Hof von Schloss Hrubá Skála stattfindet (welches sich in Nordböhmen befindet).
(Genau 40 Jahre später wird eine ähnlich konzipierte „Schatten“-Figur als Schwarzer Ritter in „Der Eisenhans“, BRD 2011, ihre Auferstehung finden.)
Rote Rosen, goldene Äpfel, antike Liebesorakel
Doch der Märchenfilm ist neben einer actionreichen Ritter- und Abenteuergeschichte mit spektakulären Kampfszenen auch ein Liebesfilm: Prinz und Prinzessin lernen sich bereits in der Exposition kennen, freilich inkognito beim Blinde-Kuh-Spiel. Auf Rat des getreuen Pferds tritt er ihr wenig später aber als stummer Gärtner gegenüber – verkleidet mit rothaariger Perücke und Augenklappe –, wird am Hof ihr Spaßmacher, Freund und Gefährte, ihr Bajaja.

Prinz Bajaja (1971): Der als Gärtner verkleidete Prinz (Ivan Palúch) ahmt den Drachen nach / Quelle: Cinema.de
Seine Zuneigung zeigen rote Rosen (= Symbol für Liebe und Leidenschaft) und Äpfel (= Liebes- und Fruchtbarkeitssymbol) an, die er der Prinzessin aus dem Garten bringt. Zudem tritt der Apfel später als Liebesorakel auf, wenn ihn Slavěna im Festsaal auf dem Boden vor den Freiern rollen lässt: An wessen Schuh der Apfel zum Stillstand komme, werde ihr Mann. Er bleibt, wenig verwunderlich, vor den Füßen Bajajas liegen.
Das Motiv, das schon in Božena Němcovás Vorlage auftritt („goldener Apfel“), zeigt einmal mehr die Nähe des Volksmärchens zum antiken Mythos („Urteil des Páris“). Gleichzeitig sind Parallelen zu anderen Märchen erkennbar, wie „Die zwei Brüder“ (KHM 60, Prinzessin soll vermeintlichen Drachentöter heiraten) oder erwähntem „Der Eisenhans“ (KHM 136), wo ein als Ritter verkleideter Gärtner bzw. Prinz ebenso in eine Schlacht zieht und sich am Fuß verletzt.
Tiefliegende Fragen nach dem Selbst
Im Hinblick auf Bajajas Drachenkampf wird oft die filmische Umsetzung des Untiers kritisiert. Sie sei, so der Vorwurf, damals bereits veraltet und angestaubt. Freilich ist der Drache nur mechanisch und pyrotechnisch animiert (Qualm aus dem Maul), doch im Zusammenspiel mit Kameraführung, Schnitt, Geräuschkulisse ist auch diese Sequenz für die Entstehungszeit spannend inszeniert – ohne allzu vordergründige Effekthascherei (Kamera: Jiří Macák, 1939–2023).

Prinz Bajaja (1971): Der Königssohn (Ivan Palúch) stellt sich in Ritterrüstung dem Drachen / Quelle: Cinema.de

Prinz Bajaja (1971): Die Farbdramaturgie lässt sich auch beim Ritterturnier erkennen / Quelle: Cinema.de
Vielmehr wirft „Prinz Bajaja“ fortwährend tiefliegende Fragen nach dem Selbst auf: Die Prüfungen, wie Drachenkampf oder das spätere Ritterturnier, sind dabei zweitrangig und in gewisser Weise austauschbar. Anfangs ist der Königssohn ein ungeduldiger Luftikus – was sein Kamerad, das sprechende Pferd, früh erkennt („Du, Träumer!“). Als es den Prinzen fragt: „Strebst du nach Ruhm oder Glück?“, antwortet er noch: „Das Glück ist mir wichtiger!“
Ähnliche Fragen werden in Wilhelm Hauffs „Das Märchen vom falschen Prinzen“ (1826) verhandelt: Als es am Ende darum geht, den richtigen vom falschen Königssohn zu unterscheiden, wählt Labakan, der Schneidergeselle, „Glück und Reichtum“. Omar, der rechtmäßige Thronfolger, entscheidet sich für „Ehre und Ruhm“ – denn sein Schicksal lehrte ihn „wie unsicher das Glück, wie vergänglich der Reichtum ist“ (Hauff 2002, S. 113).
„Was ist Glück?“ – „Die Freude, anderen zu helfen“
Unser Königssohn ist anfangs auch noch ein unfertiger, ‚falscher’ Prinz, der hastig dem (Liebes-)Glück nachjagt, was vor allem in den Zwiegesprächen mit seinem Pferd deutlich wird. Dabei wird die Suche nach dem Glück nicht per se infrage gestellt, wohl aber das Ziel. Als der Prinz am Ende sein Pferd fragt: „Was ist Glück?“, antwortet es: „Die Freude, anderen zu helfen.“
Es bringt den Königssohn auch dazu, seine Eitelkeit (Superbia) zu überdenken, wenn er sich als tapferer Ritter („Held“) vor der Prinzessin profilieren möchte. Denn jene Eitelkeit ist – neben Geiz, Wollust, Zorn, Völlerei, Neid und Faulheit – eben auch eine der sieben christlichen Todsünden. „Wichtig wird [dabei], daß der junge Prinz nicht nur den Drachen besiegt, nicht nur den schwarzen Ritter, sondern vor allem sich selbst“ (Mihan 1990, S. 294).

Prinz Bajaja (1971): Und jetzt darf der Bräutigam die Braut (Magda Vášáryová) küssen / Quelle: Cinema.de
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Wie man Prinzessinnen weckt (ČSSR 1977)
Drei Haselnüsse für Aschenbrödel (ČSSR/DDR 1973)
Die wahnsinnig traurige Prinzessin (ČSSR 1968)
Die stolze Prinzessin (ČSR 1952)
Zu guter Letzt scheint es, dass das Drehbuch-Team Pavlíček/Košlerová/Kachlík dem Prinzenpaar das klassische Happy End verweigert. Erhält doch der Königssohn im Märchen zumeist, nachdem er alles Böse besiegt hat, die Königstochter folgerichtig zur Frau. Hier nicht. Bajaja macht der Prinzessin nur Andeutungen, wer der Ritter – der für sie zweimal kämpfte – sei. Am Ende darf er sie aber trotzdem romantisch im Wald wach küssen. Fast wie bei Dornröschen.
Film: „Prinz Bajaja“ (ČSSR, 1971, Regie: Antonín Kachlík). Ist auf DVD („Die Märchenbox 3: 4 DVDs: Ein Klecks ins Märchen, Prinz Bajaja, Prinzessin Julia, Wie Honza beinahe König geworden wäre“, Icestorm, 2009) erschienen.
Hinweis: Die westdeutsche Synchronfassung (Aventin-Filmstudio, Buch und Dialog-Regie: Ursula Zell) mit einer Länge von ca. 73 Minuten liegt diesem Beitrag zugrunde.
Video: Hier klicken und „Prinz Bajaja“ auf FC2 Video anschauen. (zuletzt aufgerufen: 30.6.2025)
Drehort: u. a. Schloss Hrubá Skála (dt.: Schloss Groß-Skal), 511 01 Hrubá Skála-Turnov 1, Tschechien
Verwendete Quellen:
- Benešová, Maria: Der Flug der Phantasie. In: Berger, Eberhard/Giera, Joachim (Hrsg.): 77 Märchenfilme. Ein Filmführer für jung und alt. Berlin: Henschel, 1990, S. 267–275.
- BKD: Das Glück des Prinzen Bajaja. Ein bezaubernder Film aus dem Puppenreich. In: Neue Zeit 9 (1953), Nr. 131, 9.6.1953, S. 4.
- Hauff, Wilhelm: Das Märchen vom falschen Prinzen. In: Sämtliche Märchen. Mit den Illustrationen der Erstdrucke. Hrsg. von Hans-Heino Ewers. Stuttgart: Reclam 2002, S. 98–116.
- Kachlíková, Markéta/Fraňková, Ruth: Traummacher Jiří Trnka: Große Ausstellung in Prag. In: Radio Prague International (vom 26.6.2025, abgerufen: 27.6.2025)
- Mihan, Angelika: Prinz Bajaja (Princ Bajaja). In: Berger, Eberhard/Giera, Joachim (Hrsg.): 77 Märchenfilme. Ein Filmführer für jung und alt. Berlin: Henschel, 1990, S. 291–294.
- Němcová, Božena: Prinz Bajaja. In: Märchenbasar (abgerufen: 27.6.2025)
- Reichow, Joachim: Antonín Kachlík. In: Berger, Eberhard/Giera, Joachim (Hrsg.): 77 Märchenfilme. Ein Filmführer für jung und alt. Berlin: Henschel, 1990, S. 388f.
- Retzlaff, Steffen: Der tschechoslowakische Märchenspielfilm (1920–1989). In: Dettmar, Ute/Pecher, Claudia Maria/Schlesinger, Ron (Hrsg.): Märchen im Medienwechsel – Zur Geschichte und Gegenwart des Märchenfilms. Stuttgart, 2018, S. 229–249.
- Strobel, Hans: Kinderfilme in der Tschechoslowakei (1945–1979). In: Der Kinderfilm in der Tschechoslowakei. Sonderdruck der Kinder- und Jugendfilm Korrespondenz. München: 1982
- Vogler, Christopher: Die Odyssee des Drehbuchschreibers. Über die mythologischen Grundmuster des amerikanischen Erfolgskinos. Frankfurt a. M.: Zweitausendeins, 1997
- [o. A.]: „Prinz Bajaja“: Schauspieler Ivan Palúch gestorben. In: Neue Zürcher Zeitung (vom 4.7.2015, abgerufen: 27.6.2025)
- [o. A.]: Zabudnutý príbeh Ivana Palúcha: Z červeného koberca v Cannes pád až na dno! Myšlienky na samovraždu. In: topky.sk (vom 20.6.205, abgerufen: 30.6.2025)
Weitere Literatur: Sůva, Lubomír: „Zürnst du deinem Bräutigam, daß du dich vor ihm verbirgst?“. Zur Genese von „Prinz Bajaja“ von Božena Němcová im Vergleich mit „Bajaja“ von Jiří Trnka und „Eisenhans“ der Brüder Grimm. In: Märchen, Mythen und Moderne. 200 Jahre Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm. 2 Bd. Hrsg. von Claudia Brinker-von der Heyde, Holger Ehrhardt und Hans-Heino Ewers. Frankfurt: Peter Lang, 2015, S. 959–970.
Headerfoto: Ivan Palúch (1940–2015) als „Prinz Bajaja“ (ČSSR 1971) / Quelle: Cinema.de