Der Prinz (Stephan Meyer-Kohlhoff) begrüßt Aschenputtel (Petra Vigna) / Quelle: ZDF/Taurus

Ein westdeutsches Aschenputtel verliert seinen Schuh in der DDR

Im Sommer 1988 dreht die Regisseurin Karin Brandauer in West-Berlin den Märchenfilm „Aschenputtel“ (BRD 1989). Für einige Außenaufnahmen zuckelt die Filmcrew in Tourbussen auch in den DDR-Bezirk Dresden – zu einem berühmten Märchenfilm-Drehort.

Bekannte Filmkulisse: Aschenputtel (Petra Vigna) und der Prinz (Stephan Meyer-Kohlhoff) in Moritzburg / © ZDF/Taurus-Film

Bekannte Filmkulisse: Aschenputtel (Petra Vigna) und der Prinz (Stephan Meyer-Kohlhoff) in Moritzburg / © ZDF/Taurus-Film

Schloss Moritzburg, 15 Kilometer von Dresden entfernt, ist vor allem mit dem Märchenfilm „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ bekannt geworden: Im Winter 1972/73 entstehen dort Außenaufnahmen für den deutsch-tschechoslowakischen Kultfilm. Nur wenige wissen, dass dort auch in den 1980er-Jahren ein Aschenputtel seinen Schuh verliert: Das heißt Petra Vigna und ist die Titelfigur einer westdeutschen Koproduktion, die 1988 zusammen mit dem ZDF entsteht.

Regie führt die österreichische Regisseurin Karin Brandauer (1945–1992). „Aschenputtel“ ist ihre erste Märchenverfilmung. Allerdings gehört die Geschichte über ein Mädchen, das von Stiefmutter und Stiefschwestern schikaniert wird, nicht zu ihren Lieblingsmärchen. „Wenn man mich hätte wählen lassen, dann hätte ich mir wahrscheinlich ein anderes ausgesucht“, sagt sie der „Kinder- und Jugendfilm Korrespondenz“. Brandauer lässt sich dennoch darauf ein, will aber einiges anders machen als beim Klassiker „Aschenbrödel“.

Keine Kopie von US-amerikanischen TV-Püppchen

Kein Denver-Clan: Aschenputtel als Magd / © ZDF/Taurus-Film

Kein Denver-Clan: Aschenputtel als Magd / © ZDF/Taurus-Film

Ihre Version will die Psychologie der Figuren mehr ins Blickfeld rücken – auch wenn das Märchen in erster Linie für Kinder inszeniert wird. Die Entwicklungsphasen des Teenagers Aschenputtel – „vom frühkindlichen Narzissmus über das Gefühl der Ablehnung und Ausgrenzung in der Pubertät bis hin zur Akzeptanz als erwachsene und selbstbestimmte Persönlichkeit“ (Liptay) – werden auf die Grimmsche Vorlage projiziert. Klingt ein wenig sperrig und unromantisch? Genau. Deshalb setzt Brandauer auf märchenhafte Drehorte.

Die Dreharbeiten sollen Ende Juni 1988 beginnen. Den Prinzen spielt der 25-jährige Stephan Meyer-Kohlhoff, den Serienfans bereits aus „Die Wicherts von Nebenan“ (1987, ZDF) kennen. Die Suche nach dem „Aschenputtel“ verläuft jedoch zäh. Brandauer lässt sich in vielen Castings fast hundert Mädchen zeigen, die aber alle aussehen, „als wären sie gerade ‚Denver-Clan’ oder ‚Dallas’ entsprungen“. Die Regisseurin möchte keine Kopie von US-amerikanischen TV-Püppchen, sondern ein natürliches und authentisches Aschenputtel.

„Aschenputtel“-Außendreh im West-Berliner Grunewald

Bei einem letzten Casting in West-Berlin entdeckt Brandauer dann die junge Petra Vigna. Obwohl sie keine ausgebildete Schauspielerin ist, spürt die Regisseurin: Sie hat einen Zauber. Sie ist es. Der Dreh kann beginnen. Alle Innenaufnahmen für „Aschenputtel“ entstehen in den Studios der West-Berliner Union-Film, beispielsweise die aufwändigen Ballszenen. Hier sehen sich Aschenputtel und der Prinz zum ersten Mal – und verlieben sich.

Hassliebe: Die österreichische Schauspielerin Krista Stadler übernimmt die Rolle der Stiefmutter / © ZDF/Taurus-Film

Hassliebe: Die österreichische Schauspielerin Krista Stadler übernimmt die Rolle der Stiefmutter / © ZDF/Taurus-Film


Zwar werden im Studio auch die Szenen mit Aschenputtel im Gutshaus des Vaters (Jean-Marc Bory) und der Stiefmutter (Krista Stadler) gedreht, aber die Außenaufnahmen des Gehöfts gehören zu Wirtschafts- und Nebengebäuden des West-Berliner Jagdschlosses Grunewald. Deren Außenansichten passen perfekt. Auch das aus Holz gezimmerte Taubenhaus, in dem sich Aschenputtel versteckt, als es vor dem Prinzen flüchtet, wird hier extra aufgebaut.

Aschenputtel im Tourbus über die deutsch-deutsche Grenze

Für die Schlüsselszene des Märchenfilms, in der Aschenputtel seinen goldenen Schuh verliert, fährt das Drehteam Anfang September 1988 von West-Berlin in die DDR. In Tourbussen zuckelt die Filmcrew über die maroden DDR-Straßen. Ziel ist Schloss Moritzburg im Bezirk Dresden. Das westdeutsche Team plant zwei bis drei Tage Drehzeit ein. Übernachtet wird im Interhotel „Bellevue“ in Dresden, das im Volksmund auch „Devisenhotel“ genannt wird – weil darin ausschließlich mit D-Mark gezahlt werden konnte.

Einmal und nie wieder: Für beide Hauptdarsteller bleibt es der erste und einzige Märchenfilm / © ZDF/Taurus-Film

Einmal und nie wieder: Für beide Hauptdarsteller bleibt es der erste und einzige Märchenfilm / © ZDF/Taurus-Film


Stephan Meyer-Kohlhoff erinnert sich heute vor allem an die Szene, in der er als Prinz dem vom Ball flüchtenden Aschenputtel auf einem Schimmel nachreitet. Er hat wenige Wochen zuvor in der West-Berliner Siedlung Onkel Toms Hütte extra Reitunterricht nehmen müssen, weil Drehbuchschreiber Michael Schulz auf diese romantische Idee nicht verzichten wollte. Hier erinnert Brandauers „Aschenputtel“ kurz an „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“.

„Nu, wird erst ma das Pech gestrichen!“

Denn es sind fast die gleichen Kameraeinstellungen wie im DEFA-Märchenfilm von 1972/73, wenn der Prinz über die sogenannte Schlossauffahrt durchs Bild galoppiert und im Hintergrund Schloss Moritzburg zu sehen ist. Die Ballszene, in der Aschenputtel vor dem Prinzen flieht und dabei seinen goldenen Schuh auf der Schlosstreppe verliert, inszeniert Brandauer klassisch – und doch mit einem Augenzwinkern.

Happy End: Der Prinz hat mit Hilfe der Tauben die rechte Braut gefunden und führt sie heim / © ZDF/Taurus-Film

Happy End: Der Prinz hat mit Hilfe der Tauben die rechte Braut gefunden und führt sie heim / © ZDF/Taurus-Film


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Einer der zwei Diener – vermutlich ein Komparse aus der DDR –, die auf Befehl des Prinzen die Stufen mit Pech preparieren sollen, sagt in schönstem Sächsisch: „Nu, wird erst ma das Pech gestrichen!“ Als „Aschenputtel“ am 28. September 1989 erstmals im ZDF zu sehen ist, können die DDR-Bürger aus dem Bezirk Dresden den Märchenfilm allerdings gar nicht sehen. Im Dresdner Elbtal ist der Empfang des sogenannten West-Fernsehens aus geografischen Gründen damals nicht möglich. Auch Märchen haben manchmal kein Happy End.

DVD-Cover / © KSM GmbH

DVD-Cover / © KSM GmbH

Film: „Aschenputtel“ (1989, R: Karin Brandauer, BRD/E/F/I/ČSSR). Ist auf DVD erschienen.

Drehorte:

  • Berliner Union Film GmbH & CO. KG, Oberlandstraße 26–35, 12099 Berlin-Tempelhof (u. a. Ballszenen)
  • Freizeit- und Erholungspark Lübars, Alter Bernauer Heerweg/Quickborner Str., 13469 Berlin-Reinickendorf (Eröffnungssequenz)
  • Schloss Moritzburg, Schlossallee, 01468 Moritzburg (u. a. Treppenszenen)

Literatur:

  • Liptay, Fabienne: WunderWelten. Märchen im Film. Remscheid, 2004.
  • Ungureit, Dagmar: „Ich würde gerne für Kinder etwas erfinden, nicht nur Märchen, denn ich glaube, dass Kinder ein tolles Publikum sind“. Gespräch mit Karin Brandauer anlässlich der Erstaufführung ihres Märchenfilms „Aschenputtel“ beim 15. Internationalen Kinderfilmfestival in Frankfurt. In: Kinder- und Jugendfilm Korrespondenz 10 (1989), Nr. 40.


Headerfoto: Der Prinz (Stephan Meyer-Kohlhoff) begrüßt Aschenputtel (Petra Vigna) / Quelle: ZDF/Taurus-Film

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