Archiv für den Monat: August 2025

Der Petrusschlüssel (CZ/SK/D 2023): Der magische Türöffner des Jesu-Jüngers ist geklaut / © KiKA/Česká televize/Pavla Černá

90 Minuten Christenlehre: Der Petrusschlüssel (CZ/SK/D 2023)

Der magische Türöffner des Jesu-Jüngers ist geklaut. Was als Märchen-Satire höchst amüsant hätte werden können, endet in einem durchschnittlichen Erziehungsfilm.

Zwar gehören Himmel und Hölle zum Märchen wie Krieg und Frieden. Doch die Filmemacherinnen und -macher reizt die Unterwelt deutlich mehr als das Gottesreich.

Beispiele sind deutsche Adaptionen des Grimmmärchens „Der Teufel mit den drei goldenen Haaren“ (1955, 1977, 2009, 2013), der DEFA-Märchenfilm „Hans Röckle und der Teufel“ (DDR 1974), die 80er-Jahre-Produktion „Mit dem Teufel ist nicht gut spaßen“ (ČSSR 1985) frei nach Božena Němcová („Des Teufels Schwager“) oder zuletzt die slowakisch-dänisch-tschechische Zusammenarbeit in „Die Teufelsfeder“ (2018).

Hier wie dort wird die Hölle zumeist als Ort komischer Verwicklungen inszeniert, in denen der Teufel als Hausherr oftmals den Kürzeren zieht.

Moralische Legendenmärchen

Der Schneider im Himmel (1916): Illustration von Paul Hey / Quelle: Grimm-Wiki

Der Schneider im Himmel (1916): Illustration von Paul Hey / Quelle: Grimm-Wiki

Dabei ist das Gottesreich im literarischen Märchen ebenbürtig vertreten, wie z. B. in den Grimmmärchen „Der Schneider im Himmel“ oder „Das Bürle im Himmel“: In beiden, dem Schwank nahestehenden Geschichten tritt der heilige Petrus auf, der den Schlüssel fürs Himmelsreich verwahrt. Auch die Legendenmärchen der tschechischen Schriftstellerin Božena Němcová sind hier mit zu nennen.

Jedoch schienen solche Art ‚Himmel-Märchen’ lange Zeit ungeeignet für eine Adaption, was den klassischen Märchenfilm betraf. Das hat einerseits mit ihrer Kürze und geringen Bekanntheit zu tun, andererseits damit, dass darin märchenhafte Elemente in den Hintergrund und die christliche Moral deutlich in den Vordergrund treten.

„Ein Engel des Herrn“ (2005)

Im tschechischen Kino änderte sich das allerdings mit der Weihnachtskomödie „Ein Engel des Herrn“ (CZ 2005): Die Geschichte erzählt von Erzengel Petronel, der (einen Tag vor der Geburt des kleinen Christus) im Himmel Unfug treibt. Als er sich auch noch mit Gott anlegt, wird er zu 24 Stunden bei den Menschen verdonnert, um einen Sünder zu bekehren. Gelingt es ihm nicht, landet er am ersten Weihnachtsfeiertag in der Hölle.

Ein Engel des Herrn 2 (CZ 2016): Die Fortsetzung erzählt über die Suche nach dem Apfel des Wissens / © Česká televize

Ein Engel des Herrn 2 (CZ 2016): Die Fortsetzung erzählt über die Suche nach dem Apfel des Wissens / © Česká televize


Der von Jiří Strach inszenierte Film basiert im Kern auf einer Idee von Božena Němcová (ein wandernder Engel auf der Erde). Ansonsten ist er mit intelligentem Witz und Humor frei erzählt, mahnt Demut und Nächstenliebe an und ist mit einer Reihe Märchenmotive (Zaubertasche u. a.) gespickt. Sowohl „Ein Engel des Herrn“ als auch die Fortsetzung („Ein Engel des Herrn 2“, CZ 2016) erreichten beim tschechischen Publikum hohe Einschaltquoten (vgl. Sůva 2018, S. 260ff.).

„Als ein Stern vom Himmel fiel“ (2020)

Es hatte den Anschein, dass die beiden Filme – für das Märchengenre gesprochen – den Weg für ähnliche Plots ebneten, wie z. B. für „Als ein Stern vom Himmel fiel“ (CZ/SK/D 2020).

Als ein Stern vom Himmel fiel (CZ/SK/D 2020): Der Tagesstern (Tereza Ramba, M.) auf der Erde / © KiKA/Česká televize

Als ein Stern vom Himmel fiel (CZ/SK/D 2020): Der Tagesstern (Tereza Ramba, M.) auf der Erde / © KiKA/Česká televize


Die Handlung spielt ebenso kurz vor Weihnachten, an dem ein vermenschlichter weiblicher Stern auf der Erde dem Glück auf die Sprünge hilft. Das Drehbuch steht hier der christlichen Weihnachtsgeschichte nahe (wenn der vom Himmel gefallene Stern, aber nicht die Geburt Jesu ankündigt, wie im Evangelium nach Matthäus [Mt 2,2], sondern die Liebe zweier Erdenbürger aus unterschiedlichen sozialen Schichten befördert).

„Der Petrusschlüssel“ (2023)

Die 90-minütige, tschechisch-slowakisch-deutsche Koproduktion „Der Petrusschlüssel“ (2023) lässt sich ebenso mit in diese Reihe aufnehmen. Sie entsteht in einer Zusammenarbeit der öffentlich-rechtlichen Sender Česká televize (ČT), RTVS – Rozhlas a televíza Slovenska und KiKA. Dennoch ist die Handlung weitaus stärker und eindeutiger an der biblischen Überlieferungsgeschichte ausgerichtet – und vor dem Hintergrund eines moralischen Kodex weitererzählt.

Der Petrusschlüssel (CZ/SK/D 2023): Hier hat der Heilige (Ivan Romančík) ihn noch / © KiKA/Česká televize/Pavla Černá

Der Petrusschlüssel (CZ/SK/D 2023): Hier hat der Heilige (Ivan Romančík) ihn noch / © KiKA/Česká televize/Pavla Černá


Denn der magische Türöffner von Petrus (einer der wichtigsten Apostel und Jünger Jesu, der den Zugang zum Himmelsreich gewährt oder verbietet, [Mt 16,19]) ist verloren gegangen. Im Film entspinnt sich daraufhin eine mit Screwball-Comedy-Elementen gespickte Geschichte inklusive viel Humor, schnellem Rhythmus, übersteigerten Charakteren und einer am Ende nicht-standesgemäßen Heirat – wie schon in „Als ein Stern vom Himmel fiel“.

„Wer viel lügt, hat kurze Beine!“

Das inhaltlich überspannende Thema sind aber christliche Verhaltenstugenden. Deutlich zeigt sich das bereits zu Beginn, als der gute und ehrliche Bänkelsänger Tobiáš (Filip Březina) ein Lied mit der Laute (Spiel: Lukáš Pelikán, Musik: David Solař) singt, dessen Text thematisch schon einmal den Rahmen absteckt:

Wer viel lügt, hat kurze Beine! /
Und bleibt ein Leben lang alleine. /
Drum rate ich: Bleib ehrlich und redlich, /
sonst sucht dich die Liebe tagtäglich vergeblich. /

Der Petrusschlüssel: Tobiáš (Filip Březina) singt vom Lügen und Stehlen / © KiKA/Česká televize/Pavla Černá

Der Petrusschlüssel: Tobiáš (Filip Březina) singt vom Lügen und Stehlen / © KiKA/Česká televize/Pavla Černá


Liebe Herren und liebe Frauen /
so höret auf, euch zu beklauen. /
Denn eines Tages, das könnt ihr mir glauben, /
wachet ihr auf mit Tränen in den Augen.

Erkennbar sind daraus zwei („Du sollst nicht lügen!“, „Du sollst nicht stehlen!“) der zehn Gebote aus dem Alten Testament herauszulesen, hier verbunden mit Folgen, wenn das Gebot missachtet wird. Der heilige Petrus (Ivan Romančík), der sich gerade unter die Menschen mischt und auf dem Weg ins Gasthaus ist (!), lobt das Lied anerkennend („Sehr schön!“).

Himmel oder Hölle?

Doch ausgerechnet Tobiáš wird von Kleinganove Wilhelm (Mark Kristián Hochman) und seinem weiblichen Pendant Emílie (Berenika Kohoutová) in einen Diebstahl hineingezogen (Wilhelm klaut Petrus den Himmelsschlüssel). Bei der Flucht ertrinkt das Trio im Fluss, steht später vor der Himmelspforte, wird von Petrus erkannt („Eure Sünden kenne ich schon, da muss ich erst gar nicht im Sündenbuch nachlesen!“) und zurück auf die Erde geschickt, um den Schlüssel zu holen. Sonst drohe die Hölle – wie schon in „Ein Engel des Herrn“.

Der Petrusschlüssel: Tobiáš (Filip Březina, v.l.n.r.), Wilhelm (Mark Kristián Hochman), Emílie (Berenika Kohoutová) / © KiKA/Česká televize/Pavla Černá

Der Petrusschlüssel: Tobiáš (Filip Březina, v.l.n.r.), Wilhelm (Mark Kristián Hochman), Emílie (Berenika Kohoutová) / © KiKA/Česká televize/Pavla Černá


Bildlich lehnt sich die Himmelstor-Sequenz an pittoreske Kirchen-Deckengemälde der Renaissance, in denen weiße Cumulus-Wolken die Figuren umschweben. Die Komposition atmet dank gold-glänzendem Licht zudem eine gott-erhabene Stimmung (Ausstattung: Jan Vlasák). Petrus selbst trägt überdies einen Heiligenschein – was hier nicht ironisch, sondern ernst gemeint ist. Allenfalls sein Bemühen, das verschlossene Himmelstor mit einem Brecheisen zu öffnen, zahlt auf den Humor ein.

Tschechoslowakische Märchentradition

Auf der anderen Seite verwendet das Filmskript bekannte Märchenmotive und populäre Märchenfiguren, die das Publikum aus anderen tschechisch-slowakischen (und auch tschechoslowakischen, 1948–1990) Märchenfilmen bereits kennt und mitunter eine Reminiszenz an die Tradition des Genres sind:

Dazu zählen im Figurenensemble eine kluge Prinzessin (Sára Korbelová); ein trotteliger Königsvater (Petr Nárožný); ein böser Kanzler (David Novotný), der selbst auf den Thron will, nebst ebenso böser Kanzlerfrau (Sabina Remundová), und ein unglücklich verliebter Wassermann (Lukáš Příkazký) aus dem Schlosssee, der die Prinzessin heiraten will.

Der Petrusschlüssel: Vater (Petr Nárožný) und Tochter (Sára Korbelová) / © KiKA/Česká televize/Pavla Černá

Der Petrusschlüssel: Vater (Petr Nárožný) und Tochter (Sára Korbelová) / © KiKA/Česká televize/Pavla Černá


Der Petrusschlüssel: Schon die Kostümfarbe Lila zeigt den negativen Charakter des Kanzlerehepaares (Sabina Remundová, David Novotný) an / © KiKA/Česká televize/Pavla Černá

Der Petrusschlüssel: Schon die Kostümfarbe Lila zeigt den negativen Charakter des Kanzlerehepaares (Sabina Remundová, David Novotný) an / © KiKA/Česká televize/Pavla Černá


Letztgenannte Figur ist aus Sagen und Märchen entlehnt, in denen Wassermänner und -frauen die Seelen Ertrunkener in kleinen Porzellantöpfchen sammeln. Im modernen Märchenfilm „Wie soll man Dr. Mráček ertränken? Oder: Das Ende der Wassermänner in Böhmen“ (ČSSR 1975) ist dieser Aberglaube originell ausfabuliert. In „Der Petrusschlüssel“ lässt der Wassermann die Seelen zudem in den Himmel zu Petrus aufsteigen.

„Herzog Neptun“ und „Baron Tobiáš“

Außerdem nutzt Drehbuchschreiber Petr Hudský die im Volks- und Kunstmärchen häufig anzutreffenden Freierproben, denn Prinzessin Viola soll verheiratet werden. Dafür sucht das Kanzlerehepaar den „Herzog Neptun“ (Wassermann) aus, der die Prinzessin – so der geheime Kanzler-Plan – nach der Trauung mit in den See nimmt, wo sie ertrinken würde.

Der Petrusschlüssel: Das ist nicht der Hutmacher sondern der Wassermann (Lukáš Příkazký) / © KiKA/Česká televize/Pavla Černá

Der Petrusschlüssel: Das ist nicht der Hutmacher sondern der Wassermann (Lukáš Příkazký) / © KiKA/Česká televize/Pavla Černá


Doch auch der ehrliche Bänkelsänger Tobiáš, der wider Willen als „Baron Tobiáš“ mit Wilhelm und Emílie den Petrussschlüssel im Schloss sucht, findet sich plötzlich als Freier wieder. Dabei spannt die (Not-)Lüge des Trios – sie geben sich als jemand anderes aus als sie eigentlich sind – einen Bogen zu den Verhaltenstugenden („Du sollst nicht lügen!“). Zudem verliebt sich Tobiáš in die Prinzessin – und sie in ihn.

Drei Prüfungen für die beiden Freier

Beide Bewerber, Wassermann und Tobiáš, erfüllen wie im klassischen Märchen drei Aufgaben, die sich das Kanzlerehepaar ausdenkt. Auch jene kreisen um Verhaltenstugenden und um die Frage, ob diese in bestimmten (Not-)Situationen auch einmal umgangen werden können.

Der Petrusschlüssel: Der Kanzler (David Novotný) hintergeht den König (Petr Nárožný) / © KiKA/Česká televize/Pavla Černá

Der Petrusschlüssel: Der Kanzler (David Novotný) hintergeht den König (Petr Nárožný) / © KiKA/Česká televize/Pavla Černá


So müssen die Heiratskandidaten (1) Gold beschaffen (Tobiáš, Wilhelm und Emílie stehlen es dem Kanzlerehepaar, das es wiederum selbst der Bevölkerung mit Hilfe des magischen Petrusschlüssels gestohlen hat), (2) das goldene Fischlein herbeiholen, das Wünsche erfüllt (das Trio stiehlt es dem Wassermann) und (3) den Petrusschlüssel heraufholen, der sich mittlerweile auf dem Grund des Schlosssees befindet (Tobiáš lässt eine Kopie vom Schmied anfertigen, um den Wassermann und das Kanzlerehepaar zu täuschen).

„Aber mit Lügen ist jetzt Schluss!“

Dabei spiegelt sich in den Prüfungen Tobiáš’ in Wahrheit ehrbarer Charakter, wenn er vorschlägt, das gestohlene Gold an die Bevölkerung zu verteilen; sich vom Fischlein wünscht, Menschenleben zu retten und am Ende Prinzessin Viola vorm Ertrinken rettet – und dabei in Kauf nimmt, in der Hölle zu landen, wenn Petrus zu spät den Schlüssel zurückbekommt.

Am Ende hat der Heilige ein Einsehen, weil sich das Trio „gebessert“ hat und schenkt den dreien das Leben auf der Erde, schickt jedoch noch einen Satz hinterher: „Aber mit Lügen und komischen Geschichten ist jetzt endgültig Schluss!“

Keine Satire wie in „Das Leben des Brian“ (1979)

Im Vergleich mit Satiren auf die biblische Überlieferungsgeschichte, wie z. B. „Das Leben des Brian“ (GB 1979) und seiner originellen Kritik an christlichem und jüdischem Dogmatismus, hat „Der Petrusschlüssel“ – wenig überraschend – nichts gemein. Dabei hat die Ausgangsidee (jemand stiehlt dem Heiligen den Türöffner) durchaus das Potential einer spannenden, märchenhaft erzählten Geschichte.

Doch bleibt der Film in der Regie von Karel Janák (u. a. „Wie man keine Prinzessin heiratet“, 2021) streckenweise zu sehr lehrhaftes Exempel und Petrus selbst ein autoritärer Über-Himmel-und-Hölle-Entscheider, dessen Figur nur punktuell mit einem Augenzwinkern angelegt ist. Auch die Idee des „Sündenbuchs“ scheint gestrig und erinnert an „Ablasshandel“ und andere Dummheiten des Spätmittelalters.

Der Petrusschlüssel: Tobiáš (Filip Březina) ist in die Prinzessin verliebt / © KiKA/Česká televize/Pavla Černá

Der Petrusschlüssel: Tobiáš (Filip Březina) ist in die Prinzessin verliebt / © KiKA/Česká televize/Pavla Černá


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Das Märchengenre selbst bedienen vor allem die außerfilmischen Drehorte, wie Schloss Sychrov („Dornröschen und der Fluch der siebten Fee“, D/CZ 2024) oder Burg Zvíkov, aber auch die neu entstandenen: Gemeint ist das vorzügliche Unterwasserreich mit dem Zuhause des Wassermanns, das einfallsreich einem versunkenenen Schiffswrack nachempfunden ist.

Film: „Der Petrusschlüssel“ (CZ/SK/BRD, 2023, R: Karel Janák).

Drehorte:

  • Burg Zvíkov (dt.: Klingenberg), Zvíkovské Podhradí 1, 397 01 Zvíkovské Podhradí, Tschechien
  • Marína Šturmovky, Orlík, 262 31 Bohostice, Tschechien
  • Schloss Sychrov (dt.: Sichrow), 463 44 Sychrov, Tschechien
  • 378 81 Slavonice, Tschechien (Stadtszenen)
  • Sportcentrum Suchdol ČZU, Sídlištní 1073, 165 00 Praha-Suchdol, Tschechien

Verwendete Quellen:


Headerfoto: Der Petrusschlüssel (CZ/SK/D 2023): Der magische Türöffner des Jesu-Jüngers ist geklaut / © KiKA/Česká televize/Pavla Černá