Archiv des Monats: Dezember 2025

Das Märchen vom Schwanensee (2025): Prinz Friedrich (Riccardo Campione) und Schwanenmädchen Odette (Samirah Breuer) / © SWR/kurhaus produktion/Patrick Pfeiffer

Das Märchen vom Schwanensee (D 2025) – oder: Was ist wahre Liebe?

Die ARD verfilmt Tschaikowskys Ballettklassiker eher poetisch als dramatisch – obgleich doch auch Gewalt und Zerstörung zu den fundamentalen Lebenserfahrungen zählen. TV-Premiere ist am 25. Dezember 2025 um 14.20 Uhr im Ersten.

Nachdem die ARD mit Mozarts „Zauberflöte“ bereits eine Oper als einstündiges Märchen adaptierte („Das Märchen von der Zauberflöte“, D 2023), nimmt sie sich jetzt Tschaikowskys Ballett „Schwanensee“ zum Vorbild. Freilich auch deshalb, weil die bekanntesten Grimm- und Andersen-Stücke seit dem Start ihrer Filmreihe „Auf einen Streich“ im Jahr 2008 schon verfilmt sind und Adaptionen unbekannterer Märchen der Popularitäts-Bonus fehlt.

„Das Märchen vom Schwanensee“, so der Filmtitel, bringt diesen zweifellos mit. Denn das weltberühmte Ballett (1877) nach der Musik des russischen Komponisten Peter I. Tschaikowsky (1840–1893) gilt als Klassiker auf den Tanzbühnen. Er erzählt die tragische Liebesgeschichte von Prinz Siegfried und der in einen Schwan verwandelten Prinzessin Odette, die durch wahre Liebe erlöst werden soll, aber vom bösen Zauberer Rotbart und dessen Tochter Odil getäuscht wird. Am Ende sterben Siegfried und Odette vereint in den Fluten eines Sees.

„Die Seekönigin“ frei nach „Schwanensee“

Das Ballett als Vorlage für einen Märchenfilm scheint somit durchaus sinnhaft, was einst schon die tschechisch-deutsche, 90-minütige Koproduktion „Die Seekönigin“ (1998) in der Regie von Václav Vorlíček (u. a. „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“, ČSSR/DDR 1973) bewies. Diese Verfilmung verwendete ebenso Figuren und Motive aus „Schwanensee“ – und entstand damals in Zusammenarbeit mit dem Bayrischen Rundfunk (BR).

Die Seekönigin (ČZ/D 1998): Titelfigur (Ivana Chylková) und Prinz Viktor (Max Urlacher, r.) / © ZDF

Die Seekönigin (ČZ/D 1998): Titelfigur (Ivana Chylková) und Prinz Viktor (Max Urlacher, r.) / © ZDF


Hier lebt eine böse Seekönigin (Ivana Chýlková) in einem unterseeischen Palast. Sie verwandelt alle heiratsfähigen Prinzessinnen, darunter Odette (Jitka Schneiderová), in Schwäne, weil sie Prinz Viktor (Max Urlacher) heiraten will. Der willfährige Diener Rotbart (Miroslav Táborský) hilft der Seekönigin, ihre Pläne zu verwirklichen. Doch am Ende schaffen es Viktor und sein treuer Diener Stefan (Jan Hrušínský, „Wie man Prinzessinnen weckt“, ČSSR 1977), sie zu überlisten. So steht einer Heirat von Odette und Viktor nichts mehr im Wege.

„Das Märchen vom Schwanensee“

Jetzt, gut dreißig Jahre später, verfilmt der Südwestrundfunk (SWR) erneut die Geschichte. Regie führt der erfahrene Christian Theede, der bereits sechs Grimmmärchen für die ARD adaptierte, zuletzt „Hans im Glück“ (2016). Das Drehbuch schreiben Silja Clemens und Barbara Miersch, die darin auf bewährte Figuren- und Erzählkonzepte des Märchenfilmgenres zurückgreifen, aber dennoch modernisieren und auf ein diverses Ensemble setzen.

Noch grün hinter den Ohren: Prinz Friedrich (Riccardo Campione) / © SWR/kurhaus produktion/Patrick Pfeiffer

Noch grün hinter den Ohren: Prinz Friedrich (Riccardo Campione) / © SWR/kurhaus produktion/Patrick Pfeiffer


Bei ihnen ist es der junge, verkopfte Königssohn „Fritz“ Friedrich (ein wahrer Märchenprinz: Riccardo Campione), den seine Mutter Königin Luise (Silke Bodenbender) drängt, endlich zu heiraten. Er interessiert sich aber eher fürs Fliegen (wie die Schwäne!) und zeichnet gern Flugapparate (ein beliebter Prinzen-Typus, der auch in „Dornröschen“, D 2008, oder zuletzt in „Die drei Prinzessinnen“, CZ 2024, bedient wird).

Die Sache mit dem schwulen Benno

Das Drehbuch stellt ihm zwei Freunde an die Seite: wie in der Vorlage Benno (Chieloka Jairus) und neu Toni (Frederic Balonier). Sowohl Benno als auch Toni sind dabei als sogenannte humorvolle Trickster-Gestalten (vgl. Vogler 1997, S. 151–156) angelegt, die als frecher Gegenpart zum melancholisch veranlagten Fritz dienen und ihn aufmuntern. Mehr noch: Sie sollen für diverse Männermodelle stehen, wenn der Schwarze Benno mutmaßlich schwul ist.

In modernen Ballettaufführungen ist die Nähe zwischen Prinz und freundschaftlich verbundenem Diener oftmals tänzerisch spürbar; im Film wird Benno von Toni mit witzig gemeinten Sätzen wie „Seit wann interessierst du dich denn für Frauen?“ oder „Du brauchst ja keine!“ konfrontiert, die er allerdings unkommentiert lässt und damit überraschend passiv wirkt.

Wettkampf: Fritz (R. Campione, v.l.n.r.), Benno (C. Jairus), Toni (F. Balonier) / © SWR/kurhaus produktion/Patrick Pfeiffer

Wettkampf: Fritz (R. Campione, v.l.n.r.), Benno (C. Jairus), Toni (F. Balonier) / © SWR/kurhaus produktion/P. Pfeiffer


Männerballett: Der "Tanz der kleinen Schwäne" als bekannte Parodie / © SWR/kurhaus produktion/P. Pfeiffer

Männerballett: Der „Tanz der kleinen Schwäne“ als bekannte Parodie / © SWR/kurhaus produktion/Patrick Pfeiffer


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Und auch wenn in Benno keine gängigen Schwulen-Klischees bedient werden, er z. B. im Bogenschießen genauso gut trifft wie Toni, und er sogar beim Ball mit einem jungen Mann im Walzertakt durch den Saal tanzen darf, scheint es, dass starke, selbstbewusste queere Charaktere den Drehbuchschreiberinnen und -schreibern noch immer Kopfzerbrechen bereiten.

Toughe Odette, unbeholfener Fritz

Besser gelingt das seit Jahren mit weiblichen (zumeist heterosexuellen) Hauptrollen; wie eben auch Odette (natürlich und authentisch: Samirah Breuer) beweist. Als Fritz im verbotenen Zauberwald das Schwanenmädchen trifft, ist er fasziniert von ihm, seinem Tanz (zur Musik von Tschaikowsky) und seiner Erscheinung. Er erfährt, dass Odette allmorgendlich ein Fluch in einen weißen Schwan verwandelt. Nur wahre Liebe könne sie retten.

Gut und Böse: Rotbart (Fritz Karl) und Odette (Samirah Breuer) / © SWR/kurhaus produktion/Patrick Pfeiffer

Gut und Böse: Rotbart (Fritz Karl) und Odette (Samirah Breuer) / © SWR/kurhaus produktion/Patrick Pfeiffer


Dabei kontrastieren Odette und Fritz gekonnt im Charakter: hier die toughe, junge Frau, dort der sich hölzern artikulierende Prinz ohne Lebenserfahrung und mit vager Vorstellung, was Liebe überhaupt bedeutet. Und obwohl Fritz dafür ausgelacht wird, geht ihm das Schwanenmädchen, das klar und frei seine Meinung sagt, nicht aus dem Kopf. Er bäckt für Odette einen Apfelkuchen und lädt sie sogar zum Ball ein, auf dem er sich eine Braut auswählen soll.

Romantische Märchenschlösser

Diese und andere erzählerische Ideen sind einerseits in ein märchenhaft-mystisches Szenenbild eingebettet, das auf das Geheimnisvolle und Rätselhafte einzahlt, vor allem, wenn die Handlung nachts (z. T. via visueller Effekte) in der freien Natur spielt und der titelgebende Schwanensee pittoresk vom Mond beschienen wird (Bildgestaltung: Lena Katharina Krause).

Alles so schön bunt hier: Fritz (R. Campione) auf dem königlichen Ball / © SWR/kurhaus produktion/Patrick Pfeiffer

Alles so schön bunt hier: Fritz (R. Campione) auf dem königlichen Ball / © SWR/kurhaus produktion/Patrick Pfeiffer


Andererseits beweisen die Filmemacherinnen und -macher auch mit der Wahl baulicher Kulissen ein gutes Händchen. Weil das Märchen der SWR produziert, werden Schlösser aus Baden-Württemberg in Szene gesetzt, z. B. das romantische Seeschloss Monrepos in der Nähe von Ludwigsburg, das von innen und außen gefilmt wird. Es ist im Märchen das Zuhause von Fritz. Zusätzlich entstehen Szenen im Hohenzollernschloss Sigmaringen auf der Schwäbischen Alb.

Die Sehnsucht nach dem Happy End

Das Böse lebt dagegen auf einer verfallenen Burg: Es ist wie im Ballett der Magier Rotbart (Fritz Karl), Herr des Zauberwalds, der seine Tochter Odile (Jule Hermann) mit dem Prinzen verheiraten will und echte Zuneigung für eine Illusion hält („Wahre Liebe gibt es nicht!“). Typische Requisiten, wie Magierstab und Glaskugel, helfen ihm, seinen Plan umzusetzen. So gibt er seiner Tochter Odile auf dem Ball das Aussehen einer „schwarzen Odette“ (Samirah Breuer in einer Doppelrolle), um Fritz zu täuschen.

Falsche Braut: Fritz (R. Campione) lässt sich täuschen / © SWR/kurhaus produktion/Patrick Pfeiffer

Falsche Braut: Fritz (R. Campione) lässt sich täuschen / © SWR/kurhaus produktion/Patrick Pfeiffer

Originelles Ballkleid: Schwanenmädchen Odette (Samirah Breuer) / © SWR/kurhaus produktion/Patrick Pfeiffer

Originelles Ballkleid: Schwanenmädchen Odette (Samirah Breuer) / © SWR/kurhaus produktion/Patrick Pfeiffer


Als er um ihre Hand anhält, erscheint die wahre „weiße Odette“ – aber zu spät. Zwar verzeiht sie ihm, doch der Fluch wirkt weiter. Bei Tschaikowsky ist danach beider Schicksal besiegelt, nicht aber im ARD-Märchenfilm, dessen Sehnsucht nach dem Happy End schon manchem tragisch endenden Märchen einen versöhnlichen Schluss bescherte, wie in „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ (2013), „Die kleine Meerjungfrau“ (2013) oder „Der Schweinehirt“ (alle D 2017).

Eher poetisch als dramatisch

Allerdings zeigt dieser neue Schlussteil auch die Schwächen der Verfilmung. Denn Fritz muss nicht etwa für Odette kämpfen; seine „wahre Liebe“ erlöst eher beiläufig das Mädchen von seinem Fluch – mit einer Handvoll Weintrauben, Brot und Käse.

Zudem ist das Böse glatt gebügelt und ins Komische verkehrt, wenn Rotbart mit einem altmodischen Liebestrank den Prinzen für seine Tochter gewinnen will, den aber das Schlosshündchen Romeo (!) versehentlich trinkt (eine ähnliche, allerdings genau umgekehrte Idee aus „Spieglein Spieglein – Die wirklich wahre Geschichte von Schneewittchen“, USA 2012).

Schmusen statt kämpfen: Fritz (Riccardo Campione) und Odette (Samirah Breuer) / © SWR/kurhaus produktion/Patrick Pfeiffer

Schmusen statt kämpfen: Fritz (R. Campione) und Odette (S. Breuer) / © SWR/kurhaus produktion/Patrick Pfeiffer


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Dass Odile, bei Tschaikowsky noch Konkurrentin und Gegenspielerin, sich hier von ihrem Vater lossagt („Liebe kann man nicht erzwingen!“) und ihren eigenen Weg geht, spricht zwar für sie als junge selbstbewusste Frau, doch verliert damit das Böse doppelt an Relevanz. Denn:

Die Gefährdung durch Aggression und Zerstörung gehört ebenso zu den fundamentalen Lebenserfahrungen und hat dabei Platz im Märchen wie die Geburt, die Liebe und das Glück. Unleugbar ist für den Märchenerzähler die Ambivalenz des Daseins. (Freund 2005, S. 146)

Film: „Das Märchen vom Schwanensee“ (BRD, R: Christian Theede, 2025). Ist auf DVD erschienen.

Drehorte: u. a.

  • Schloss Monrepos, Domäne Monrepos, 71634 Ludwigsburg
  • Schloss Sigmaringen, Schloss, 72488 Sigmaringen

Verwendete Quellen:

  • Freund, Winfried: Märchen. Köln: DuMont, 2005
  • SWR: Drehstart. SWR verfilmt „Das Märchen vom Schwanensee“. In: SWR-Kommunikation (vom: 26.3.2025, abgerufen: 21.12.2025)
  • SWR – das Erste: Sechs auf einen Streich. Das Märchen vom Schwanensee. In: Presseportal (vom 10.12.2025, abgerufen: 21.12.2025)
  • Vogler, Christopher: Der Trickster. In: Die Odyssee des Drehbuchschreibers. Über die mythologischen Grundmuster des amerikanischen Erfolgskinos. Frankfurt a. M.: Zweitausendeins, 1997, S. 151–156.


Headerfoto: Das Märchen vom Schwanensee (2025): Prinz Friedrich (Riccardo Campione) und Schwanenmädchen Odette (Samirah Breuer) / © SWR/kurhaus produktion/Patrick Pfeiffer