Die äußerst poetische Inszenierung gehört zu den Perlen des frühen tschechoslowakischen Märchenfilms. Die dem Genre eigene Schwarzweißmalerei – hier gut, dort böse – ist dabei besonders effektvoll umgesetzt.
Als „Die stolze Prinzessin“ in Ost (DDR-Start: 25.12.1952) und West (BRD-Start: 3.10.1954) anläuft, wird der Märchenfilm aus der benachbarten Tschechoslowakischen Republik (ČSR) – die Jahre zuvor noch von Deutschen besetzt war – freundlich aufgenommen. Die DDR zählt ihn zu „den wohlgelungenen Kinderfilmen“ (Rostin 1953, S. 4) und auch die westdeutsche Kritik hält ihn für „[g]ewinnend kindertümlich“ (Filmdienst 1954).
Der in Schwarzweiß gedrehte, erste tschechische Nachkriegsmärchenspielfilm erzählt über die hochmütige Prinzessin Tausendschön. Der junge und gute König Miroslav aus dem Nachbarreich hält um ihre Hand, wird aber gar nicht vorgelassen. Verkleidet als Gärtner nimmt er am Hof der Prinzessin eine Stelle an und bringt sie dazu, ihren Stolz abzulegen sowie Fleiß und Arbeit zu schätzen. Beide verlieben sich. Doch erst nach einer abenteuerlichen Flucht, bei der ihnen das einfache Volk hilft, können sie am Ende heiraten.
Märchenvorlage für „Die stolze Prinzessin“
Das Drehbuch geht auf Motive des Märchens „Bestrafter Stolz“ von Božena Němcová (1820–1862) zurück, in der die Königstochter noch Krasomila heißt. Die tschechische Schriftstellerin veröffentlicht die Geschichte 1845/46 in ihrer Sammlung „Tschechische Volksmärchen und Sagen“. In den 1950er-Jahren werden noch zwei ihrer Stücke verfilmt, wie „Salz ist wertvoller Gold“ („Es war einmal ein König“, ČSR 1955) – aus den nachfolgenden „Slowakischen Märchen und Sagen“ (1857/58) – und „Die Prinzessin mit dem goldenen Stern“ (ČSR 1959).
„Bestrafter Stolz“ ist in Fabel und Motiven dem Grimm’schen „König Drosselbart“ (1812) sehr ähnlich. Dennoch entscheiden sich die Filmemacherinnen und -macher um Regisseur Bořivoj Zeman (1912–1991), der auch am Drehbuch beteiligt ist, einige Akzente der Vorlage zu verstärken, andere zurückzunehmen. Diese sind im Übrigen nicht gänzlich neu, sondern typisch für den in Europa sehr verbreiteten Märchentyp von der „Zähmung der Widerspenstigen“.
Viele Armutserfahrungen, wenige Männerfantasien
Die Forscherin Ines Köhler-Zülch (1941–2019) hat einst unterschiedliche Intentionen der Erzählerinnen und Erzähler für das Märchen ausgemacht. Werden diese mit „Die stolze Prinzessin“ abgeglichen, so bleiben erzieherische und soziale Absichten erhalten, wenn der „Wert von Arbeit“ vorgeführt oder „das durch eigene Armutserfahrungen erworbene Verständnis der jungen Königin für ihre Untertanen“ betont wird. Andererseits sind „Männerphantasien, die darum kreisen, die Frau psychisch und physisch zu brechen“, deutlich zurückgenommen (vgl. Köhler-Zülch 1996, Sp. 154).
Mehr noch: Der Charakter der Prinzessin (sowohl zickig als auch liebenswert: Alena Vránová, *1932) wird psychologisch begründet. Sie sei eine bedauernswerte Halbwaise („Die Mutter hat das arme Ding gar nicht mehr gekannt“), die von den königlichen Ratgebern nur schlecht erzogen wurde. Zugleich wird „der Musik und damit der Kunst und Poesie besonderer Stellenwert zugedacht“ (Winkler 1990, S. 279).
Extreme Unterschiede in „Die stolze Prinzessin“
Denn im „Reich des Mitternächtlichen Königs“, in dem Tausendschön lebt, ist das Singen verboten – wenig verwunderlich, dass sich das auch auf die Menschen auswirkt, die in dem Land wohnen. Ganz im Unterschied zum „Reich des Königs Miroslav“ (edel und erhaben: Vladimír Ráž, 1923–2000), in dem vor allem gesungen und getanzt wird, und in dem das Volk glücklich und zufrieden ist.
Dieser fundamentale Gegensatz macht das dramaturgische Grundkonzept in „Die stolze Prinzessin“ deutlich. Es sind extreme Kontraste, die sich neben den Handlungsorten ebenso in den Figuren zeigen. Freilich sind, nach dem Literaturwissenschaftler Max Lüthi (1909–1991), „Kontraste innerhalb des Ganzen einer Märchenerzählung nicht wegzudenken, sie garantieren nebst anderen Stilmitteln die Abstraktheit des Märchens“ (zitiert nach Horn 1996, Sp. 247).
Hell, freundlich, lichtdurchflutet
Doch in „Die stolze Prinzessin“ werden diese Gegensätze geradezu lustvoll inszeniert, inklusive Schwarzweißmalerei (und das ist wörtlich zu nehmen, wenn auf einem schwarzen Wegweiser zum „Reich des Mitternächtlichen Königs“ ein ebenso schwarzer Geier – Symbol des Todes – ahnungsvoll krächzt; der Holzwegweiser zum „Reich des Königs Miroslav“ ist weiß getüncht).
Die Unterschiede spiegeln sich genauso in den Ländern selbst: hier das sonnenbeschienene Reich von Miroslav, in dem alles hell, freundlich, lichtdurchflutet wirkt, egal ob er zu Pferd durchs Land reitet oder im Thronsaal seines Schlosses sitzt. Drehort für Außenaufnahmen ist das Renaissanceschloss Telč, etwa zwei Autostunden südlich von Prag.
Schloss Telč ist Drehort für Miroslav-Zuhause
Die Kamera von Jan Roth (1899–1972) fängt dabei den Schlosshof mit seinen Rundbogen-Arkaden ein. Zudem hält er Miroslav zweimal vor einem antikisierten, opulenten Stuck-Relief fest, das sich im Park an einer Außenwand befindet – was der ganzen Szenerie, und dem König selbst, etwas Göttliches, Erhabenes verleiht, aber wiederum ins Gegenteil verkehrt wird, wenn er wie ein ‚einfacher’ Mann Früchte von einem Obstbaum nascht.
Der Kamerastil macht indes noch etwas anderes deutlich: eine Filmästhetik der 1930er- und 1940er-Jahre. Das verwundert kaum, schließlich hatte Roth noch Jahre zuvor im sogenannten „Reichsprotektorat Böhmen und Mähren“ einige NS-Unterhaltungsfilme fotografiert, z. B. unter Helmut Käutner (1908–1980) oder Arthur Maria Rabenalt (1905–1993).
Tausendschön-Schloss steht in Hluboká nad Vltavou
Sein Mitternächtliches Reich erinnert dagegen an der Grenze an eine karge, menschenfeindliche Landschaft mit leblosen Baumstümpfen, in der nichts zu gedeihen scheint. Für das Zuhause, in dem Tausendschön mit ihrem Vater lebt und das im Vorspann als Zeichnung im Hintergrund erscheint, werden sowohl Außen- als auch Innenansichten von Schloss Hluboká nad Vltavou in Südböhmen verwendet, das im 19. Jahrhundert im Tudorgotikstil umgebaut wurde.
Einige ebenfalls gotische Schlossinnenräume wirken darin dunkel und bedrückend. An den das Kreuzrippengewölbe stützenden Strebepfeilern finden sich vereinzelt abschreckende, teufelsähnliche Gestalten, gleich den historischen Wasserspeiern an Dachrinnen, die im Aberglauben das Unheil abwehren sollten (vgl. Conti 2000, S. 22). Der Thron des Königs ist mit Drachen- und Greifvogelköpfen bestückt; im Thronsaal sind überall bewaffnete Soldaten postiert.
Diese durchschaubaren Gegensätze in der Ausstattung sind hier nicht als Kritik zu werten, vielmehr erleichtern sie – wie in den geschriebenen Märchen – auch die Identifikation fürs kindliche Publikum und bieten einfache Lebens- und Orientierungshilfen (vgl. Horn 1996, Sp. 246).
Die Guten: König Miroslav, Amme, Diener Vitek
Das Figurenensemble, bei Němcová noch überschaubar, ist ebenso dem neuen dramaturgischen Grundkonzept unterworfen und aufgestockt. An der Spitze der Guten steht freilich König Miroslav, der besonders volksnah inszeniert wird. Das zeigt sich zu Beginn in einer mehrminütigen, langatmigen Eingangssequenz. Jene lässt über seine Güte keine Zweifel aufkommen, obwohl er ja als König in einer sozialistischen Märchenadaption auf der ‚falschen’ Seite steht.
Ihm sind als neue hilfreiche Nebenfiguren eine alte Amme (Mária Sýkorová, 1888–1967), die die Prinzessin groß gezogen hat, und der Diener Vitek (Gustav Heverle, 1920–2008) zugedacht. Das ‚hilfsbereite Mütterchen’ wird in späteren tschechoslowakischen Märchenverfilmungen zum festen Figurenensemble gehören. Sein Vorbild mag es dabei in Božena Němcovás Roman „Die Großmutter“ (1855) finden, in dem die Dichterin ihre idealisierten, poetisch ausgeschmückten Kindheitserinnerungen schildert.
Auf der Seite der ethisch Guten stehen – wenig verwunderlich – ebenso die arbeitsamen und fleißigen Menschen aus dem Volk, wie z. B. Bauern, Kohlenbrenner, Müller. Sie helfen dem Gärtner (Miroslav) und Tausendschön, den königlichen Häschern zu entkommen, auch weil das inkognito flüchtende Paar die Arbeit nicht scheut und kräftig zupackt.
Die Bösen: vier Räte und Steuereinnehmer
Für ihre Flucht sind Figuren verantwortlich, die sich am anderen Ende der Gut-Böse-Skala befinden, wobei hier Abstufungen in den Charakteren auftreten. Zwar führt Tausendschöns Vater (Stanislav Neumann, 1902–1975) das Land schlecht, doch er ist alt, infantil, leicht beeinflussbar und vergesslich. Das Reich regieren eigentlich der Kanzler (Miloš Kopecký, 1922–1996), der Schatzmeister (Karel Effa, 1922–1993) und der Zeremonienmeister (Oldřich Dědek, 1920–1973). Ihnen dient zudem ein willfähriger Steuereinnehmer (Josef Hlinomaz, 1914–1978).
Das korrupte, gemäß der Farbdramaturgie in dunklen Kleidern kostümierte, schwarzhaarige Quartett fürchtet um seine Macht, wenn der Gärtner (Miroslav) die Prinzessin heiratet, und setzt alles daran das zu verhindern. Dabei werden sowohl der König als auch seine Räte in ihren Charakteren humorvoll karikiert; das Böse verliert dadurch etwas an Schärfe, gefährlich bleibt es dennoch bis zum Schluss. Zugleich tritt durch die Komik der erzieherische Charakter des Märchenfilms nicht so stark in den Vordergrund.
Singende Zauberblume: neu im Drehbuch
Dieses Spiel der Gegensätze, sowohl in Ausstattung als auch im Figurenensemble, ist noch von einem Motiv überspannt, das in der Vorlage nicht auftritt: der singenden Zauberblume. Im Volksmärchen besitzt sie magische Kräfte, ist Helfer oder Schlüssel zum Glück und gilt als Heilmittel (vgl. Meinel 1979, Sp. 484f.).
Auch hier hat es mit der Blume eine Bewandtnis: „Sie verwelkt durch Hochmut. Sie ist mit jemandem, der stolz ist, allein gewesen“, sagt der vermeintliche Gärtner zur selbstverliebten Tausendschön, als die Blume den Kopf hängen lässt. Am Ende kuriert sie die Prinzessin, wenn sie in ihrem Beisein ‚singt’ und nicht verkümmert. Ihre Melodie zieht sich dabei als Leitmotiv durch die sinfonisch-opulente, paraphrasierende Filmmusik (Dalibor Vačkář, 1906–1984) – die ihren Charakter, wie typisch für den Märchenfilm, aus den gezeigten Bildern ableitet.
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Die wahnsinnig traurige Prinzessin (ČSSR 1968)
Drei Haselnüsse für Aschenbrödel (ČSSR/DDR 1973)
Wie man Prinzessinnen weckt (ČSSR 1977)
Dass „Die stolze Prinzessin“ in der DDR später sogar zu einem Vorbild avanciert, zeigt „Das singende, klingende Bäumchen“ (DDR 1957). Zwar verwenden Regisseur Francesco Stefani (1923–1989) und Autorin Anne Geelhaar (1914–1998) für den Film Motive aus einem Feenmärchen („Das singende, klingende Bäumchen, oder der bestrafte Uebermuth“, 1801) und Grimm’schen Märchen („Hurleburlebutz“, 1812). Doch eine Funktion des Bäumchens – hier: das nur singe, wenn man wahrhaft liebe – steht in keiner der beiden Märchenvorlagen, wohl aber ist es eine ähnliche Drehbuchidee wie in „Die stolze Prinzessin“.
Film: „Die stolze Prinzessin“ (ČSR, 1952, Regie: Bořivoj Zeman). Ist auf DVD („Die Märchenbox 1: 4 DVDs: Das Märchen vom Bären Ondrej, Die stolze Prinzessin, Der Prinz und der Abendstern, Die wahnsinnig traurige Prinzessin“, Icestorm, 2008) erschienen.
Drehorte: u. a.
- Schloss Telč (dt. Schloss Teltsch), nám. Zachariáše z Hradce 1, 588 56 Telč, Tschechien
- Schloss Hluboká nad Vltavou (dt. Schloss Frauenberg), Zámek 10, 373 41 Hluboká nad Vltavou, Tschechien
Video:
- Hier klicken und „Die stolze Prinzessin“ auf Vimeo anschauen. (zuletzt aufgerufen: 28.9.2024)
- Hier klicken und „Pyšná princezna“ in einer tschechischen, nachkolorierten Fassung anschauen. (zuletzt aufgerufen: 28.9.2024)
Verwendete Quellen:
- Brüder Grimm: Hurleburlebutz (Anhang Nr. 10). In: Kinder- und Hausmärchen. Ausgabe letzter Hand mit den Originalanmerkungen der Brüder Grimm. Mit einem Anhang sämtlicher, nicht in allen Auflagen veröffentlichter Märchen und Herkunftsnachweisen hrsg. von Heinz Rölleke. Stuttgart: Reclam, 1980, Bd. 2, S. 468–470; Nachweis zu Anhang 10, Bd. 3, S. 526–528.
- Conti, Flavio: Wie erkenne ich Gotische Kunst? Augsburg: Weltbild, 2000
- Das singende, klingende Bäumchen, oder der bestrafte Uebermuth (1801). In: Feen-Mährchen. Zur Unterhaltung für Freunde und Freundinnen der Feenwelt. Textkritischer Neudruck der anonymen Ausgabe Braunschweig 1801. Hrsg. und kommentiert von Ulrich Marzolph mit einem Vorwort von Jeannine Blackwell: Hildesheim/Zürich/New York: Georg Olms, 2000, S. 252–271 (Reihe: Volkskundliche Quellen. Bd. 3, Märchen und Schwank)
- Filmdienst (1954): Die stolze Prinzessin. In: Filme 1959–61. Kritische Notizen aus drei Kino- und Fernsehjahren. Handbuch VI der katholischen Filmkritik. Düsseldorf: Haus Altenberg, 1962, S. 161.
- Horn, Katalin: Kontrast. In: Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung. Begründet von Kurt Ranke. Hrsg. von Rolf Wilhelm Brednich [u. a.]. Berlin/New York: de Gruyter, 1996, Bd. 8, 245–252.
- Köhler-Zülch, Ines: König Drosselbart. In: Ebd., Sp. 148–156.
- Meinel, Getraud: Blume. In: Ebd., 1979, Bd. 2, Sp. 483–495.
- Němcová, Božena: Bestrafter Stolz. In: Dies.: Das goldene Spinnrad und andere tschechische und slowakische Märchen. Leipzig/Weimar: Gustav Kiepenheuer, 1983, S. 142–153.
- Rostin, Gerhard: Aus Störenfrieden werden Klassenkameraden. Der erste Kinderfilm der DEFA „Die Störenfriede“ fand bei alt und jung begeisterte Aufnahme. In: Neue Zeit 9 (1953), Berliner Ausgabe, Nr. 153, 4.7.1953, S. 4.
- Winkler, Octavia: Die stolze Prinzessin/Pyšná princezna. In: Berger, Eberhard/Giera, Joachim (Hrsg.): 77 Märchenfilme. Ein Filmführer für jung und alt. Berlin: Henschel, S. 276–279.
Weitere Literatur:
Headerfoto: Die stolze Prinzessin (ČSR 1952): Die Titelfigur (Alena Vránová) mit dem vermeintlichen Gärtner (Vladimír Ráž) / Quelle: Icestorm Entertainment